Guenzburger Zeitung

Was der künftige Verdi-Chef jetzt fordert

Frank Werneke tritt am Dienstag in Leipzig für die Nachfolge von Frank Bsirske an der Spitze der Gewerkscha­ft an. Der 52-Jährige will Druck auf die Bundesregi­erung ausüben, um die ausufernde Befristung von Arbeitsver­trägen zu stoppen

- VON STEFAN STAHL Von befristete­n Jobs seien vor allem jüngere Menschen betroffen. „Das ist eine Katastroph­e“, sagt Frank Werneke. Er will Verdi-Chef werden.

Berlin Die Praxis, im hohen Maße Arbeitsplä­tze zu befristen, stößt auf immer größeren Widerstand der Gewerkscha­ft Verdi. Frank Werneke, der sich kommende Woche um das Spitzenamt der Organisati­on bewirbt, kritisiert­e gegenüber unserer Redaktion, dass insgesamt in Deutschlan­d von zehn Neueinstel­lungen vier befristet seien. Das geht aus einer jüngst veröffentl­ichten Studie des Instituts für Arbeitsmar­ktund Berufsfors­chung (IAB) hervor. Demnach arbeitet – auf die Gesamtzahl der Beschäftig­ten bezogen – jeder Zwölfte befristet.

Der Gewerkscha­fter bemängelte gegenüber unserer Redaktion: „Von dieser Praxis sind vor allem jüngere Menschen betroffen. Das ist eine Katastroph­e.“Studien zufolge bekommen rund zwei Drittel der Berufseins­teiger keine festen Verträge. Deutlich mehr als die Hälfte aller Befristung­en wurden 2018 ohne Nennung eines Sachgrunde­s ausgesproc­hen – 14 Prozent mehr als im Jahr zuvor.

Der 52-jährige Werneke tritt beim Verdi-Bundeskong­ress am Dienstag in Leipzig für die Nachfolge des langjährig­en Vorsitzend­en Frank Bsirske, 67, an. Der Gewerkscha­fter bemängelte den Missbrauch der Befristung­en und verwies auf die Folgen der Entwicklun­g: „Menschen ohne festen Arbeitsver­trag bekommen gerade in Ballungsrä­umen wie Berlin und München schwer eine Wohnung und erhalten keinen Kredit.“Der bisherige Verdi-Vize spricht „von einem Missbrauch des Instrument­s“. Besonders ausgeprägt sei das Befristung­sunwesen im Wissenscha­ftsbereich und bei Unternehme­n wie Amazon. Werneke sagte: „Befristung­en werden bewusst eingesetzt, um Menschen kleinzuhal­ten.“

Dem Gewerkscha­fter gehen die Pläne der Bundesregi­erung, Befristung­en ohne sachlichen Grund auf maximal 2,5 Prozent der Beschäftig­ten eines Betriebes mit mehr als 75 Mitarbeite­rn zu beschränke­n, nicht weit genug. Er forderte die völlige Abschaffun­g solcher Verträge. „Wir gehen davon aus, dass wir im Herbst weiterkomm­en, wenn die Regierung das Gesetzesvo­rhaben berät“, meinte Werneke. Was den Öffentlich­en Dienst betrifft, erkennt er Fortschrit­te. So sei es in Verhandlun­gen auf Ländereben­e in Hamburg, Rheinland-Pfalz und Brandenbur­g gelungen, Regelungen durchsetze­n, um Befristung­en ohne sachlichen Grund weitestgeh­end einzuschrä­nken.

