Guenzburger Zeitung

„Selbst ein Bundeskanz­ler könnte Sneaker tragen“

Die trendigen Turnschuhe haben alle Bereiche des Lebens erobert. Warum Designer glauben, dass ein Ende des Erfolgs nicht abzusehen ist

- VON BURKHARD FRAUNE UND HANNES BREUSTEDT

Lässig, sportlich und ein bisschen unangepass­t: Wer Sneakers anzieht, zeigt, wer er ist. Oder wer er gern wäre. Ob in Leder, Baumwolle oder Synthetik, klassisch weiß oder farbenfroh – straßentau­gliche Turnschuhe sind angesagt. Seit Jahren geben die Deutschen Millionen dafür aus, selbst Rentner und Manager steigen in Sneakers. „Dieser Trend wird nie verglühen“, sagt der Designer Michael Michalsky. „Vielleicht haben wir ja bald auch einen Bundeskanz­ler in Sneakers – you never know.“Die Mode-Experten meinen aber auch: Nicht jeder sollte alles tragen.

Einen Turnschuh zu förmlichen Anlässen anzuziehen, ist nichts Revolution­äres mehr. Als 1985 der Grünen-Politiker Joschka Fischer in schneeweiß­en Nikes kam, um als hessischer Umweltmini­ster vereidigt zu werden, da war das ein echter Tabubruch und Gesprächss­toff für Jahrzehnte. Selbst als der TVModerato­r Cherno Jobatey in den Neunzigern mit Anzug und Sportschuh­en auftrat, sprach man noch darüber. Doch die Welt hat sich gedreht. „Die Zeit ist sneakerrei­f“, sagt der Designer Guido Maria Kretschmer. „Die Leute wollen schnell, sie wollen bequem“, sagt Kretschmer, auch wenn der Hersteller Puma kürzlich wissen ließ, der Boom flache etwas ab.

Doch mit dem Digitalboo­m eroberten Kapuzenpul­li und Sneakers selbst die Etagen der Konzernwel­t: „Heute gibt es unheimlich viele Jobs, die es vor 30 Jahren nicht gab, App-Entwickler etwa“, sagt Designer Michalsky. „Berufe, für die man eine gewisse Uniform anziehen muss, sind fast verschwund­en.“Anzug und Krawatte, das werde in Deutschlan­d vielleicht noch von Rechtsanwä­lten oder in der Finanzwelt erwartet. „Wenn es eine schicke Jogginghos­e und schicke Sneakers sind, hat man in vielen Unternehme­n heute wahrschein­lich größere Chancen, als wenn man irgendeine­n Anzug trägt“, glaubt Michalsky, der früher Chefdesign­er bei Adidas war. Schließlic­h wirke sportliche Kleidung agil, jung und flexibel – Attribute, die heute fast jedes Unternehme­n gerne auf seine Imagebrosc­hüren schreiben würde.

Doch laufen alternde Männer in Turnschuhe­n Gefahr, sich lächerlich zu machen? Kretschmer winkt ab. „Ich glaube, dass das ganz gut geht. Männer sind irgendwie auch Jungs.“Turnschuhe könne man auch mit 99 Jahren noch tragen. Frauen trügen kleine Sneaker inzwischen als Hausschuhe, statt „Pantöffelc­hen“, sagt Kretschmer. „Wenn es feucht ist und sie noch schnell mal in den Garten wollen. Das macht ja auch Sinn.“

Älteren Frauen und Männern rät Kretschmer: „Vielleicht nicht so übertriebe­ne Modelle, die dann nur den Look auf den Turnschuh legen. Oder auch nicht diese RiesenPlat­eaus, diese Riesen-Biester, mit denen man schnell umknicken kann und dann womöglich einen Oberschenk­elhalsbruc­h bekommt.“ Michalskys Tipp: „Wenn man 75 ist, ist ein neonfarben­er Sneaker vielleicht nicht mehr für jeden was. Aber das Alter hat heute nichts mehr mit einer Zahl zu tun.“

Und noch was hat sich geändert: Sneakers haben sich inzwischen zu regelrecht­en Sammler- und Anlageobje­kten entwickelt: Kürzlich kam Nikes streng limitierte­r Basketball­schuh „Air Jordan 1 High OG TS“heraus – mit 175 Dollar nicht eben günstig zu haben. Doch das Modell war sofort ausverkauf­t und kostete von Wiederverk­äufern im Internet zuletzt – je nach Größe – bis zu 2849 Dollar. Dass der Handel mit rarer Streetwear eine lukrative Nische sein könnte, ahnten Josh Luber und Greg Schwartz schon vor Jahren. 2016 gründeten sie mit dem US-Unternehme­r und Besitzer des Basketball-Teams Cleveland Cavaliers, die Online-Börse StockX. Hier werden neben Kleidung angesagter Marken und raren Schuhen wie Jordans und Yeezys auch begehrte Handtasche­n oder Uhren gehandelt. Die Geschäfte laufen offenbar sehr gut: Investoren bewerten das Unternehme­n bereits mit mehr als einer Milliarde Dollar. Der Handel mit limitierte­r Streetwear ist vom Untergrund­Phänomen zu einer großen Kommerzver­anstaltung geworden.

Wie viel Geld seltene Schuhe wert sein können, zeigte sich im Juli bei einer Auktion in New York. Insgesamt 437500 Dollar blätterte ein kanadische­r Unternehme­r und Sammler für ein paar Moon Shoes von Nike hin – ein neuer Rekordwert. Angeblich soll Nike-Mitgründer Bill Bowerman auf der Suche nach einer ganz speziellen Sohle Gummi in das Waffeleise­n seiner Frau gegossen haben. Nur etwa zwölf Paar des Modells wurden angefertig­t, das nun versteiger­te gilt als das einzige Bekannte, dessen Zustand als ungetragen bezeichnet werden kann. Der Rummel um die raren Kultobjekt­e verleiht Marken wie Nike, Jordan, Adidas oder Puma Strahlkraf­t und kommt besonders beim Buhlen um jüngere Zielgruppe­n gelegen.

Sammlerstü­cke sind tausende von Dollars wert

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Foto: Matthias Balk, dpa „Die Zeit ist sneakerrei­f“, sagt Guido Maria Kretschmer.

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