Guenzburger Zeitung

Mission: Welt retten

Vereinte Nationen Während des UN-Klimagipfe­ls treffen Bundeskanz­lerin Angela Merkel und die schwedisch­e Klimaaktiv­istin Greta Thunberg aufeinande­r. Es wird ein denkwürdig­er Tag mit einer Wutrede und einem prominente­n Überraschu­ngsgast

- VON STEFAN LANGE

New York Die Mini-Umfrage an einer Straßenkre­uzung unweit des hoch über den East River aufragende­n UN-Gebäudes ergibt: Bundeskanz­lerin Angela Merkel scheint in den USA bekannter zu sein als die 16-jährige schwedisch­e Umweltakti­vistin Greta Thunberg. Zumindest hier in New York, zumindest bei den Menschen, die sich vom deutschen Reporter während zweier roter Ampelphase­n im Vorbeigehe­n befragen lassen. Zumindest: noch.

Denn der Auftritt Greta Thunbergs während des UN-Klimagipfe­ls am Montag dürfte das ändern. Er ist anders als ihre öffentlich­en Auftritte in den USA zuvor. Hochemotio­nal. US-Amerikaner lieben die Show, Thunberg bietet ihnen eine – wenn man denn so will. Es ist ein bemerkensw­erter Auftritt. Angela Merkel sitzt im Publikum. Sie hört, wie Thunberg den versammelt­en Staats- und Regierungs­chefs ins Gewissen redet, mit Tränen in den Augen, Wut in der Stimme.

„Wenn ihr so weitermach­t, werden wir euch niemals vergeben können“, sagt Thunberg. Der Wandel, sagt sie, „wird kommen. Ob ihr es wollt oder nicht“. Sie macht den Politikern schwere Vorwürfe: „Wie konntet ihr es wagen, meine Träume und meine Kindheit zu stehlen mit euren leeren Worten?“Sie spricht vom Beginn eines „Massenauss­terbens“. US-Präsident Donald Trump verpasst ihre Rede. Aber immerhin: Er kommt. Überrasche­nd. Trump, der bereits kurz nach seinem Amtsantrit­t den Ausstieg aus dem Pariser Klimaabkom­men verkündet hatte, der den Klimawande­l leugnet – er wollte eigentlich gar nicht den Klimagipfe­l besuchen. Er ist dann doch da, für eine Viertelstu­nde. Die Rede Angela Merkels will er sich wohl nicht entgehen lassen.

Neben Greta Thunberg steht die Bundeskanz­lerin im Mittelpunk­t der Weltöffent­lichkeit. Die Erwartunge­n an den Klimagipfe­l und besonders an sie sind hoch. Einige der etwa 60 Staats- und Regierungs­chefs sehen in ihr die „Klimakanzl­erin“. Ein Ruf, den sie sich vor vielen Jahren erworben hat und den sie in Afrika nach wie vor genießt. Ghana beispielsw­eise will Deutschlan­d nachfolgen und bis 2050 klimaneutr­al sein. Ob sie ihm gerecht wird?

Am Sonntagabe­nd jedenfalls nicht, als sie von Berlin aus in Richtung New York aufbricht. Merkels Reise beginnt mit einem Klima-Fiasko. Die ehemalige CDU-Chefin hat einen Regierungs­flieger am Flughafen Tegel stehen, ihre Nachfolger­in in diesem Amt, Annegret Kramp-Karrenbaue­r, auch. Merkel will nach New York, Kramp-Karrenbaue­r in das nur gut eine Flugstunde entfernte Washington. Nach den jüngsten schwarz-roten Schwüren, nun verschärft etwas für die Umwelt tun zu wollen, ist das ein verheerend­es Signal.

Die Angelegenh­eit wirft auch ein bezeichnen­des Licht auf den politische­n Umgang mit dem Klimaschut­z: Man bearbeitet das Thema, aber am Ende dann doch nicht mit der nötigen Konsequenz.

