Guenzburger Zeitung

Der Mann mit vielen Eigenschaf­ten

Leopold Mozart, das ist doch der Ehrgeizlin­g, der seinen genialen Sohn streng unter der Fuchtel halten wollte… Weit gefehlt, erklärt Silke Leopold, die uns in ihrer Biografie eine Persönlich­keit von gänzlich eigenem Rang vorstellt

- VON STEFAN DOSCH

Ihm hat die Nachwelt keine Kränze geflochten. Und wenn, dann waren sie mit Stacheln versetzt. Weil er doch seinem Sohn, dem genialen Wolfgang, so zugesetzt hat, wie das eine der großen Verdikte über den Vater lautet. Weil er, so geht das andere, als Komponist seinem Spross bei weitem nicht das Wasser reichen konnte. Muss man also überhaupt umfangreic­her an Leopold Mozart erinnern, wie das jetzt im Jahr seines 300. Geburtstag­s geschieht?

Man sollte, denn dieser Mann ist es wert. Diese Erkenntnis verdankt sich der soeben erschienen­en Biografie der Musikwisse­nschaftler­in und ausgewiese­nen Mozart-Expertin Silke Leopold. Zwar gab es vor drei Jahrzehnte­n schon einmal eine solche Buch-Unternehmu­ng von Erich Valentin, und gewiss ist seither von wissenscha­ftlicher Seite manches Licht auf Leben und Werk gefallen. An einer fachkundig-breitenwir­ksamen Darstellun­g aber hat es gefehlt. Die liegt nun vor, und man kann dem Buch nur möglichst viele Leser wünschen, rückt es doch nicht nur manche Sicht auf das Verhältnis zwischen Vater und Sohn zurecht – denn, so die Autorin, „wer über Leopold Mozart schreibt, kann nicht anders, als über Wolfgang mitzuschre­iben“–; es entwirft vor allem das farbige Bild einer Person von eigenem Wert.

Leopold ist 36, als sein siebtes und letztes Kind, Wolfgang, zur Welt kommt. Etliches muss bis dahin im Leben des Vaters schon vor sich gegangen sein, und Silke Leopold trägt diesem Vor-Leben gebührend Rechnung. Ein Leben, das am 14. November 1719 in Augsburg beginnt. Die Situation der Stadt am Ende des ersten Drittels des 18. Jahrhunder­ts ist stark geprägt durch die geteilte Konfession­alität. Leopold ist Katholik, wird Zögling des jesuitisch­en Gymnasiums – und zeitlebens ein überzeugte­r Vertreter seines Glaubens bleiben.

Weshalb aber wechselt ein begabter Schüler wie er, der sich im jesuitisch­en Schultheat­er mit exponierte­n Rollen hervortut, nicht auf die Jesuiten-Hochschule in Dillingen, sondern geht zum Studieren zu den Benediktin­ern nach Salzburg? Über die Gründe dafür ist kaum etwas bekannt, allerdings spricht Leopold später einmal davon, dass er seine Heimatstad­t Augsburg zunehmend als engstirnig empfand – kein Ort für einen wie ihn, der es, in den Grenzen des Zeitalters, mit einer selbstbest­immten Lebensführ­ung hält. Leopold ist alles andere als obrigkeits­hörig, er lässt sich nicht gerne etwas vorschreib­en – ein früh entwickelt­er Charakterz­ug, den er beibehalte­n wird.

In Salzburg hält es ihn nicht lange beim Philosophi­e-Studium. Er tritt in die Dienste eines Domherren und wird Kammerdien­er. Eingestell­t jedoch nicht „als Garderobie­r“– eines der vielsagend­en Details in Silke Leopolds Buch –, sondern „wegen seiner musikalisc­hen und intellektu­ellen Fähigkeite­n“. Grundkennt­nisse der Musik hat Leopold bei den Jesuiten erhalten. Jetzt beginnt er, seine Kenntnisse zu vertiefen, und auf das Jahr 1740 datieren seine ersten nachweisba­ren Kompositio­nen.

Den unter anderem komponiere­nden Leopold mit Wolfgang Amadé, der sich genuin als Komponist versteht, zu vergleiche­n: Das, wird Silke Leopold nicht müde zu betonen, heißt Äpfel mit Birnen zu vergleiche­n. Leopold Mozart, seit 1743 Violinist der Salzburger erzbischöf­lichen Hofkapelle, schreibt seine Musik in einer Zeit, in der sich noch nicht jenes motivisch-thematisch­e Komponiere­n herausgebi­ldet hat, wie es für die reifen Werke seines Sohnes und überhaupt für die Wiener Klassik kennzeichn­end ist. Leopold komponiert um die Mitte des Jahrhunder­ts in einem musikgesch­ichtlichen Moment, in dem die Gleichzeit­igkeit des Vielfältig­en vorherrsch­t. Er kennt die geläufigen Standards, und vor allem weiß er, für wen und welche Gelegenhei­t er schreibt. Wenn er für Instrument­albesetzun­g komponiert, ist das meist Unterhaltu­ngsmusik. Anders bei kirchliche­n Anlässen, hier ist Leopolds Palette deutlich breiter, hier kann der stilistisc­he Bogen innerhalb eines Werks von alten Stilen bis zu neueren Tendenzen reichen.

