Sie liefern das Tafelsilber an deutsche Botschaften
Die Manufaktur Reiner aus Krumbach stellt seit 145 Jahren Silberbesteck her. Wie es dem Unternehmen gelang, auf wechselnde Trends und Moden zu reagieren
Krumbach Es ist ein kleiner Schatz, der da in Krumbachs Innenstadt ums Überleben kämpft: Die Silberwarenmanufaktur Reiner, 1874 gegründet, zählt zu den wenigen übrig Gebliebenen in der Branche. Die hochwertigen Accessoires der Tischkultur haben in der modernen, schnelllebigen Zeit mit ihren wechselnden Moden einen schweren Stand. Das betrifft nicht nur die edlen Bestecke. Auch Tafelgeschirr und feines Kristall verlieren immer mehr an Wertschätzung. Doch die Hersteller von Silberbesteck sind am meisten betroffen. Denn anders als Porzellan und Glas ist ein hochwertiges Besteck kaum kaputt zu bekommen. Es wird oft über Generationen vererbt.
Die kleine Manufaktur, in der die Familie Reiner und ihr Fachpersonal seit 145 Jahren Höhen und Tiefen durchlebt hat, will auch die Krise der Moderne meistern. Die Edelbranche hat vor und nach den kriegsbedingten Problemen lange von der Tradition der Aussteuer gelebt, weiß Reiner Liebenberg, der seit 1974 in der Geschäftsführung tätig ist. Traditionen sind weggebrochen. Dazu kommt der Trend, altes Silber über Onlineportale oder Auktionshäuser zu verkaufen, was den Manufakturen potenzielle Kunden wegnimmt. Robert Liebenberg: „Einen schweren Imageverlust mussten wir mit den aufkommenden Spülmaschinen verkraften. Das Gerücht, dass Silberbesteck nicht in die Spülmaschine darf, lässt sich nicht aus der Welt schaffen, obwohl es reiner Blödsinn ist.“Selbst Discounter böten heute Spülmittel an, die auf die Tauglichkeit für Silberbestecke hinweisen würden. „Am schlimmsten ist es, das Besteck ungenutzt in der Schublade zu lassen, da läuft es mit Sicherheit an. Mein Credo lautet: Nur Benutzen spart das Putzen. Tischkultur ist nicht zwangsläufig mit Mehrarbeit verbunden“, skizziert Liebenberg die Marktentwicklung.
„Gleichzeitig kam auch das Chromargan auf,“führt Reiner Liebenberg ein weiteres Problemfeld für die Silbermanufakturen an. „Zuvor war Besteck entweder aus Silber oder aus Blech, das sich verbog und zum Rosten neigte. Mit den neuen Edelstahllegierungen konnten Bestecke hergestellt werden, die gut in der Hand liegen, eine solide Qualität haben und natürlich wesentlich preiswerter sind als Silberware.“Die Folge: Viele Betriebe, selbst große Namen, sind verschwunden oder haben sich in ihrer Produktion Edelstahl umgestellt. „WMF, für die wir zehn Jahre die Silberbestecklinie produziert haben, ist aus dem Silbersegment ausgestiegen, Auerhammer hat aufgehört und viele andere ebenso.“Doch die „Gebrüder Reiner Silberwarenmanufaktur seit 1874“will sich gegen den Trend stemmen und die Kunst der Silberbesteckfertigung auf höchstem Niveau weiter tradieren.
Dafür haben die Geschäftsführer Reiner und Robert Liebenberg Strategien entwickelt, die die Zukunft des Familienunternehmens in der fünften Generation und darüber hinaus sichern sollen. Zu den traditionell gefertigten Tafelbestecken im klassischen Muster, allen voran dem Augsburger Faden, haben sie die Manufaktur mit der Auflage von Design-Besteck dem Trend der Zeit geöffnet.
Mit der Wiederauflage des Münchner Ratssilbers „Atelier“konnte Reiner einen dicken Fisch an Land ziehen: Sie erhielten den Auftrag, deutsche Botschaften auszustatten. „Auf solche Kunden müssen wir verstärkt unser Augenmerk richten. Edelgastronomie, gehobene Hotellerie und repräsentative Einrichtungen verwenden noch immer Silberbesteck. Hier sind wir international tätig, haben auch schon nach Monaco, in die USA, weltweit geliefert.“Modernes Silberbesteck werde heute von Produktdesignern kreiert. Eine weitere Strategie ist für Reiner die Kooperation mit anderen Manufakturen. Auch die Übernahme von Mustern, wenn Silberbesteckmanufakturen wie der Traditionsbetrieb Auerhammer die Nachfrage einstellen, ermöglicht es den Krumbachern, durch ein erweitertes Sortiment, flexibler auf die Nachfrage von Kunden einzugehen. „Derzeit haben wir zwölf gängige Muster, dazu weitere zwölf, die auf Nachfrage produziert werden können. Aber unser Haus verfügt über die kompletten Prägewerkzeuge für 150 Muster.“Pro Muster müssen für ein perfektes Tafelbesteck 24 unterschiedliche Teile, zwölf Essbeauf steckteile, zwölf Vorlegeteile hergestellt werden können. Die Kosten für eine solche Ausstattung vom Entwurf bis zur Herstellung der notwendigen Werkzeuge liegen für ein neues Modell derzeit bei rund 100 000 Euro. Eine solche Investition würde sich derzeit nicht rechnen.
Anders dagegen die zusätzlich eingeführte Sparte Dienstleistung. Mit der Aufarbeitung alter Bestecke wird heute in der Krumbacher Manufaktur ein Zehntel des Umsatzes erwirtschaftet. Messer, deren Schneiden unansehnlich geworden sind, verbogene Gabelzinken, krumme Löffel oder fleckige Oberflächen, bei Reiner wird die ursprüngliche Schönheit des Silberstücks wieder hergestellt. Auch die Abteilung Geschenke läuft gut. Besonders Tauf- oder Jubiläumsgeschenke sind nachgefragt. Edle Becher, Kinderbestecke, Rasseln stellen über den funktionalen Nutzen einen dauerhaften Wert. Diese Stücke, die Reiner von Spezialmanufakturen zukauft, werden dann im Haus von ausgebildeten Graveuren wie Michaela Vikari nach dem Wunsch des Kunden graviert.
Da die Verkaufsstellen für Silberwaren in den vergangenen Jahrzehnten dramatisch abgenommen haben, musste sich Reiner dem Onlinehandel öffnen. „Wir haben einen Online-Katalog erstellt, der für uns als Türöffner dienen soll. Eigentlich ist der übliche Weg der über einen Juwelier. Früher waren es 2500 Fachgeschäfte, inzwischen gibt es deutschlandweit nur noch 50 Läden, die Silberwaren führen. Interessenten müssen ins Internet gehen, um uns kennenzulernen. Wir versuchen dann, den Kunden an den nächstgelegenen Juwelier zu verweisen, wenn überhaupt einer in tolerierbarer Nähe ist.“Mit diesem Bündel an Strategien, in denen sich die Bewahrung einer alten Kunsthandwerkstechnik mit den Technologien der Jetztzeit verbinden, will Reiner auch in Zukunft produzieren und für Freunde der gehobenen Tischkultur eine Anlaufstelle bleiben.