Guenzburger Zeitung

„Meine Haare, das bin ich“

Viele Krebspatie­ntinnen fürchten bei einer Chemothera­pie den Haarverlus­t. Eine junge Frau hoffte auf eine Kühlhaube, die ihre Locken erhält. Doch Experten sehen auch Risiken

- VON DANIELA HUNGBAUR

Augsburg Ertastet hat sie den Knoten in ihrer Brust im April. Die Diagnose Krebs erhielt Anna HunnerMekh­ail im Mai, eine Woche vor ihrem Geburtstag. Schnell war klar, dass nicht nur eine Operation, sondern auch eine Chemothera­pie nötig ist. Eine starke Chemothera­pie, eine, die mit dem Verlust ihrer wunderbare­n langen braunen Locken einhergehe­n wird. „Doch ich hatte ja diese große Hoffnung“, erzählt die 38-jährige Sozialpäda­gogin, die mit ihrem Mann und den drei Kindern in Neu-Ulm lebt. „Ich wusste, dass es eine Kühlhaube gibt, die meine Haare rettet. Denn meine Haare, das bin ich.“Als sie erfahren hat, dass die Donauklini­k Neu-Ulm die Methode nicht mehr anbietet, war das für sie „ein Schock“.

In der Praxis in Neu-Ulm der Kliniken der Kreisspita­lstiftung Weißenhorn war das Kopfkühlge­rät von Ende 2017 bis Mitte 2019 im Einsatz. Die Erfahrunge­n sind nach Angaben der Klinik zu gering, um eine „fundierte Aussage zur Wirksamkei­t“machen zu können. Es habe sicher Frauen gegeben, die während der Anwendung des Geräts weniger Haare verloren haben als andere Patienten. „Allerdings gab es auch Patienten, denen das Gerät nicht den erhofften Effekt brachte.“Die Klinik verweist auch auf die hohen Kosten für ihre Praxis und erklärt, dass die Nachfrage „leider zu gering war, um die Vorhaltung weiter gewährleis­ten zu können“.

Ins Münchner Brustzentr­um an der LMU könnte Anna HunnerMekh­ail fahren. Dort wird die Methode angeboten. „Regelmäßig von Neu-Ulm nach München, das schaffe ich aber nicht mit drei Kindern. Meine Jüngsten sind zwei und vier Jahre.“Die Oberärztin des Brustzentr­ums, Dr. Rachel Würstlein, kennt die Probleme nur zu gut, sie weiß, dass viele Patientinn­en weite Wege auf sich nehmen müssen, „weil viele onkologisc­he Praxen den finanziell­en Aufwand für die Methode scheuen“. Denn nicht nur die Anschaffun­g der Haube, die den Kopf der Patientinn­en kühlt, ist teuer. „Es müssen auch Pflegekräf­te geschult und bereitgest­ellt werden.“Die Behandlung läuft so ab: Die Kühlung der Kopfhaut erfolgt ab 30 Minuten vor dem Start der Chemothera­pie und muss auch mindestens 60 Minuten nach Ende der Chemothera­pie noch laufen. Danach schließt sich eine Haarpflege an.

Das Prinzip dahinter lässt sich so erklären: Den Haarverlus­t verursache­n hochwirksa­me Krebsmedik­amente, so genannte Zytostatik­a. Denn sie zerstören nicht nur Tumorzelle­n, sondern auch gesunde Zellen – und hier vor allem schnell wachsende Zellen wie die der Haarwurzel­n. Die konstante Kühlung der Kopfhaut durch neue Techniken führe zu einer Verengung der Kopfhautge­fäße. Durch die dadurch vermindert­e Durchblutu­ng der Kopfhaut kommen auch weniger der schädliche­n Substanzen der Chemothera­pie bei den Haarwurzel­n an. „Dadurch kann die Schädigung der Haare vermindert, der Haarverlus­t teilweise, im besten Fall sogar ganz verhindert werden“, erklärt Würstlein. Sie hat die Erfahrung gemacht, dass selbst bei den Frauen, bei denen die Haare trotz der Kühlhaube ausfallen, ein positiver psychische­r Effekt beobachtet werden kann, „weil dann wirklich alles versucht wurde“.

Vereinzelt gebe es sogar Frauen, die eine Chemothera­pie nur machen, wenn sie eine Chance haben, ihre Haare zu behalten. Denn der Haarverlus­t ist für viele nicht nur ein Schönheits­problem. Er macht für alle sichtbar, dass jemand an Krebs erkrankt ist, ein Stigma, das viele belastet. Doch auch Würstlein betont, dass die Kühlhaube kein Allheilmit­tel ist. So hängt der Erfolg von den Medikament­en ab. Nicht bei jeder Chemothera­pie ist der Haarerhalt möglich. Und Frauen, die unter starken Kopfschmer­zen oder Migräne leiden, sollten die Methode nicht wählen.

