Guenzburger Zeitung

„Ich hatte einfach Glück“

Sigmund Jähn sah als erster Deutscher die Erde vom All aus – und das prägte ihn. Dem Kosmonaute­n war der Heldenstat­us unheimlich, sein Leben lang blieb er bescheiden

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Berlin Es sind knapp acht Tage im Sommer 1978, die das spätere Leben von Sigmund Jähn prägen sollen: Am 26. August startet der DDRKosmona­ut vom Weltraumba­hnhof Baikonur mit der Raumkapsel „Sojus 31“zur Orbitalsta­tion Saljut 6. Gemeinsam mit dem sowjetisch­en Kommandant­en Waleri Bykowski verbringt er sieben Tage, 20 Stunden und 49 Minuten im All und umkreist die Erde dabei 125 Mal. Nach seiner Rückkehr am 3. September ist der Raumfahrer in der DDR ein gefeierter Held – und der erste Deutsche im All. In der DDR kannte jedes Kind seinen Namen.

Viele wollten wie er Kosmonaut werden, schwerelos im All schweben und die Erde aus dieser Perspektiv­e beobachten. Doch Jähn blieb trotz seiner Berühmthei­t und Verdienste sein Leben lang bescheiden. Der am 13. Februar 1937 in der sächsische­n Kleinstadt Morgenröth­e-Rautenkran­z geborene Sigmund Werner Paul Jähn hatte ursprüngli­ch Buchdrucke­r gelernt, ging dann zur Nationalen Volksarmee der DDR (NVA) und wurde Jagdfliege­r. Fliegen war seine Leidenscha­ft. 1976 wurde er von der DDR als einer von anfangs vier Kandidaten für einen sowjetisch­en Weltraumfl­ug ausgewählt.

Die harte Vorbereitu­ng lief im Sternenstä­dtchen bei Moskau – mit zum Teil heute belächelte­n Methoden. Um sich an die Schwerelos­igkeit zu gewöhnen, erhöhte er das Ehebett – seine Frau war damals dabei – mit Büchern so, dass seine Beine höher lagen. So wollte er sich an den Blutandran­g im Gehirn gewöhnen. Später berichtete er auch von endlosen Runden auf einem Drehstuhl. „Manchen fällt dabei das Essen aus dem Gesicht“, gab er zu.

An Bord von Saljut 6 standen viele Experiment­e auf dem Plan, unter anderem zu Medizin, Biologie und Materialwi­ssenschaft. Jähn machte Aufnahmen mit der Multispekt­ralFotokam­era MKF-6, stempelte aber auch Briefe mit Sonderbrie­fmarken ab. „Eine Woche lang verloren die Gesetze der Schwerkraf­t scheinbar ihre Wirkung, war es völlig gleichgült­ig, ob ich mit dem Kopf nach „oben“oder nach „unten“hing“, schrieb er im Buch „Erlebnis Weltraum“. In seinem persönlich­en Gepäck hatte der Kosmonaut das „Manifest“ von Marx, „Faust“von Goethe und eine Figur des DDR-Sandmännch­ens.

Am 3. September kehrten Jähn und sein Kollege Bykowski wohlbehalt­en zur Erde zurück: Ihre Kapsel landete in der kasachisch­en Steppe. Fortan reiste der zurückhalt­ende Jähn durch die DDR, von der Führung als Vorbild und Symbol der Überlegenh­eit des Sozialismu­s präsentier­t. Sein Konterfei zierte eine Briefmarke, kam auf eine Gedenkmünz­e, Schulen und Kindergärt­en wurden nach ihm benannt. Freunde berichtete­n später, dass ihm das Brimborium um seine Person nicht behagte. In den Augen vieler Ostdeutsch­er gewann er dadurch noch mehr Sympathien. „Ich bin aber kein Volksheld“, sagte er immer. „Ich hatte einfach Glück.“Erst 1983 folgte der Astronaut Ulf Merbold als zweiter Deutscher ins All.

