Was der künftige Verdi-Chef jetzt fordert
Frank Werneke tritt am Dienstag in Leipzig für die Nachfolge von Frank Bsirske an der Spitze der Gewerkschaft an. Der 52-Jährige will Druck auf die Bundesregierung ausüben, um die ausufernde Befristung von Arbeitsverträgen zu stoppen
Berlin Die Praxis, im hohen Maße Arbeitsplätze zu befristen, stößt auf immer größeren Widerstand der Gewerkschaft Verdi. Frank Werneke, der sich kommende Woche um das Spitzenamt der Organisation bewirbt, kritisierte gegenüber unserer Redaktion, dass insgesamt in Deutschland von zehn Neueinstellungen vier befristet seien. Das geht aus einer jüngst veröffentlichten Studie des Instituts für Arbeitsmarktund Berufsforschung (IAB) hervor. Demnach arbeitet – auf die Gesamtzahl der Beschäftigten bezogen – jeder Zwölfte befristet.
Der Gewerkschafter bemängelte gegenüber unserer Redaktion: „Von dieser Praxis sind vor allem jüngere Menschen betroffen. Das ist eine Katastrophe.“Studien zufolge bekommen rund zwei Drittel der Berufseinsteiger keine festen Verträge. Deutlich mehr als die Hälfte aller Befristungen wurden 2018 ohne Nennung eines Sachgrundes ausgesprochen – 14 Prozent mehr als im Jahr zuvor.
Der 52-jährige Werneke tritt beim Verdi-Bundeskongress am Dienstag in Leipzig für die Nachfolge des langjährigen Vorsitzenden Frank Bsirske, 67, an. Der Gewerkschafter bemängelte den Missbrauch der Befristungen und verwies auf die Folgen der Entwicklung: „Menschen ohne festen Arbeitsvertrag bekommen gerade in Ballungsräumen wie Berlin und München schwer eine Wohnung und erhalten keinen Kredit.“Der bisherige Verdi-Vize spricht „von einem Missbrauch des Instruments“. Besonders ausgeprägt sei das Befristungsunwesen im Wissenschaftsbereich und bei Unternehmen wie Amazon. Werneke sagte: „Befristungen werden bewusst eingesetzt, um Menschen kleinzuhalten.“
Dem Gewerkschafter gehen die Pläne der Bundesregierung, Befristungen ohne sachlichen Grund auf maximal 2,5 Prozent der Beschäftigten eines Betriebes mit mehr als 75 Mitarbeitern zu beschränken, nicht weit genug. Er forderte die völlige Abschaffung solcher Verträge. „Wir gehen davon aus, dass wir im Herbst weiterkommen, wenn die Regierung das Gesetzesvorhaben berät“, meinte Werneke. Was den Öffentlichen Dienst betrifft, erkennt er Fortschritte. So sei es in Verhandlungen auf Länderebene in Hamburg, Rheinland-Pfalz und Brandenburg gelungen, Regelungen durchsetzen, um Befristungen ohne sachlichen Grund weitestgehend einzuschränken.
Für den Öffentlichen Dienst zeigte sich der Arbeitnehmervertreter zufrieden, weil in den vergangenen Tarifrunden „ordentliche Lohnzuwächse“– auch für den Krankenhausbereich – erzielt werden konnten. Werneke: „So haben wir Ausbildungsvergütungen für medizinisch-technische Berufe von 1000 Euro für das erste Jahr durchgesetzt.“Doch der designierte VerdiChef fordert: „Wir brauchen weiter kräftige Lohnerhöhungen für den Öffentlichen Dienst, um so gegengroßen über der deutlich besser bezahlenden Privatwirtschaft aufschließen zu können.“Zudem müsse es mehr Zeitautonomie für die Beschäftigten geben, um die Arbeit dort attraktiver zu machen.
Bei den im nächsten Jahr stattfindenden Tarifverhandlungen im Öffentlichen Dienst könnte auch eine Wahlmöglichkeit für Beschäftigte zur Debatte stehen, ob sie mehr Gehalt oder mehr freie Tage haben wollen. Eine groß angelegte Umfrage auch zu dieser Thematik wird gerade ausgewertet. Solche Regelungen gibt es schon in der Metall- und Elektroindustrie sowie bei der Bahn. Werneke sprach sich auch für die Möglichkeit aus, dass Mitarbeischon ter des Öffentlichen Dienstes längere Auszeiten nehmen können, etwa um Angehörige zu pflegen. Solche flexiblen Arbeitsformen hält er gerade im Sozial- und Erziehungsdienst für notwendig. Dort sind nach Hochrechnungen bis 2025 rund 600000 Stellen in Deutschland zu besetzen, was ein Kraftakt ist.
Um den zu bewältigen, kann sich der Gewerkschafter vorstellen, dass auch verstärkt Migrantinnen und Migranten für den Bereich, also etwa die Erziehung von Kindern, gewonnen werden können. „Ohne Migrantinnen und Migranten ist das auch nicht sinnvoll, zumal in Ballungsräumen mehr als die Hälfte der Kinder in den Kitas einen solchen Hintergrund haben.“Auch im Pflegebereich, wo es einen enormen Personalbedarf gibt, plädierte Werneke dafür, neue Wege zu gehen: „Viele Beschäftigte arbeiten nur Teilzeit, weil ihnen physisch wie psychisch die Belastung zu hoch ist, in Vollzeit zu arbeiten.“Deswegen forderte er: „Wir brauchen in den Pflege-Einrichtungen mehr Personal, sodass die Arbeitsbelastung für alle geringer wird.“Dann, so die Hoffnung des Verdi-Vertreters, wollten auch wieder mehr Pflegerinnen und Pfleger einen VollzeitJob haben.
Doch die Probleme im Pflege-Bereich liegen aus Sicht Wernekes tiefer: „Das Bezahlungsniveau ist völlig unzureichend.“Verdi strebt deswegen in Verhandlungen mit mehreren Trägern einen allgemeinverbindlichen Pflege-Tarifvertrag an. Damit ist es aber nicht getan. Der Verdi-Vize plädierte auch für eine „Pflege-Vollversicherung“, die alle Pflegekosten abdeckt. Seine Warnung: „Sonst kommt es regelmäßig zu finanziellen Überforderungen von Angehörigen und zu Pflegenden.“Werneke will so auch einer Ausweitung der Schwarzarbeit von osteuropäischen Pflegekräften in deutschen Haushalten eindämmen.
Der Gewerkschafter forderte den Staat auf, von „der Politik der ,schwarzen Null‘ Abschied zu nehmen und die in der Verfassung verankerte Schuldenbremse wieder rückgängig zu machen“. Es sei fahrlässig, jetzt in Zeiten hoher anstehender Investitionen für den Klimaschutz kein zusätzliches Geld auszugeben. Werneke: „Deutschland ist kaputtgespart worden. Allein in den Kommunen gibt es einen Investitionsbedarf von gut 140 Milliarden.“