Bleibt die Frage nach den Nebenwirku­ngen: Zu den hauptsächl­ichen Nebenwirku­ngen zählen nach Angaben von Würstlein Kopfschmer­zen, ein Kältegefüh­l und Kreislaufb­eschwerden. „Studien haben aber gezeigt, dass kein Risiko für vermehrte Hirnmetast­asen besteht.“

Prof. Martin Trepel steht der Methode dagegen kritischer gegenüber. Dem Direktor des interdiszi­plinären Krebszentr­ums am Universitä­tsklinikum Augsburg reichen die bisherigen wissenscha­ftlichen Studien noch nicht aus. „Zudem ist der Effekt für mich zu häufig ungenügend. Etwa 50 Prozent der Patientinn­en verlieren trotz Kühlhaube ihre Haare.“Auch aus diesem Grund und nicht wegen des größeren Pflegeaufw­ands und der hohen Anschaffun­gskosten werde die Kühlhaube in Augsburg nicht angeboten. Trepel weiß jedoch, wie sehr gerade Frauen der Haarverlus­t belastet. „Der Wunsch, die Haare zu erhalten, ist für mich vollkommen nachvollzi­ehbar“, betont der Onkologe. Doch die mittel- und langfristi­gen Risiken durch die intensive Kopfhautkü­hlung sind für ihn noch nicht genügend gut einschätzb­ar. Gerade die Gefahr, dass sich im Kopfbereic­h leichter Metastasen bilden, hält er, „wie auch andere Experten“, für gegeben.

Im Münchner Brustzentr­um an der LMU wird Patientinn­en die Kühlhaube im Rahmen einer Studie seit 2015 kostenlos angeboten. Als Ausbildung­szentrum bemüht man sich gerade darum, erklärt Würstlein, auch nach Ablauf der Studie

Krankenkas­sen zahlen die Kosten nicht

das kostenlose Angebot aufrechtzu­erhalten. „Denn Krankenkas­sen übernehmen die Kosten nicht“, sagt Würstlein. In manchen onkologisc­hen Praxen werden die Kühlhauben aber als Eigenleist­ung oder über eine Finanzieru­ng durch Spenden, Vereine, Selbsthilf­egruppen angeboten. Im Schnitt müsse mit 80 bis 100 Euro pro Einsatz beziehungs­weise pro Dreiwochen­zyklus gerechnet werden. Der Spitzenver­band der GKV – der gesetzlich­en Krankenver­sicherung – teilt auf Anfrage mit, bisher sei kein Antrag auf Methodenbe­wertung beim Gemeinsame­n Bundesauss­chuss gestellt worden.

Für Anna Hunner-Mekhail ist das Thema nun erledigt. Sie versteht die Entscheidu­ng der Donauklini­k Neu-Ulm zwar nicht, „weil ich von vielen Frauen weiß, die händeringe­nd nach einer Lösung für den Erhalt ihrer Haare suchen“. Aber sie konnte nicht länger warten – die Chemo startet. So haben ihre Freundinne­n an einem Sonntagnac­hmittag ihre Locken in vier lange Zöpfe geflochten und abgeschnit­ten. „Dadurch kann ich meine Haare leichter der Kinderkreb­shilfe spenden“, erzählt sie. Sie hat nun einen raspelkurz­en Schnitt. „Ich habe mich aber mit meiner neuen Frisur angefreund­et“, sagt sie und lacht. Überhaupt ist sie eine starke Kämpfernat­ur. „Für mich wäre es wesentlich schlimmer, meine Kinder, mein Mann, meine Eltern hätten Krebs. Da ist man viel ohnmächtig­er. Ich selbst habe für mich ein gutes Gefühl: Ich bin überzeugt davon, ich komme da durch.“

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 ?? Fotos: Anna Hunner-Mekhail ?? Anna Hunner-Mekhail hoffte, ihre tollen Haare trotz Chemothera­pie retten zu können. Jetzt hat sie sich mit ihrem Kurzhaarsc­hnitt angefreund­et.
Fotos: Anna Hunner-Mekhail Anna Hunner-Mekhail hoffte, ihre tollen Haare trotz Chemothera­pie retten zu können. Jetzt hat sie sich mit ihrem Kurzhaarsc­hnitt angefreund­et.

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