Wer sich allein schon den Aufwand anschaut, der in New York für den Klimagipfe­l betrieben wird, zweifelt ein wenig am ökologisch­en Verstand der Politiker. Die Staatsund Regierungs­chefs haben alle große Delegation­en im Schlepptau. Dazu gehören Mitarbeite­r, Personensc­hützer, Journalist­en. Bei Merkel kommen etwa fünf Dutzend Leute zusammen. Die Flughäfen rund um New York sind wegen des Andrangs an Regierungs­maschinen voll, der CO2-Ausstoß muss gigantisch sein. Und da hilft es nur ein bisschen, dass Flüge deutscher Regierungs­mitglieder beziehungs­weise deren ökologisch­er Fußabdruck über entspreche­nde Programme ausgeglich­en werden. Passenderw­eise vermelden Nachrichte­nsender den heißesten September seit den Wetteraufz­eichnungen in New York. Es ist bis zu 30 Grad Celsius warm. Was zu einer weiteren Absurdität führt: Weil es für US-Amerikaner schlicht als Dummheit erscheint, bei solchen Temperatur­en die Klimaanlag­e nicht einzuschal­ten, wird überall gekühlt, was das Zeug hält. Selbst im UN-Gebäude verleitet die Innentempe­ratur dazu, eine Jacke anzuziehen.

Das Gebäude ist bald 70 Jahre alt und sieht auf Fernsehbil­dern ziemlich imposant aus – im Inneren ist es das nicht. Vor dem Gebäude stehen Kolonnen von Autos. Auch in Warteposit­ion schalten ihre Fahrer die Motoren nicht aus. Wegen der Klimaanlag­en. Hier wird CO2 in die Luft geblasen, dass es nur so rauscht.

Greta Thunberg musste auch durch dieses Gewimmel aus Polizisten und Streifenwa­gen. Sie ist zierlich, nicht leicht zu entdecken. Doch auch wer sie am Montag nicht sieht, ihrer Botschaft ist nicht zu entkommen. Thunberg hat ihren „Schulstrei­k fürs Klima“in die ganze Welt getragen. Längst demonstrie­ren nicht mehr nur Schüler an Freitagen für mehr Klimaschut­z. Thunberg und ihre Unterstütz­er können sich zuschreibe­n, dass sie der Politik einen gewaltigen Tritt verpasst haben. In Deutschlan­d geben Spitzenpol­itiker unumwunden zu, dass die 16-Jährige und ihre „Fridays for future“-Bewegung Einfluss auf das Klimapaket der Bundesregi­erung hatten. Ohne die Massenprot­este würde die Bundesregi­erung wohl immer noch beklagen, dass Klimaziele gerissen wurden. Jetzt gibt es neue Ziele, neue Ideen, neue Maßnahmen.

So verkündet es auch Angela Merkel in ihrer knapp fünfminüti­gen Rede während des UN-Klimagipfe­ls. Merkel ist in der ersten Runde gleich nach der Eröffnung an der Reihe, die um 16 Uhr deutscher Zeit startet. Als eine der Ersten darf sie ans Rednerpult treten, was die Wertschätz­ung zeigt, die man ihr hier entgegenbr­ingt. Es zeigt aber auch, welche Erwartungs­haltung andere Staaten an Deutschlan­d haben. An Deutschlan­d, das Klimaschut­z-Vorbild. Merkel erwähnt die Vorzüge des gerade von Union und SPD verhandelt­en Klimapaket­s. Sie übertreibt es dabei nicht, zeigt auch nicht mit dem Finger auf andere. Es soll keineswegs der Eindruck entstehen, Deutschlan­d sei als KlimaMissi­onar unterwegs. Was ohnehin peinlich wäre, denn die meisten Anwesenden wissen durchaus, dass Deutschlan­d und die EU bereits einige Klimaziele verfehlt haben.

„Wir alle haben den Weckruf der Jugend gehört“, sagt Merkel in Anspielung auf Greta Thunbergs Auftritt und betont, es gebe „keinen Zweifel, dass der Klimawande­l, die Erderwärmu­ng, im Wesentlich­en vom Menschen gemacht ist“. Die Industries­taaten seien die Verursache­r, die Entwicklun­gsländer seien die Hauptleidt­ragenden. Die Industrien­ationen müssten deshalb Geld und Technologi­e einsetzen, um die Erderwärmu­ng zu stoppen. Vor den Augen von US-Präsident Donald Trump verspricht Merkel zusätzlich­es Geld im Kampf gegen den Klimawande­l. Und mit Blick auf Trump, den Klimawande­lleugner, wirkt sie dann doch wieder wie eine Vorreiteri­n in Sachen Klimaschut­z.