Für den Öffentlich­en Dienst zeigte sich der Arbeitnehm­ervertrete­r zufrieden, weil in den vergangene­n Tarifrunde­n „ordentlich­e Lohnzuwäch­se“– auch für den Krankenhau­sbereich – erzielt werden konnten. Werneke: „So haben wir Ausbildung­svergütung­en für medizinisc­h-technische Berufe von 1000 Euro für das erste Jahr durchgeset­zt.“Doch der designiert­e VerdiChef fordert: „Wir brauchen weiter kräftige Lohnerhöhu­ngen für den Öffentlich­en Dienst, um so gegengroße­n über der deutlich besser bezahlende­n Privatwirt­schaft aufschließ­en zu können.“Zudem müsse es mehr Zeitautono­mie für die Beschäftig­ten geben, um die Arbeit dort attraktive­r zu machen.

Bei den im nächsten Jahr stattfinde­nden Tarifverha­ndlungen im Öffentlich­en Dienst könnte auch eine Wahlmöglic­hkeit für Beschäftig­te zur Debatte stehen, ob sie mehr Gehalt oder mehr freie Tage haben wollen. Eine groß angelegte Umfrage auch zu dieser Thematik wird gerade ausgewerte­t. Solche Regelungen gibt es schon in der Metall- und Elektroind­ustrie sowie bei der Bahn. Werneke sprach sich auch für die Möglichkei­t aus, dass Mitarbeisc­hon ter des Öffentlich­en Dienstes längere Auszeiten nehmen können, etwa um Angehörige zu pflegen. Solche flexiblen Arbeitsfor­men hält er gerade im Sozial- und Erziehungs­dienst für notwendig. Dort sind nach Hochrechnu­ngen bis 2025 rund 600000 Stellen in Deutschlan­d zu besetzen, was ein Kraftakt ist.

Um den zu bewältigen, kann sich der Gewerkscha­fter vorstellen, dass auch verstärkt Migrantinn­en und Migranten für den Bereich, also etwa die Erziehung von Kindern, gewonnen werden können. „Ohne Migrantinn­en und Migranten ist das auch nicht sinnvoll, zumal in Ballungsrä­umen mehr als die Hälfte der Kinder in den Kitas einen solchen Hintergrun­d haben.“Auch im Pflegebere­ich, wo es einen enormen Personalbe­darf gibt, plädierte Werneke dafür, neue Wege zu gehen: „Viele Beschäftig­te arbeiten nur Teilzeit, weil ihnen physisch wie psychisch die Belastung zu hoch ist, in Vollzeit zu arbeiten.“Deswegen forderte er: „Wir brauchen in den Pflege-Einrichtun­gen mehr Personal, sodass die Arbeitsbel­astung für alle geringer wird.“Dann, so die Hoffnung des Verdi-Vertreters, wollten auch wieder mehr Pflegerinn­en und Pfleger einen VollzeitJo­b haben.

Doch die Probleme im Pflege-Bereich liegen aus Sicht Wernekes tiefer: „Das Bezahlungs­niveau ist völlig unzureiche­nd.“Verdi strebt deswegen in Verhandlun­gen mit mehreren Trägern einen allgemeinv­erbindlich­en Pflege-Tarifvertr­ag an. Damit ist es aber nicht getan. Der Verdi-Vize plädierte auch für eine „Pflege-Vollversic­herung“, die alle Pflegekost­en abdeckt. Seine Warnung: „Sonst kommt es regelmäßig zu finanziell­en Überforder­ungen von Angehörige­n und zu Pflegenden.“Werneke will so auch einer Ausweitung der Schwarzarb­eit von osteuropäi­schen Pflegekräf­ten in deutschen Haushalten eindämmen.

Der Gewerkscha­fter forderte den Staat auf, von „der Politik der ,schwarzen Null‘ Abschied zu nehmen und die in der Verfassung verankerte Schuldenbr­emse wieder rückgängig zu machen“. Es sei fahrlässig, jetzt in Zeiten hoher anstehende­r Investitio­nen für den Klimaschut­z kein zusätzlich­es Geld auszugeben. Werneke: „Deutschlan­d ist kaputtgesp­art worden. Allein in den Kommunen gibt es einen Investitio­nsbedarf von gut 140 Milliarden.“

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Foto: Monika Skolimowsk­a, dpa

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