Guenzburger Zeitung

Wolfgang Clement warnt die Regierung

Der frühere Arbeitsmin­ister und einstige SPD-Politiker sieht das Land am Rande einer Rezession stehen. Vieles erinnere ihn an die Jahrtausen­dwende, als nach dem Platzen der New Economy die Arbeitslos­igkeit explodiert­e

- VON MICHAEL KERLER

Augsburg Wolfgang Clement hatte mit der SPD fast alles erreicht, was man erreichen kann. Er war Ministerpr­äsident von Nordrhein-Westfalen, dann von 2002 bis 2005 unter Kanzler Gerhard Schröder Superminis­ter für Wirtschaft und Arbeit. Mit dem Reformprog­ramm Agenda 2010 prägte er das Land mit. Nach dem Regierungs­wechsel: der Bruch. Clement trat im Streit aus der SPD aus. Doch wer ihn heute trifft, merkt, dass er seine frühere Partei noch immer genau beobachtet – und mit ihr hadert.

Die Falten in seinem Gesicht sind tiefer geworden, Wolfgang Clement ist heute 79 Jahre. Trotzdem ist er sich treu geblieben. Er ist guter Dinge, freundlich, pflegt einen sympathisc­hen Humor, fordert mit Leidenscha­ft einen pragmatisc­hen politische­n Kurs, als er am Donnerstag zu einem Vortrag zur wirtschaft­lichen Lage nach Augsburg kam. Denn Clement ist längst nicht komplett im Ruhestand. Er hat eine führende Position in der Initiative Neue Soziale Marktwirts­chaft inne, einer Organisati­on, in der die Arbeitgebe­r der Industrie ihre Interessen bündeln. Und aus wirtschaft­licher Sicht ist Clement derzeit alles andere als glücklich mit der Arbeit der Großen Koalition im Bund.

„Beide Parteien – Union und SPD – haben ihren Charakter verloren“, kritisiert Clement im Gespräch mit unserer Redaktion. Das gilt vor allem für seine frühere Partei. Früher sei die SPD eine Partei für Wirtschaft und Arbeit gewesen, argumentie­rt er, eine soziallibe­rale Partei. „Diesen Charakter hat sie heute völlig verloren“, meint Clement.

gibt keinen mehr, der nur ein Wort für die Unternehme­n ergreift“, lautet seine Kritik. „Wenn man sich die Aufstellun­g der 14 Kandidaten für den Parteivors­itz ansieht – das ist die Linke“, sagt Clement in Anspielung auf die Linksparte­i. Für ihn sei der Kurs der SPD „der Vorläufer des Gangs in die Opposition“. Ein Indiz für die Krise der Parteien ist, dass diese schrumpfen und sich abschotten, wie er später nach seinem Vortrag

auf Einladung der Kreisspark­asse Augsburg und der Unternehme­nsberatung Kloepfel Corporate Finance deutlich macht. Er verrät, dass er in regelmäßig­en Abständen mit seiner ganzen Familie in den Urlaub fahre, mit Kindern und Enkeln. „Das sind 26 Leute. Ich habe dann mehr Menschen um mich sitzen als mancher SPD-Ortsverein.“Dabei besteht aus seiner Sicht dringender Bedarf für eine neue Wirtschaft­spolitik. „Wir sind am Rande einer Re„Es

zession und Deutschlan­d ist ganz sicher nicht dafür gerüstet“, warnte Clement.

Vieles erinnere ihn an die Jahrtausen­dwende, als nach dem Platzen der New Economy die Arbeitslos­igkeit nach oben schnellte. „Wir sind heute wieder erlahmt, der Schwung ist fort.“Für ihn ist es ein Skandal, dass heute über 50 Prozent des Bundeshaus­haltes für Sozialausg­aben eingeplant seien, aber nur ein Bruchteil für Bildung, Wissenscha­ft und Forschung. Denn noch immer würden heute 50000 Kinder in Deutschlan­d die Schulen ohne Abschluss verlassen. Im Jahr 2017 hatten zudem über 14 Prozent der jungen Menschen zwischen 20 und 34 Jahren keinen Berufsabsc­hluss. „Das ist dramatisch“, sagt Clement. Fehlende Bildung lege die Basis für neue Langzeitar­beitslosig­keit. „Wir haben das Thema vernachläs­sigt, der Wohlfahrts­staat macht müde“,

„Wir sind wieder erlahmt, der Schwung ist fort.“ Wolfgang Clement

sagte er. „Der Gipfel wäre das bedingungs­lose Grundeinko­mmen. Wenn dieses kommt, dann nehmen wir 20 Prozent der Bevölkerun­g gleich außer Verkehr.“Für Clement ist klar: „Die Große Koalition muss zu Ende gehen, diese Koalition wird die Zukunft nicht in den Griff bekommen.“

Clement verließ die SPD einst im Streit um die Energiepol­itik, er riet sogar davor ab, SPD zu wählen. Die Partei überlegte, ihn auszuschli­eßen, bis Clement 2008 selbst ging. Noch heute warnt er, es sei riskant, bis 2022 aus der Atomkraft auszusteig­en und gleichzeit­ig Kohlekraft­werke zu schließen. „Dann ist die Energiever­sorgung Deutschlan­ds nicht gesichert.“Ein Gegner des Klimaschut­zes ist er aber nicht, für ihn muss nur der Markt entscheide­n. „CO2 muss deshalb seinen Preis bekommen“, sagt auch er.

Anfangen könne man zum Beispiel mit 35 Euro pro Tonne. Das wären mehr als die zehn Euro, die die Große Koalition jetzt vereinbart hat.

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Foto: Marcel Kusch, dpa Viele Kinder verlassen die Schulen ohne Abschluss. Das ärgert den früheren Arbeits- und Wirtschaft­sminister Wolfgang Clement. Er fordert mehr Geld für Bildung, statt später die Langzeitar­beitslosig­keit zu verwalten.

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