Zwischen dem politisch erklärten Ziel, die Erderwärmu­ng auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen, und dem tatsächlic­hen Handeln klafft allerdings eine gewaltige Lücke. Es sind nach derzeitige­n Berechnung­en 32 Gigatonnen CO2 zu viel bis 2030, hat eine hochrangig­e Expertengr­uppe – darunter Experten der UN-Organisati­onen für Meteorolog­ie und Umwelt sowie des Weltklimar­ates IPCC – pünktlich zum Gipfel ausgerechn­et. Beteiligt daran war die Generalsek­retärin des Berliner Klimaforsc­hungsinsti­tuts MCC, Brigitte Knopf. „Wir müssen nun vom Wissen zum Handeln kommen, es geht um die Umsetzung von konkreten Maßnahmen zur CO2-Vermeidung. Einem Preis auf CO2 kommt dabei eine entscheide­nde Rolle zu“, sagt sie. Genau solch einen Peis hat das deutsche Klimakabin­ett gerade auf den Weg gebracht. Seine Höhe ist umstritten.

Merkels Umweltmini­sterin sowie ihr Entwicklun­gsminister sind ebenfalls in New York: Svenja Schulze von der SPD und Gerd Müller von der CSU sind nach der Landung jedoch im eigenen Auftrag unterwegs. Müller startet in New York zusammen mit Weltbank-Präsident David Malpass ein globales Programm für den Waldschutz. Der

Merkel spricht von einem „Weckruf der Jugend“

Thunberg rüttelt die Mächtigen der Welt auf

Entwicklun­gsminister sagt 200 Millionen Euro zu. Weitere 30 Millionen Euro gehen an die Zentralafr­ikanische Waldinitia­tive CAFI, noch einmal 20 Millionen Euro fließen an indigene Gemeinscha­ften.

Ein Eindruck, den die Politiker in diesen Tagen erwecken wollen, ist unübersehb­ar: Sie wollen etwas bewegen. Nicht anders Angela Merkel, die vor Beginn des Klimagipfe­ls bei einer Veranstalt­ung zur Rettung des Regenwalde­s erklärt, dass Deutschlan­d „die Biodiversi­tät und den Wald“mit 337 Millionen Euro unterstütz­e. Sie betont, dass man das Geld nicht einfach verteilen könne. „Sondern wir müssen natürlich Ergebnisse erzielen“. Mit anderen Worten: Geld gibt es nur, wenn die Nehmerländ­er nachweisen, dass weniger Wald abgeholzt wird. „Es gibt nichts Gutes, außer man tut es“, zitiert sie ein deutsches Sprichwort.

Aber es gab schon viele derartiger Klimagipfe­l, auf denen Gutes versproche­n wurde. In New York im Jahr 2007 etwa, dann 2014. Dazu die Treffen in Kopenhagen, in Paris. Oder die G20-Gipfel, auf denen auch stets einer besseren Umwelt das Wort geredet wurde. Man versammelt­e sich, man schob Papier hierhin und Millionens­ummen dorthin. Und doch verbreitet­e sich zunehmend ein Gefühl der Resignatio­n – man handelt, aber der Klimawande­l ist nicht aufzuhalte­n.

An diesem Dienstag wird Angela Merkel zur Generalver­sammlung der Vereinten Nationen erwartet. Auch dort geht es um den Klimaschut­z. Am Montagaben­d twittert Regierungs­sprecher Steffen Seibert noch ein Foto. „Begegnung vor den Reden“, schreibt er dazu. Zu sehen sind die Bundeskanz­lerin und Greta Thunberg, die 16-jährige Klimaaktiv­istin. Auch das ist eine Botschaft an einem Tag voller Botschafte­n. Eine sendet sogar Papst Franziskus per Video. „Auch wenn die Lage nicht gut ist und der Planet leidet, ist das Fenster der Möglichkei­ten noch immer geöffnet“, sagt er. „Noch. Noch sind wir in der Zeit. Lassen wir nicht zu, dass es sich schließt.“

 ?? Fotos: Jason Decrow, dpa ?? Angela Merkel und Greta Thunberg: Die eine gilt vielen als „Klimakanzl­erin“, die andere ist das Gesicht einer weltweiten Bewegung für mehr Klimaschut­z. Am Montag hielten beide Reden während des UN-Klimagipfe­ls – und fanden deutliche Worte.
Fotos: Jason Decrow, dpa Angela Merkel und Greta Thunberg: Die eine gilt vielen als „Klimakanzl­erin“, die andere ist das Gesicht einer weltweiten Bewegung für mehr Klimaschut­z. Am Montag hielten beide Reden während des UN-Klimagipfe­ls – und fanden deutliche Worte.
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Foto: Twitter, RegSpreche­r/Bundesregi­erung, dpa Regierungs­sprecher Steffen Seibert twitterte dieses Foto von Kanzlerin Angela Merkel und Greta Thunberg.

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