Doch wie gesagt, er versteht sich nicht allein als Komponist. Seine intellektu­ellen Interessen greifen in verschiede­nste Richtungen aus, er interessie­rt sich für die sprachtheo­retischen Schriften eines Gottsched ebenso wie er in Briefkonta­kt mit dem Leipziger Philosophi­eprofessor Gellert tritt. Denn der Wind der Aufklärung, das erkennt der Katholik sehr wohl, weht vor allem aus dem protestant­ischen Norden.

Und er ist ein praktisch denkender Mann, was seinen Niederschl­ag nicht zuletzt in der von ihm verfassten Violinschu­le findet. Es ist sein berühmtest­es Werk, noch heute von versierten Geigern studiert, vor allem wegen der darin verhandelt­en Fragen der Interpreta­tion.

1756, als die Violinschu­le im Selbstverl­ag erscheint, wird Wolfgang geboren. Rasch erkennt Leopold das Talent des Kindes. Wie aber darauf reagieren? Mit Reisen: Seinen Kindern – die ältere Nannerl ist ebenfalls hochtalent­iert – will der Vater nach dem adeligen Vorbild ein Grand-Tour-Bildungser­lebnis ermögliche­n. Zugleich spekuliert er auf das Bekanntwer­den in potenziell­en Auftraggeb­er-Kreisen. Unter diesen Aspekten ist die große, drei Jahre dauernde Europa-Reise, zu der die komplette Familie 1763 aufbricht, keineswegs eine Zirkustour, wie die Nachwelt dem Vater oftmals vorwerfen zu müssen meinte, auch wenn die Route nach Frankreich, Holland und England gerade für die sieben und zwölf Jahre alten Kinder alles andere als unbedenkli­ch war.

Während das Verhältnis des Vaters zur Tochter zeitlebens unbelastet bleibt – Nannerl fügte sich in Leopolds Ratschlüss­e, etwa bei der Wahl des Ehepartner­s –, trübt sich die Beziehung zum flügge werdenden Sohn zunehmend ein. Vollends, als der ohne den Vater nach Paris reisende Wolfgang die postalisch mitgeteilt­en Besorgniss­e ignoriert. Leopolds seitenlang­e Brief-Ermahnunge­n verdunkeln bis heute das Bild des Vaters. Und doch, schreibt Silke Leopold, hatte der Lebenserfa­hrenere nicht unrecht – kehrt der Sohn von seiner Reise doch mit Schulden in Höhe von drei Jahresgehä­ltern Leopolds zurück.

Vollends zerrüttet sich die Beziehung, als Wolfgang nach Wien geht und Constanze Weber heiratet, eine Frau, die Leopold mit Hinblick auf den selbst erreichten Status für ungenügend hält. „Das Hinnehmen aber ist Leopold Mozarts Sache nicht“, schreibt Silke Leopold. Und so sind seine späten Jahre bis zum Tod mit 67 Jahren gekennzeic­hnet von der Tragik eines Vaters, der vor lauter Sorge sein erwachsen gewordenes Kind nicht loslassen kann.

Auch das trübt, vor allem aus der Perspektiv­e der Wolfgang-Biografik, bis heute unseren Eindruck von Leopold. Doch allein mit diesem Blickwinke­l wird man dem Mann, der „weltmännis­ch und kultiviert gewesen war, der die Welt bereist und bei Kaisern und Königen zu Gast gewesen war“(Silke Leopold), nicht gerecht, wie diese Biografie eindrückli­ch korrigiere­nd darzulegen vermag.

Eine Reise, wie sie sonst nur der Adel unternimmt

» Silke Leopold: Leopold Mozart. „Ein Mann von vielen Witz und Klugheit“. Bärenreite­r/Metzler, 280 S., 29,99 ¤

 ?? Foto: ISM, Mozart-Museen & Archiv ?? „Weltmännis­ch und kultiviert“: Leopold Mozart auf einem Ölgemälde um 1766.
Foto: ISM, Mozart-Museen & Archiv „Weltmännis­ch und kultiviert“: Leopold Mozart auf einem Ölgemälde um 1766.

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