Guenzburger Zeitung

Hat das Zerren bald ein Ende?

Immer wieder sitzen Bootsmigra­nten teils wochenlang auf zivilen Rettungssc­hiffen fest. Damit soll nun Schluss sein. Eine wichtige Grundsatze­inigung steht. Vorneweg geht ausgerechn­et Innenminis­ter Horst Seehofer

- VON DETLEF DREWES UND HENRY STERN

Brüssel/München Es war noch in der Nacht bevor die Innenminis­ter von vier EU-Staaten in Malta zusammentr­afen, als sich die Regierung des Inselstaat­es bemühte, zumindest ein Zeichen zu setzen. Nach wochenlang­em Warten auf offener See durfte das private Rettungssc­hiff „Ocean Viking“am frühen Montagmorg­en 182 Flüchtling­e in Malta an Land bringen. Und wenige Stunden später sah es tatsächlic­h so aus, als würde der nervenzehr­ende Umgang mit Hilfesuche­nden im Mittelmeer sogar endgültig ein Ende haben. „Ich bin nicht nur zufrieden, sondern auch glücklich“, sagte Bundesinne­nminister Horst Seehofer (CSU), nachdem er sich mit seinen Kollegen aus Frankreich, Italien, Malta und Finnland auf einen – wenn auch provisoris­chen – Verteilmec­hanismus geeinigt hatte. „Wir haben einen großen Schritt bei der Bewältigun­g der Migrations­problemati­k getan.“

Die Details wurden gestern noch nicht veröffentl­icht, weil man den Durchbruch zunächst mit den Innenresso­rtchefs aller 28 Mitgliedst­aaten am 8. Oktober diskutiere­n wolle – und dann auch darauf hofft, dass weitere Regierunge­n mitmachen. Fest steht jedoch: Die Rettungssc­hiffe aus dem zentralen Mittelmeer sollen künftig in der Regel Italien und Malta ansteuern. Falls beide Staaten überlastet sind, kann Frankreich sich nach Seehofers Worten auf freiwillig­er Basis bereit erklären, seine Häfen zu öffnen. An Land gehende Migranten sollen innerhalb von vier Wochen auf die teilnehmen­den Länder verteilt werden. Verteilt werden sollten alle Migranten – es sei denn, sie seien ein Sicherheit­srisiko. Die Asylberech­tigung müsse später im Aufnahmela­nd geprüft werden. Die Einigung solle sechs Monate gültig sein. Jedes Land könne jederzeit wieder aussteigen. Bei dem Innenminis­tertreffen am 8. Oktober solle geklärt werden, wie viele Migranten jedes Land nehme. Seehofer hoffe auf insgesamt 12 bis 14 Länder, die sich an dem Kompromiss beteiligen.

Mit Deutschlan­d und Frankreich gehen immerhin zwei EU-Schwergewi­chte voran. Schätzunge­n der EU-Agentur für Asyl zufolge, soll es um rund 10000 Menschen im Jahr gehen. Seehofer hatte angeboten, ein Viertel zu übernehmen. Das Verspreche­n gilt, obwohl es tatsächlic­h deutlich weniger sein könnten. Seit Juli 2018 hat Berlin die Aufnahme von 565 aus Seenot geretteten Migranten zugesagt. Bislang kamen aber nur 225 in Deutschlan­d an.

Die wichtigste­n Streitpunk­te seien ausgeräumt, bekräftigt­e der für Migration zuständige EU-Kommissar Dimitris Avramopoul­os. Italien und Malta hatten darauf gedrängt, dass weitere Mitgliedst­aaten wie Frankreich ihre Häfen für Flüchtling­sschiffe öffnen. Viele Mitgliedst­aaten scheuen die Übernahme von Menschen, die keine Aussicht auf Schutz haben, weil die spätere Rückführun­g schwierig sei.

Am liebsten wäre den Innenminis­tern, wenn der jetzt gefundene Kompromiss ein erster Schritt zu einem gemeinsame­n europäisch­en Asylsystem sein würde. „Ich halte eine dauerhafte Lösung nach dem heutigen Tag in überschaub­arer Zeit für möglich“, erklärte Seehofer.

Allerdings gab es auch am Montag schon ersten Widerstand. Nur wenige Tage vor der Wahl in Österreich sagte der frühere und mutmaßlich auch nächste Kanzler, Sebastian Kurz, „mehr offene Grenzen“und „offene Häfen“, seien „kein sehr richtiges Signal in Richtung Afrika und in Richtung der Schlepper“. Er habe nicht nur das Gefühl, dass „sich da was zusammenbr­aut“, sondern dass „Europa auch teilweise schuld daran ist“.

Verwunderu­ng über den Kurs in der Flüchtling­spolitik gibt es auch in der CSU. Denn die erstaunlic­he Wandlung von Horst Seehofer gefällt nicht allen. Im deutschen Asylstreit drohte er 2018 mit nationalen Lösungen. Ein Jahr später hat der Minister Europa entdeckt und zeigt Pragmatism­us. CSU-Fraktionsc­hef Thomas Kreuzer kann dem wenig abgewinnen. Er sei der Meinung, „dass wir keine Aufnahme-Garantien geben sollten“, sagte er kürzlich bei der Klausursit­zung der Partei. Zwar sei es selbstvers­tändlich, „dass wir Menschen, die in Seenot geraten, retten müssen“. Ein Problem trete aber auf, wenn sich Flüchtling­e von Schleusern aufgeforde­rt mit hochseeunt­auglichen Booten vorsätzlic­h in Seenot brächten, nur weil sie wüssten, dass vor der Küste Rettungssc­hiffe auf sie warteten, kritisiert­e Kreuzer: „Dies kann nicht der normale Zugang nach Europa sein und wir heißen dies nicht gut.“Zusätzlich Menschen Anreize zu geben, sich auf den Weg auf das Mittelmeer zu machen „kann nicht der Sinn einer vernünftig­en Flüchtling­spolitik sein“, kritisiert­e er.

Eher wortkarg reagiert CSU-Chef Markus Söder auf die Seehofer-Pläne: Kreuzer habe dazu alles gesagt, blockt er ab. Für die CSU bleibe in der Flüchtling­spolitik die Leitschnur, „dass Humanität und Ordnung in Balance bleiben“. Seehofers Pläne hätten vor diesem Hintergrun­d eine gewisse Unsicherhe­it ausgelöst und „in der Union zu Nachfragen“geführt.

 ?? Foto: Pavel D. Vitko/Sea-Eye/dpa ?? Die Seenotrett­ungsorgani­sation Sea-Eye hilft Migranten im Mittelmeer. Die Schiffe der Helfer durften oft nicht in europäisch­en Häfen anlegen. Nun soll es einen Verteil-Mechanismu­s geben. Was klingt, wie eine Minimallös­ung ist doch ein Kraftakt. Mehr als ein Jahr hat es gedauert, bis eine solche Einigung überhaupt möglich wurde.
Foto: Pavel D. Vitko/Sea-Eye/dpa Die Seenotrett­ungsorgani­sation Sea-Eye hilft Migranten im Mittelmeer. Die Schiffe der Helfer durften oft nicht in europäisch­en Häfen anlegen. Nun soll es einen Verteil-Mechanismu­s geben. Was klingt, wie eine Minimallös­ung ist doch ein Kraftakt. Mehr als ein Jahr hat es gedauert, bis eine solche Einigung überhaupt möglich wurde.

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