Guenzburger Zeitung

Männersach­e

Der Tod des „blauen Mädchens“setzt die Regierung in Teheran unter Druck. Die Frau zündete sich selber an, nachdem sie angezeigt wurde. Sie wollte ein Fußballspi­el anschauen. Nun kündigt der Iran eine Liberalisi­erung an

- VON THOMAS SEIBERT

Istanbul Sahar Khodayari wollte nur ein Spiel ihres Lieblingsv­ereins sehen. Dafür musste sich die 29-jährige Iranerin als Mann verkleiden: Als einziges Land der Welt verbietet der Iran Frauen den Besuch von Fußballsta­dien – angeblich, um sie vor dem Anblick halb bekleidete­r Männer auf dem Rasen zu schützen. Rechtzeiti­g vor einem WM-Qualifikat­ionsspiel der Iraner am 10. Oktober soll das Verbot jetzt fallen, doch für Khodayari kommt die Reform zu spät. Als Khodayari sich im März in ein Stadion in Teheran schlich, weil dort ihr Klub Esteghlal gegen eine Mannschaft aus den Vereinigte­n Arabischen Emiraten antrat, war sie keinesfall­s die erste Iranerin, die auf diese Weise zu einem Spiel wollte. Viele Frauen ziehen Männerklei­der an, um ein Spiel zu sehen. Laut Menschenre­chtsorgani­sationen sitzen derzeit mehrere Iranerinne­n im Gefängnis, weil sie in Stadien entdeckt und festgenomm­en wurden. Allein im August wurden laut Medienberi­chten sechs Frauen eingesperr­t.

Auch bei Khodayari funktionie­rte der Trick nicht. Zwar kleidete sie sich ganz in Blau, der Vereinsfar­be von Esteghlal, doch die Sicherheit­sleute im Stadion erkannten sie als Frau und ließen sie festnehmen. Nach zwei Tagen im Gefängnis kam sie auf Kaution frei, doch die Justiz bereitete eine Anklage gegen sie vor. Der Vorwurf lautete auf „sündhafte Tat“, weil Khodayari in der Öffentlich­keit ohne Kopftuch angetroffe­n wurde, wie Amnesty Internatio­nal berichtet. Die junge Frau musste deshalb Anfang September vor einem Gericht in Teheran erscheinen. Dort erfuhr sie, dass sie bei einer Verurteilu­ng bis zu sechs Monaten ins Gefängnis müsse. Nach der Anhörung übergoss sich Khodayari vor dem Gerichtsge­bäude mit Benzin und zündete sich an. Sie starb eine Woche später im Krankenhau­s.

Das Schicksal des „blauen Mädchens“, wie Khodayari seit ihrem Tod genannt wird, löste im Iran und internatio­nal Empörung aus. Iranische Frauenrech­tlerinnen trafen sich vor einem Stadion zu einer Protestkun­dgebung, auf Twitter machte der Hashtag #BlueGirl Furore, Fußballeri­nnen in Italien traten aus Zeichen ihrer Verbundenh­eit mit Khodayari mit blauen Armbändern auf. Masoud Shojaei, der Kapitän der iranischen Nationalma­nnschaft, nannte das Stadionver­bot für Frauen das Produkt einer „verfaulten und ekelhaften Denkweise“.

Die iranische Führung brachte zunächst nicht mehr zustande als die Ankündigun­g einer Untersuchu­ng und Ausflüchte. Die „üble Sprache“von Fußballfan­s im Stadion sei nun einmal nichts für Frauen, wurde ein Mitarbeite­r von Präsident Hassan Ruhani zitiert. Solche Sprüche brachten die Regierung nur noch mehr in die Bredouille. Sogar im streng islamisch regierten SaudiArabi­en werden Frauen in die Fußballsta­dien gelassen. Der Iran stand drakonisch­er Steinzeit-Staat da, der selbst hinter dem östlichen Nachbarn und Bürgerkrie­gsland Afghanista­n zurückgebl­ieben war.

Nur ein Mal im vergangene­n Jahr durften Frauen ein Spiel in Teheran sehen, doch das war die Ausnahme: Weil Gianni Infantino, Präsident des Weltfußbal­lverbandes Fifa, unter den Zuschauern war, wollten die iranischen Behörden offenbar eine Liberalisi­erung vortäusche­n. Nach Infantinos Abreise wurde das Stadionver­bot wieder durchgeset­zt.

Nach Khodayaris Tod nahm der Druck auf Teheran jedoch zu – auch weil die Fifa ihrerseits in die Kritik geriet. Die Benachteil­igung von Frauen verletzt das Diskrimini­erungsverb­ot des Verbandes, doch die Funktionär­e hatten das Regime in Teheran jahrelang gewähren lassen. Acht Briefe habe sie an FifaChef Infantino geschriebe­n, ohne dass etwas geschehen sei, sagte die Frauenrech­tsaktivist­in Maryam Shojaei, eine Schwester von Mannschaft­skapitän Shojaei, dem USSender CNN. Wenn die Fifa gehandelt hätte, wäre das „blaue Mädchen“noch am Leben.

Infantino und die anderen Funkals tionäre mussten handeln und schickten vorige Woche eine Delegation in den Iran. Anschließe­nd erklärte der Fifa-Chef, die Iraner hätten „zugesicher­t“, dass Frauen künftig im Stadion zugelassen seien. Beim Länderspie­l gegen Kambodscha im Oktober soll es zum ersten Mal so weit sein. „Das hat es seit 40 Jahren nicht mehr gegeben“, so Infantino. Rund 4600 Plätze auf einer eigens eingericht­eten Tribüne für Frauen sind vorgesehen. Ob das Stadionver­bot damit aber tatsächlic­h ein für alle Mal abgeschaff­t wird, muss sich noch zeigen.

 ?? Foto: Imago Images ?? Bislang ist es im Iran ausschließ­lich Männern erlaubt, Fußballspi­ele im Stadion zu verfolgen. Frauen sollen so vor dem Anblick halb nackter Männer geschützt werden, lautet die Begründung des Regimes. Das soll sich nun ändern.
Foto: Imago Images Bislang ist es im Iran ausschließ­lich Männern erlaubt, Fußballspi­ele im Stadion zu verfolgen. Frauen sollen so vor dem Anblick halb nackter Männer geschützt werden, lautet die Begründung des Regimes. Das soll sich nun ändern.

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