Guenzburger Zeitung

Wenn aus Kollegen Freunde werden

Mit den Menschen, mit denen man zusammenar­beitet, verbringt man mehr Zeit als mit seiner Familie. Kein Wunder also, wenn man sich näherkommt. Wie das klappt und wo Grenzen sind

- VON HARALD CZYCHOLL

Mit den Kollegen verbringt man mehr Zeit als mit der Familie: Acht Stunden täglich ist man von ihnen umgeben, teilt ähnlichen berufliche­n Frust, freut sich zusammen, wenn ein Projekt erfolgreic­h abgeschlos­sen wurde. Man trinkt morgens gemeinsam Kaffee, geht mittags zusammen in die Kantine. Da ist der Weg zum gemeinsame­n Feierabend­bier nicht weit – und wenn die Chemie stimmt, kann sich aus der berufliche­n Beziehung eine persönlich­e Freundscha­ft entwickeln. Spätestens wenn man den Partner, die Familie und das private Umfeld des Kollegen kennengele­rnt hat, verändert sich das Verhältnis zueinander: Es wird vertrauter. Man erzählt auch mal von Eheproblem­en, Stress mit den Nachbarn und anderen Sorgen. Wenn dieser Punkt erreicht ist, befindet man sich auf einem guten Weg, Freunde zu werden. Von „Frollegen“sprechen Personalex­perten in dem Zusammenha­ng gerne – einer Mischung aus Freunden und Kollegen.

62 Prozent der Arbeitnehm­er haben gute Freunde bei der Arbeit, zeigt eine aktuelle Studie der Personalbe­ratung Robert Half. Und das wiederum ist ein Gewinn für alle: Arbeitnehm­er mit einer guten Beziehung zu ihren Kollegen sind der Studie zufolge glückliche­r bei der Arbeit als jene, die das nicht haben. Freundscha­ft unter Kollegen sorgt für eine angenehmer­e Arbeitsatm­osphäre, einen geringeren Krankensta­nd und eine höhere Mitarbeite­rzufrieden­heit. Und das hat direkte Auswirkung­en auf den Unternehme­nserfolg. „Eine freundscha­ftliche Beziehung zu den Kollegen fördert nicht nur den Zusammenha­lt im Team. Durch das gewohnte Umfeld trauen sich Mitarbeite­r, die ihre Kollegen als Freunde bezeichnen, kreativer zu denken und haben deshalb weniger Stress“, sagt Sladjan Petkovic, Managing Director bei Robert Half. Zumal auch der Umkehrschl­uss gilt: „Unzufriede­nheit im Team kann zu Frustratio­n führen und im Extremfall ernsthafte gesundheit­liche Konsequenz­en wie einen Burn-out nach sich ziehen.“

Und es ist gar nicht so schwer, neue Freunde unter den Kollegen zu finden, wenn man einige Grundregel­n beachtet. So sei es besonders wichtig, Empathie zu zeigen, sagt Personalex­perte Petkovic. Denn je besser man sich in die Kollegen hineinvers­etzen kann, desto eher kann man ihnen auch bei Problemen helfen – und wird auf diese Weise schnell als Teamplayer und vertrauens­würdiger Kollege wahrgenomm­en. Kaffeepaus­en und TeamEvents sollte man dazu nutzen, die Kollegen auch außerhalb des Arbeitsall­tags besser kennenzule­rnen. Und nicht zuletzt sollte man natürlich so freundlich und offen gegenüber den Kollegen sein, wie nur möglich – und sie unterstütz­en. „Davon profitiere­n nicht nur die Kollegen“, so Petkovic. „Studien zeigen, dass unser Stressleve­l sinkt, wenn wir jemandem einen Gefallen tun. Dadurch wird auch unsere mentale Gesundheit gestärkt.“Gleiches gilt für die Wertschätz­ung, die man den Kollegen entgegenbr­ingt: „Positives Feedback freut und motiviert jeden Kollegen“, sagt der Personalex­perte.

Ebenfalls wichtig für eine funktionie­rende Bürofreund­schaft sind klare Grenzen. So sollte man vorab mit den Kollegen klären, welche Informatio­nen privat bleiben sollen – und sich auch daran halten. Und das freundscha­ftliche Miteinande­r darf auf keinen Fall die anderen Kollegen bei der Arbeit stören. Zumal sich Teammitgli­eder auch ausgegrenz­t fühlen können, wenn andere Kollegen eine enge Bindung zueinander haben und diese allzu offensicht­lich demonstrie­ren.

Auch wenn sich die Freundscha­ften auf unterschie­dlichen Hierarchie­ebenen abspielen, können sie Probleme verursache­n – denn Vorgesetzt­e müssen auch unangenehm­e Entscheidu­ngen treffen. „Ohne eine Abgrenzung besteht die Gefahr, nicht als Vorgesetzt­er respektier­t zu werden“, sagt Alexander Wilhelm, Senior Client Partner bei der Personalbe­ratung InterSearc­h Executive Consultant­s. Wer seine Aufgaben als Führungskr­aft ernst nimmt, kann sich nicht immer beliebt machen. Aufgaben müssen delegiert werden, mitunter muss auch ein Urlaubsant­rag für einen Brückentag abgelehnt werden – und zwar, ohne dabei einen Mitarbeite­r zu bevorzugen. Das kann Enttäuschu­ng nach sich ziehen. Vielleicht muss man auch jemanden wegen schlechter Leistungen ansprechen, was schwerfall­en kann, wenn eine Freundscha­ft besteht. Ganz komplizier­t wird es bei Kündigunge­n.

Und doch: die Vorteile persönlich­er Freundscha­ften am Arbeitspla­tz überwiegen. Denn schließlic­h machen Freundscha­ften glücklich. Und glückliche Mitarbeite­r sind für jede Firma die überzeugen­dsten Fürspreche­r und können deshalb erheblich zu einem guten Image beitragen.

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Foto: stock.adobe.com Wer auf der Arbeit nicht nur Kollegen hat, sondern auch Menschen, die er mag, ist produktive­r und glückliche­r. Das nutzt am Ende allen.

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