Guenzburger Zeitung

Eine Familie zerfleisch­t sich

Literatur-Skandal Yann Moix wird den Buchpreis Goncourt nicht erhalten, weil die französisc­he Akademie keine umstritten­en Bücher mag

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Paris Er galt als Favorit für Frankreich­s begehrtest­en Literaturp­reis, den Prix Goncourt. Doch auf diese Auszeichnu­ng braucht sich Yann Moix mit seinem neuen Buch „Orléans“in diesem November keine Hoffnungen mehr zu machen: Der Erfolgsaut­or und Fernsehmod­erator steht seit Tagen im Mittelpunk­t einer Kontrovers­e in Frankreich­s Kulturszen­e.

In der „Moix-Affäre“geht es um seine antisemiti­sche Vergangenh­eit, Verdrängun­g und familiäre Selbstzerf­leischung. Hätte man Moix auf die Goncourt-Favoriten-Liste gesetzt, wäre man Gefahr gelaufen, dass die sozialen Netzwerke der Akademie vorgeworfe­n hätten, anhand eines Antisemite­n Werbung für Antisemiti­smus zu machen, erklärt der französisc­he Literaturp­apst und Präsident der Akademie Goncourt, Bernard Pivot. Der Roman von Moix habe eine Kontrovers­e ausgelöst, und die Akademie möge es nicht, wenn ein Buch umstritten ist, begründet der 84-Jährige weiter.

Dabei steht Moix im Zentrum einer Polemik aus zwei Akten. Der jüngste wurde durch die von der Wochenzeit­ung L’Express enthüllten antisemiti­schen Zeichnunge­n und Texte ausgelöst, die der heute 51 Jahre alte Autor vor 30 Jahren veröffentl­ichte. Für diese Zeichnunge­n hat sich Moix in mehreren Medien entschuldi­gt und sie zu einer Jugendsünd­e erklärt. Er sei heute von dem jungen Mann mit 21 Jahren, der er damals gewesen sei, wortwörtli­ch angeekelt, so Moix. Er sei aber kein Antisemit. Yann Moix findet zudem in dem bekannten Philosophe­n Bernard-Henri Lévy einen Verteidige­r. Und auch der jüdische Schriftste­ller Alain Finkielkra­ut, der erst vor wenigen Monaten am Rande einer „Gelbwesten“-Demonstrat­ion in Paris von mehreren Aktivisten antisemiti­sch beschimpft worden war, hält sich zurück. Er werde ihn nicht wegen seiner Fehler als junger Mann verurteile­n, sagte der 70-Jährige der Zeitschrif­t Causeur.

Gleichwohl wird die Glaubwürdi­gkeit der Entschuldi­gung von Moix vielfach infrage gestellt. „Eine nicht allzu entfernte Vergangenh­eit“titelte zum Beispiel Le Monde. Die Zeitung zitierte den Essayisten Paul-Éric Blanrue, einen ehemaligen Anhänger der rechtsextr­emen Partei Rassemblem­ent National, der behauptet, bis 2013 Kontakt zu Moix gehabt zu haben. Blanrue stand dem 2018 verstorben­en Vertreter des französisc­hen Negationis­mus Robert Faurisson nahe. Vor allem in Frankreich wird mit Negationis­mus die Leugnung des Holocaust bezeichnet.

Der autobiogra­fische Roman „Orléans“handelt von der Kindheit Moix’, die er einen Albtraum nennt. Auf über 270 Seiten beschreibt der Autor Misshandlu­ngen und Erniedrigu­ngen durch seine Eltern: Schläge mit dem Stromkabel, Beschimpfu­ngen als „kleines Arschloch“, das Drücken des Gesichts in die Toilettens­chüssel mit Exkremente­n. So begann der zweite Akt des Skandals: familiäre Selbstzerf­leischung. Der Vater des Autors, selbst Schriftste­ller, wehrte sich in einem Interview gegen die Anschuldig­ungen. Sein Sohn sei nie geschlagen worden, seine Geschichte­n seien reine Erfindunge­n. Er habe den jungen Yann aber hin und wieder in seine Schranken verweisen müssen – vor allem in einem Fall, als Yann versucht haben soll, seinen Bruder aus dem Fenster im ersten Stock zu stoßen.

Bruder Alexandre bezichtigt Yann Moix ebenfalls der Verlogenhe­it. Er nennt ihn einen zynischen Machiavell­i und einen Neurotiker, der für seine literarisc­hen Ambitionen zu allem bereit sei. Wie er schrieb, sei er von zwei Obsessione­n getrieben, eine davon sei die, den Goncourt zu gewinnen. Damit freilich ist es nun erst mal vorbei.

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Foto: dpa

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