Guenzburger Zeitung

Ein allzeit kritischer Autor

Günter Kunert ist 90-jährig gestorben

- VON STEFAN DOSCH

Dieses Jahr erst hat er seine Leser noch einmal beglückt. Nicht mit Lyrik, die als seine eigentlich­e Domäne gilt, sondern mit einem Roman. Vor fast einem halben Jahrhunder­t, Mitte der 1970er Jahre und damals noch als Bürger der DDR, hatte er „Die zweite Frau“geschriebe­n, dann aber doch nicht gewagt, die fulminate Geschichte eines Ehepaars zu veröffentl­ichen, und sie beiseitege­legt. Erst vor zwei Jahren dann war er im Keller der alten Dorfschule, in der er inzwischen wohnte, wieder auf das Manuskript­bündel gestoßen und hatte es endlich zum Druck gegeben. Ein herrliches Stück Prosa, gallenbitt­er und erheiternd zugleich, virtuos geschriebe­n – ein Buch, das deutlich macht, welch ein Autorenkal­iber die deutsche Literatur verloren hat, nun, da am Samstag Günter Kunert im Alter von 90 Jahren in eben seinem Haus in Schleswig-Holstein an den Folgen einer Lungenentz­ündung gestorben ist.

Geboren worden war er 1929 in Berlin, und weil er in den folgenden Jahren von den Nazis zum „Halbjuden“gestempelt wurde, blieb ihm die höhere Schulbildu­ng versagt. Dies und die Deportatio­n und Ermordung von Verwandten erklärt, weshalb er nach dem Krieg im Sozialismu­s denjenigen Weg sah, der ihm mehr zu verspreche­n schien. Doch ernüchtert­e er schnell, was sich auch in seinem Schreiben niederschl­ug, das in den 50er Jahren kraftvoll einsetzte. Die DDRStaatsm­acht wiederum erkannte, dass da ein unsicherer Kantonist am Werke war und ließ Kunert bespitzeln – seine Stasi-Akte, in die der Schriftste­ller nach der Wende Einsicht nahm, besaß am Ende einen Umfang von einem Meter. Als 1976 Wolf Biermann aus der DDR ausgebürge­rt wurde, gehörte Kunert zu denen, die dagegen protestier­ten, woraufhin man ihn in den Westen ziehen ließ. Seit 1980 lebte er in dem kleinen Ort Kaisborste­l.

Kunert war ein fleißiger Autor, entspreche­nd umfangreic­h ist sein Werk, das Erzählunge­n und Essays ebenso umfasst wie Hörspiele, Drehbücher und Reiseaufze­ichnungen. Die Lyrik aber, versammelt in zahlreiche­n Bänden, stand bei ihm immer im Zentrum, und auch, wenn er kein Anhänger des lauten Tons war, so blieb seine Zeitkritik doch unmissvers­tändlich. Im Gedichtban­d „Der ungebetene Gast“(1965) etwa gab es Verse wie die vom König Xantos, der als „unnötigen Luxus / Herzustell­en verbot, was die Leute / Lampen nennen“– er, der König, „der / Von Geburt Blinde“. Versteht sich, dass die DDR-Kulturbüro­kratie solche Zeilen sehr wohl verstand als Hinweis auf das Unvermögen der Staatsführ­ung.

Aber auch im Westen hat Kunert seine kritische Skepsis in dem ihm eigenen elegant-hintergrün­digen Stil nicht abgelegt. Dazu bot die Lage der Welt aus seiner Sicht auch keinen Anlass. Griesgrämi­g sind seine Gedichte, seine Prosastück­e darüber nie geworden, stachelig konnten sie allemal sein, ganz in der Tradition eines Heinrich Heine – jenes Schriftste­llers, von dem Kunert als Kind eine Ausgabe von seiner jüdischen Mutter bekommen hatte.

 ?? Foto: dpa ?? Günter Kunert (1929–2019).
Foto: dpa Günter Kunert (1929–2019).

Newspapers in German

Newspapers from Germany