Reggio-Kinderhaus Günzburg feiert seine Erweiterung
Das Evangelische Reggio-Kinderhaus in Günzburg hat eine zweite Krippengruppe bekommen. Wie dort gearbeitet wird und welche Gedanken hinter der Einrichtung stecken
Günzburg Einweihung und Tag der offenen Tür setzen den Schlusspunkt unter eine einjährige Bauphase bei laufendem Betrieb und markieren den Start der zweiten Krippengruppe im Evangelischen Reggio-Kinderhaus in Günzburg.
Seit 1996 gibt es die Kita unter der Trägerschaft der evangelischen Kirchengemeinde in einem Gebäude der Dr. Georg-Simnacher-Stiftung im Nordosten von Günzburg als Kindergarten, 2010 kam die erste Krippengruppe dazu. „Die zweite wurde nötig, da wir nicht einmal Plätze für Geschwisterkinder anbieten konnten“, schilderte Pfarrer Friedrich Martin die Situation. Es begann eine verhandlungs- und planungsintensive Zeit, Bezirk Schwaben und Stadt Günzburg mussten beteiligt werden. Zum Glück wurden nebenan Räume frei, sodass ein Mauerdurchbruch möglich war und neue Räume in die Kita integriert werden konnten. Ein Anbau auf der Südseite schuf weiteren Platz.
„Das alles ist nur möglich geworden, weil Architekt Martin Endhardt eine zuverlässige und sehr gute Arbeit geleitstet hat. Was ist er den Handwerkern hinterhergelaufen und hat manches Mal sogar um Angebote betteln müssen. Dank ihm und der Firmen aus der Region sind wir bisher im Kostenrahmen der geplanten 395 000 Euro geblieben“, sagte Pfarrer Martin bei der Eröffnung mit geladenen Gästen und einem gelungenen Auftritt der Kinderhaus-Band. Ein Dank galt auch Cornelia Reisenbüchler, die als Verwaltungsleiterin der SimnacherStiftung mit großem Entgegenkommen den Um- und Anbau begleitete.
Pünktlich zum Start des neuen Kita-Jahres am 1. September war alles fertig. „Hier kann ich forschen, staunen und die Welt entdecken“, ist das Motto, auf das Räume und Pädagogik ausgerichtet sind. „Die Kinder haben viele Entscheidungsfreiräume. Wir setzen ihnen kein starres Programm vor, sondern beobachten, was sie brauchen, was sie interessiert“, erklärte Kita-Leiterin Patrycja Grutza.
Die Kinder finden Alltagsmaterial vor, beschäftigen sich mit echten Dingen. Es gibt kein Mensch-Ärgere-Dich-nicht-Spiel, kein Puzzle, Steckspiel, Lego oder Playmobil. Vieles ist aus Abfall kreativ recycelt. Der neu entstandene Gruppenraum ist wie eine Wohnung mit Flur, Küche, Tisch und Sofa aufgebaut. Eine Treppe führt nach oben in eine Kuschelloggia mit Blick nach draußen und hinunter in den Gruppenraum. Um die Ecke gibt es ein mit viel Material ausgestattetes Atelier und vorne raus eine kleine Terrasse.
„Wir haben die Erfahrung aus fast zehn Jahren Krippengruppe in die neuen Räume gesteckt. Aus dem Katalog passte da fast nichts. Selfmade auf Ikea-Grundlage oder Schreinerarbeit war gefragt“, erzählten Grutza und ihre Stellvertreterin Tanja Weißenhorner, während sie Besucher in den neuangebauten Bewegungsraum führten, der mit wenigen Handgriffen in einen Schlafraum für die jüngsten KitaMitglieder umfunktioniert werden kann. Matratzen, Kissen, Decken und das eigene Kuscheltier liegen in einem Schrank bereit. Im Sanitärraum geht es nicht nur um Wickeln und Toilette gehen, kleinkindgerechte Becken laden zum Planschen und Entdecken des nassen Elements ein.
„Genießer-Lounge“ist im Kinderrestaurant an die Wand geschrieben. Die Tische sind gedeckt, mittags immer mit Stofftischdecke. „Kinder drücken sich vielfältig aus, sprechen 100 Sprachen. Wir hören aufmerksam zu und setzen Impulse, geben Anregung und Hilfe“, erklärte Grutza. Diese Wertschätzung des Kindes nahm Pfarrer Friedrich Martin auch in sein Segensgebet auf: „In jedem Kind lächelt uns der liebe Gott an. Dieser Satz macht etwas mit uns, wenn wir ihn ganz tief in uns verankert haben. Wir gehen anders mit unseren Kindern um.“
Im Landkreis Günzburg ist das Evangelische Reggio-Kinderhaus das einzige mit dieser ganz besonderen in der norditalienischen Stadt Reggio nell´Emila entwickelten Pädagogik. Und sie ist eine von 100 in Bayern ausgewählten Modell-Kitas für den Modellversuch Medienkompetenz in der Frühpädagogik zu stärken.
Die meisten Krippenkinder kommen im Alter von zehn Monaten. „Dann haben wir Zeit für eine zweimonatige Eingewöhnungszeit und die Eltern können am ersten Geburtstag des Kindes in den Beruf zurückkehren. Das ist auch ein Alter, in dem die Kinder sitzen und krabbeln können. Für jüngere Babys, die liegen, sind wir nicht ausgestattet“, so Grutza. Kommen die Kinder dann mit drei Jahren in den Kindergarten, werden sie Entdecker, im nächsten Jahr Konstrukteure und im letzten Jahr vor der Einschulung Wissenschaftler. Die drei Kindergartengruppen für die 75 Kinder sind damit nicht altersgemischt, sondern homogen. Die Gruppe bleibt bis zur Einschulung zusammen und verändert sich nicht jeden Herbst.
Mit einem Lächeln antwortet Patrycja Grutza auf die Frage, ob zum Geburtstag selbst gebackener Kuchen mitgebracht werden darf: „Ja klar. Der Geburtstagskuchen gehört dazu. Ganz individuell zu Hause mit der Mama zubereitet. Wir nehmen die Kinder an, wie sie sind.“Auch zum Tag der offenen Tür, den viele Familien für einen Besuch nutzten, gab es in der Küche neben der Gesunde-Pralinen-Werkstatt selbst gebackenen Kuchen zu kaufen.