Die Brüder Moor sind jetzt Frauen
Schillers genderoptimierte „Räuber“bringen keine neuen Erkenntnisse
Memmingen „Es kommt darauf an“– so lautet das Motto für die neue Spielzeit am Landestheater Schwaben – neue Visionen zu entwickeln, wie es im Spielzeitheft weiter heißt. In einer Zeit des Umbruchs möchte Intendantin Kathrin Mädler mit Theater Fragen stellen: Wie können Menschen politisch handeln? Wie könnten heute Protest und Widerstand aussehen? Da passen Friedrich Schillers „Räuber“hervorragend an den Beginn der Spielzeit. „Wenn man eine politisch ausgelegte und kämpferische Spielzeit mit einem Klassiker eröffnen möchte, dann sind ja ,Die Räuber’ das Urstück dazu“, sagt die Intendantin.
Die junge Regisseurin Julia Prechsl hat Schillers Erstlingswerk mit Blick auf die Gender-Debatten gelesen und einige Männerrollen mit Frauen besetzt, darunter auch das gegensätzliche Brüderpaar Franz und Karl Moor. Die einzige Frauenrolle im Stück ist dann auch konsequenterweise mit einem Mann besetzt. Dieser interessante Ansatz einer Frauenperspektive auf eine nach bedingungsloser Freiheit strebenden Männer-Macho-Räuberwelt bringt jedoch keine neuen Erkenntnisse. Das tief psychologische und sprachlich feinfühlige Werk von Schiller bleibt in der Inszenierung der 27-Jährigen verschlossen und fiel als schwerer, meist nur halbdunkel ausgeleuchteter Brocken vor die Füße des Premierenpublikums, das wenig euphorisch applaudierte, dennoch die zweistündige Schwerstarbeit der Schauspieler mit einigen Bravos belohnte.
Die Besetzung der Rollen von Franz und Karl Moor mit Regina Vogel und Elisabeth Hütter hat trotz des engagierten Spiels nicht viel Wirkung, da die Inszenierung in postdramatischen Konventionen erstarrt. Das Geschehen wird ohne viel Bewegung und Körperlichkeit nicht voll ausgespielt. Selten wird der Text dialogisch und szenisch, vielmehr meist als Publikumsansprache nach vorne gesprochen. Chorisches Sprechen, akustische Dauerberieselung mit wenigen Ruhemomenten und ein Stahlgerüst mit mehreren Ebenen und Schrägen betonen den Oratoriencharakter. Gerne wird Wasser oder Blut über den Kopf gegossen.
Wo hingegen Gesten und Körperarbeit ins Spiel kommen, ist man sofort näher an den Figuren dran. Das ist ansatzweise bei den Räubern der Fall, die mit ihren Ticks und Zuckungen wie kindliche Neurotiker die Welt ohne Sinn und Ziel grausam zerbrechen. Berührend mit ihren manischen Unschuldsgesten ist Miriam Haltmeier als Hermann, der sich erst von Franz Moor als zerstörerisches Werkzeug gebrauchen lässt und dann doch Gewissen zeigt und den alten Moor – ideal besetzt mit André Stuchlik – am Leben erhält. Regelrecht belebend ist Agnes Decker mit einer grandiosen Einlage. Souverän und urkomisch macht sie den Auftritt von Kosinsky mit hyperaktiver Fahrigkeit greifbar. Wie sie ihre Figur dekonstruiert, sprachlich kommentiert und mit emotional glaubwürdigen Widersprüchen zum Flirren bringt, ist hervorragend. Von dieser Spielfreude und Leichtigkeit würde man gerne mehr sehen. Die Schauspieler aber wirken merkwürdig eingeklemmt in eine Inszenierung, die zu sehr auf Gesten und Zuspiel verzichtet.
Hervorzuheben ist noch David Lau, der einzige Mann mit Bart im Ensemble. Er verkörpert Amalia. Durch den klugen Schachzug der Regie, den Text von Karl Moors Geliebter zu streichen, entwickelt er eine enorme Kraft und Präsenz, die die einzigen Worte von Amalia „Tod ist meine Bitte nur!“noch erschütternder machen. Am Ende liegen alle tot auf der Bühne – nur Karl Moor übergibt sich noch lebend der weltlichen und geistlichen Justiz.
Mit diesen „Räubern“wird das Fehlen von Visionen thematisiert. Mit dem Zusammenbrechen von Lebensentwürfen geht es weiter. Am 26. Oktober mit „Ein Deutsches Mädchen“, das aus der NeonaziSzene aussteigt, und am 1. November mit der deutschen Erstaufführung eines erst jüngst entdeckten Romans („Der Reisende“) aus dem Jahr 1938 in der Regie von Kathrin Mädler. Die Räuber Weitere Vorstellungen am Landestheater Schwaben in Memmingen am 1., 5., 10. und 16. Oktober. Karten: 08331 - 94 59 16.