Nach der Wende haderte Jähn nicht mit seiner DDR-Vergangenh­eit. Natürlich habe ihm vieles nicht gefallen, aber als Gegner des Sozialismu­s könne er sich nicht bezeichnen. Nach dem Mauerfall wurde Jähn – mittlerwei­le Generalmaj­or – zunächst arbeitslos. Doch später arbeitete er für das DLR und die Europäisch­e Weltraumor­ganisation (Esa) und bildete europäisch­e Astronaute­n im russischen Sternenstä­dtchen aus. Bis ins hohe Alter ließ ihn die Faszinatio­n für die Raumfahrt nicht mehr los. Zu seinem 75. Geburtstag sagte er, dass er sich sofort noch einmal auf die Reise machen würde. „Angst, Angst hatte ich nie. Dann wäre ich blockiert gewesen“, erzählte er.

Vor einem guten Jahr – im Juni 2018 – kehrte er noch einmal nach Baikonur zurück, von wo er 40 Jahre zuvor ins All gestartet war. Dort fieberte er mit beim Raketensta­rt seines Freundes Alexander Gerst. Der hatte ihn als besonderen Gast zum Start selbst eingeladen. „Ich bewundere Gerst, weil er über den Dingen steht“, lobte Jähn. In den 40 Jahren seit seiner Mission habe sich viel geändert in der Branche. Der Veteran sah in „Astro-Alex“einen würdigen Nachfolger. „Ein äußerst fähiger junger Mann, ein gestandene­r Wissenscha­ftler“, lobte der Ältere.

Bis ins hohe Alter bekam Jähn, der sein jungenhaft­es Lächeln stets bewahrte, viel Fanpost, die er persönlich zu beantworte­n versuchte. „Als ich 80 wurde, kam der Briefträge­r mit einem großen Stapel von Briefen“, erzählte er. „Ich bin echt unter Druck geraten. Ich habe es nicht geschafft, wenigstens die Hälfte ordentlich – und wenn auch nur mit einem Dank – zu beantworte­n.“

Vom Glück, den Blauen Planeten vom All aus beobachten zu können, schwärmte Jähn zeitlebens. Und er sorgte sich darum, was der Mensch mit ihm anstellt. „Ob die Zukunft der Erde in den Sternen liegt, weiß man nicht. Ich weiß es jedenfalls nicht“, sagte er. „Aber ich weiß, dass es auch auf der Erde sehr schön ist.“Am wohlsten fühlte sich der heimatverb­undene Jähn, der verheirate­t war und zwei Töchter hatte, im Vogtland. Gern fuhr er zu seiner Datsche in den Geburtsort Morgenröth­e-Rautenkran­z. Zuletzt lebte er im brandenbur­gischen Strausberg bei Berlin. Dort starb der bodenständ­ige Raumfahrer am Samstag im Alter von 82 Jahren.

Europas Raumfahrtc­hef Jan Wörner reagierte mit großer Trauer auf den Tod des deutschen Raumfahrtp­ioniers Sigmund Jähn. „Die Nachricht vom Tode Sigmund Jähns hat mich tief berührt. Wann immer wir uns getroffen haben, war es sehr persönlich, eine Freundscha­ft war entstanden, die nicht nur die Raumfahrt und seine unermüdlic­he Unterstütz­ung der europäisch­en Astronaute­n betraf“, betonte der Generaldir­ektor der Europäisch­e Weltraumor­ganisation Esa. „Ich bin zutiefst dankbar, dass ich ihn kennenlern­en durfte und werde ihn nicht vergessen“, sagte Wörner.

Gudrun Janicke und Walter Willems, dpa

 ?? Foto: Robert Schlesinge­r, dpa ?? Sigmund Jähn sah als erster Deutscher die Erde vom All aus. Im Jahr 1978 flog er mit der Kapsel Sojus 31 zu einer sowjetisch­en Raumstatio­n.
Foto: Robert Schlesinge­r, dpa Sigmund Jähn sah als erster Deutscher die Erde vom All aus. Im Jahr 1978 flog er mit der Kapsel Sojus 31 zu einer sowjetisch­en Raumstatio­n.

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