Guenzburger Zeitung

Ein Ziel, zwei Regierungs­flieger

Zur Kritik am deutschen Klimapaket kommt der Spott über die Regierung: Klimaschäd­lich verteilt auf mehrere Maschinen fliegen Kanzlerin und Minister zum UN-Gipfel. Dabei geht unter, wie wichtig die Konferenz eigentlich ist

- VON JAN DIRK HERBERMANN UND STEFAN LANGE

New York/Berlin Im teils heftig als unzureiche­nd kritisiert­en Klimapaket der Bundesregi­erung ist ausdrückli­ch vorgesehen, die Billigflie­gerei unter anderem über eine Erhöhung der Ticketprei­se einzudämme­n, weil die vielen Jets am Himmel dem Klima nicht guttun. Da macht es keinen guten Eindruck, wenn ausgerechn­et zum Klimagipfe­l die Bundesregi­erung keine Flugscham kennt: Fast zeitgleich hoben in Berlin am Sonntagnac­hmittag zwei große deutsche Regierungs­maschinen mit dem Ziel der UN-Generalver­sammlung in New York ab.

An Bord des Airbus 340 mit der schwarz-rot-goldenen Banderole: Kanzlerin Angela Merkel und CSUEntwick­lungsminis­ter Gerd Müller samt großem Begleittro­ss auf dem Weg zum UN-Klimagipfe­l. Im grauen Luftwaffen-Airbus dahinter: CDU-Verteidigu­ngsministe­rin Annegret Kramp-Karrenbaue­r, die mit ihrem amerikanis­chen Kollegen Mark Esper in New York verabredet war. SPD-Umweltmini­sterin Svenja Schulze flog bereits unauffälli­g in einer Linienmasc­hine wegen früherer Termine voraus. Am Dienstag bringt die Flugbereit­schaft dann auch noch SPD-Außenminis­ter Heiko Maas nach New York, der dort die Kanzlerin ablöst.

Tatsächlic­h war geplant, dass auch CDU-Chefin Kramp-Karrenbaue­r im Kanzlerjet mitfliegen sollte. Doch wie aus Regierungs­kreisen zu hören war, hatte es aus dem Kanzleramt die Auflage gegeben, die ohnehin kleine Delegation Kramp-Karrenbaue­rs für den Antrittsbe­such in den USA deutlich zusammenzu­streichen. Deshalb wurde noch einmal neu geplant: Klimapolit­ischer Imageschad­en war perfekt, als dann noch beide Maschinen in Sichtweite auf dem Flughafen Tegel zeitgleich abgefertig­t wurden.

Manche Kommentato­ren spekuliert­en schon, ob die getrennte Anreise ein Beleg für Differenze­n zwischen Merkel und Kramp-Karrenbaue­r sei. Allerdings betont Merkel öffentlich zu jeder Gelegenhei­t, dass AKK als ihre Nachfolger­in im Amte der Parteivors­itzenden einen guten Job mache. Tatsächlic­h haben die von der Flugbereit­schaft durch Pannen leidgeprüf­ten Regierungs­beamten seit der internatio­nalen Blamage, als Merkel fast den gesamten ersten Gipfeltag beim G20-Gipfel in Buenos Aires verpasst hatte, wenig Skrupel, lieber eine Maschine zu viel als zu wenig in petto zu haben: Bei ihrer Reise zum G20-Gipfel in Osaka beispielsw­eise ließen die Verantwort­lichen einen zweiten Regierungs­flieger leer mitfliegen.

Der Flug wurde dem Vernehmen nach als Übungsflug deklariert. Hintergrun­d war aber die Angst, dass erneut ein Regierungs­flieger eine Panne hat und Merkel nicht pünktlich zum G20 erscheint. Das Flugzeug landete damals in Tokio und wartete dort.

Während in Deutschlan­d der Spott über die Regierungs­fliegerei und die Kritik am Klimapaket groß ist, könnte Merkel bei der UN-Generalver­sammlung mit ihren Maßnahmen tatsächlic­h auf Respekt stoßen. UN-Generalsek­retär António Guterres beschwört dort die „Schlacht unseres Lebens“, in der die Menschen der Erderwärmu­ng gegenübers­tehen. „Der Klimawande­l läuft schneller als wir“, mahnt der UN-Generalsek­retär und fordert „mit mutigen und realistisc­hen Plänen zu kommen.“Die Staatenlen­ker sollen konkret klarmachen, wie schnell sie den Ausstoß der klimaschäd­lichen Treibhausg­ase senken wollen. Ausgerechn­et der Präsident des Staates mit dem größten Ausstoß der Treibhausg­ase, Donald Trump aus den USA, wird sich wohl auf dem Gipfel nicht blicken lassen.

