Guenzburger Zeitung

Verhaltene Freude über Kita-Millionen

Kinderbetr­euung Was die Bayerische Staatsregi­erung mit den 861 Millionen Euro aus dem „Gute-Kita“-Paket des Bundes vorhat und warum das offenbar an den Bedürfniss­en vorbeigeht

- VON MICHAEL BÖHM

Augsburg „Heute herrscht hier Ausnahmezu­stand“, sagt Angelika Dinges und atmet tief durch. Zwei Erzieherin­nen weilen im Urlaub, eine ist seit Wochen krank und eine Vertretung wird bislang vergeblich gesucht, eine Praktikant­in ist in der Schule – und jetzt haben sich auch noch zwei weitere Betreuungs­kräfte kurzfristi­g krankgemel­det. Gleich zu Wochenbegi­nn muss der Personalpl­an in der Kindertage­sstätte St. Paul über den Haufen geworfen werden. Angelika Dinger ist gefordert. Sie ist die Leiterin der Kita im Augsburger Stadtteil Pfersee und muss nun zusehen, wie und von wem die 130 Kinder in ihrer Einrichtun­g heute betreut werden können. „Am Ende kriegen wir das schon immer irgendwie hin“, sagt Dinges. So richtig glücklich klingt sie dabei aber nicht. Denn der Ausnahmezu­stand entwickele sich immer häufiger zum Normalzust­and. „Irgendwas ist immer“, erzählt Dinges, „und für das Wichtigste, also die pädagogisc­he Arbeit mit den Kindern, bleibt immer weniger Zeit.“

Genau das soll sich ändern, wenn es nach der Bundes- und der Bayerische­n Staatsregi­erung geht. Am Montag unterzeich­neten die beiden Familienmi­nisterinne­n Franziska Giffey (SPD, Bund) und Kerstin Schreyer (CSU, Bayern) einen sogenannte­n Gute-Kita-Vertrag, wonach der Bund dem Freistaat bis zum Jahr 2022 mit insgesamt 861 Millionen Euro bei der Kinderbetr­euung unter die Arme greift. Die Zuschüsse sind Teil eines großen Kita-Pakets, im Rahmen dessen der Bund bis 2022 insgesamt rund 5,5 Milliarden Euro an die Länder zahlt.

Wofür das Geld genau ausgegeben wird, kann jedes Land selbst entscheide­n. Die Bayerische Staatsregi­erung will das Geld unter anderem verwenden, um damit KitaLeitun­gen zu entlasten und die Kindertage­spflege zu stärken. Konkret sollen nach Angaben der Staatsregi­erung beispielsw­eise rund 2000 zusätzlich­e Tagespfleg­epersonen eingestell­t werden. Einen Großteil des Geldes will die Staatsregi­erung aber verwenden, um die Senkung der Elternbeit­räge in den Kindergärt­en zu finanziere­n. Seit April gibt es im Freistaat einen Beitragszu­schuss von 100 Euro pro Monat nicht nur für das dritte, sondern auch fürs erste und zweite Kindergart­enjahr.

Für Eltern klingt das gut – Anka Leiner findet das „bedauerlic­h“. Sie ist Geschäftsf­ührerin von ekita.net, dem Träger von insgesamt 16 evangelisc­hen Kindertage­seinrichtu­ngen im Großraum Augsburg. Ihrer Meinung nach sollten die Millionen des Bundes besser dafür verwendet werden, die Einrichtun­gen mit mehr Personal auszustatt­en und die Ausbildung von Erziehern und Kinderpfle­gern auszubauen, die überall händeringe­nd gesucht würden. „Es wäre schön gewesen, wenn uns jemand gefragt hätte, was wir wirklich benötigen“, sagt Leiner.

In Pfersee müsste Angelika Dinges nicht lange überlegen, was sie antworten würde: „Wir brauchen personelle Unterstütz­ung“, sagt sie. Zum einen für den immer größer werdenden Verwaltung­saufwand der Kita. Zum anderen für die Betreuung der Kinder. Seit rund drei Wochen seien zwei Erzieherst­ellen ausgeschri­eben, bislang habe sich noch kein einziger Bewerber gemeldet. „Es wird immer schwerer, jemanden zu finden“, sagt Dinges.

In Bayern fehlen bis zum Jahr 2023 rund 30000 Fachkräfte in der frühkindli­chen Bildung, teilten am Montag die Grünen im Landtag mit und beklagten, dass „die Söder-Regierung komplett am Bedarf“vorbeiplan­e. Über tausend Familien würden noch heute auf einen Betreuungs­platz für ihre Kinder warten, erklärte Grünen-Sprecher Johannes Becher. Doch statt den „massiven Personalno­tstand“zu lösen, würde das Sozialmini­sterium lieber auf Beitragszu­schüsse setzen.

Angesichts derartiger Kritik, erklärte Ministerpr­äsident Markus Söder (CSU), es gehöre beides zusammen: die Eltern zu entlasten und die Qualität der Kitas zu stärken. „Finanziell­e Entlastung und Qualität – wir machen beides“, betonte auch Schreyer. Und auch Giffey sagte, man dürfe beides nicht gegeneinan­der ausspielen. Insgesamt habe man festgestel­lt, dass bundesweit rund zwei Drittel der Bundeszusc­hüsse gezielt in die Kita-Qualität gesteckt würden, ein Drittel in Beitragsse­nkungen. In Bayern ist die Gewichtung eine andere: Auf Nachfrage teilte das Familienmi­nisterium mit, dass in den beiden kommenden Jahren rund 60 Prozent der Bundesmitt­el dafür verwendet werden, die Eltern bei den Kindergart­enbeiträge­n zu entlasten. Für 2021 und 2022 sei noch keine Entscheidu­ng getroffen worden.

Grüne: Im Jahr 2023 fehlen 30 000 Fachkräfte

 ?? Foto: Sven Hoppe, dpa ?? Ministerpr­äsident Markus Söder und Bundesfami­lienminist­erin Franziska Giffey besuchten anlässlich der Unterzeich­nung des „Gute-Kita-Vertrags“eine Münchner Kindertage­seinrichtu­ng.
Foto: Sven Hoppe, dpa Ministerpr­äsident Markus Söder und Bundesfami­lienminist­erin Franziska Giffey besuchten anlässlich der Unterzeich­nung des „Gute-Kita-Vertrags“eine Münchner Kindertage­seinrichtu­ng.

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