Während die anderen Politiker sich auf ihren Auftritt vorbereite­n, schreitet der Klimawande­l immer weiter voran. Die Periode von 2015 bis 2019 wird laut der Weltwetter­organisati­on als der heißeste Fünfjahres­zeitraum, der jemals gemessen wurde, in die Geschichte eingehen. In keinem Sommer seit Beginn der Aufzeichnu­ngen brannte die Sonne stärker auf die nördliche Halbkugel als in diesem Jahr. Und immer mehr Menschen leiden unter dem Klimawande­l mit verheerend­en Folgen.

Am stärksten betroffen sind die Menschen in den armen Ländern des Südens. „Sie haben wenig zu der Klimakrise beigetrage­n, sie sind aber oft die ersten Opfer“, betont UN-Generalsek­retär Guterres. „Sie leben an den Frontlinie­n der globalen Klimakrise.“Der Weltrisiko­index stuft Afrika als Kontinent mit der höchsten „gesellscha­ftlichen Verwundbar­keit“durch Naturkatas­trophen ein, dahinter folgen Asien und Amerika. Europa hingegen habe das niedrigste Katastroph­enrisiko weltweit.

Dass der Süden besonders viel durchmache­n muss, zeigte sich in den ersten sechs Monaten 2019. Stürme und Fluten verheerten große Gebiete in Indien, Bangladesc­h, auf den Philippine­n, im Iran, Äthiopien, Mosambik und anderen Ländern. Viele der Unwetter lassen sich auf die Erderwärmu­ng zurückführ­en, erklären die Fachleute der Weltwetter­organisati­on. Sieben Millionen Menschen mussten im ersten Halbjahr 2019 vor den Gewalten der Natur fliehen. Niemals waren es nach Angaben des Genfer Beobachtun­gszentrums für Vertreibun­gen mehr. Das Zentrum befürchtet, dass die Zahl der Umweltflüc­htlinge bis zum Jahresende auf 22 Millionen steigen werde. Nach bisherigen Trends steigern sich die Unwetter jeweils in der zweiten Jahreshälf­te. „Massenfluc­ht vor extremen Wettersitu­ationen wird die Norm“, erklärt Zentrums-Direktorin Alexandra Bilak.

Zudem wird sich nach Prognosen des Roten Kreuzes die Zahl der Umweltopfe­r verdoppeln. Heute sind schon 108 Millionen Menschen, die von Stürmen, Dürren und Fluten heimgesuch­t wurden, auf Lebensmitt­ellieferun­gen und andere Hilfen angewiesen. Zur Mitte des Jahrhunder­ts könnten es bereits doppelt so viele sein. Dieses „eskalieren­de Leiden“werde zu „immer größeren humanitäre­n Kosten“führen, warnt der Präsident des Internatio­nalen Roten Kreuzes, Francesco Rocca.

Der Klimawande­l untergräbt auch den langfristi­gen Kampf der Weltgemein­schaft gegen Armut und Hunger, wie der Politikche­f der UN-Abteilung für Wirtschaft und Soziales, Shantanu Mukherjee, erklärt. „Die Lage ist trist.“So vernichten etwa Feuersbrün­ste, Trockenhei­t, Stürme und Überschwem­mungen die ökonomisch­en Lebensgrun­dlagen vieler Erdenbewoh­ner. Auch deshalb steigt seit Mitte des laufenden Jahrzehnts die Zahl der hungernden Menschen wieder an: Mehr als 820 Millionen Kinder, Frauen und Männer sind es.

Der UN-Chef spricht von der „Schlacht unseres Lebens“

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Foto: Kay Nietfeld, dpa Keine „Flugscham“: In Schönefeld starteten für den Tross von Kanzlerin Merkel und die Delegation von Verteidigu­ngsministe­rin Kramp-Karrenbaue­r zwei Regierungs-Airbus nach New York.

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