Guenzburger Zeitung

Wie Greta zur umstritten­en Ikone wurde

Anfangs galt die junge Schwedin als sympathisc­hes Gesicht der neuen Klimaschut­z-Bewegung. Inzwischen schlägt ihr immer öfter offener Hass entgegen. Wer steht hinter der 16-Jährigen und wer hat Einfluss auf sie?

- VON SARAH RITSCHEL UND MICHAEL POHL

Stockholm „Gretahat“. Inzwischen gibt es in Skandinavi­en einen eigenen festen Begriff für die Abneigung, die Greta Thunberg vor allem aus rechten Kreisen entgegensc­hlägt – mit „Gretahass“. Seit ihrer wütenden Rede beim UN-Klimagipfe­l, aber auch der Auszeichnu­ng mit dem Alternativ­en Nobelpreis verschärfe­n sich die Feindselig­keiten, die der 16-Jährigen entgegensc­hlagen. „Wie ihr vermutlich bemerkt habt“, schreibt auch Thunberg auf Twitter an ihre Netzgemein­de, „verfolgen sie mich, lästern über mein Aussehen, meine Kleidung, mein Verhalten und darüber, dass ich anders bin.“

In den vergangene­n Tagen haben sich auch in Schweden fast alle großen Zeitungen mit dem „Gretahat“auseinande­rgesetzt. Während manche Kommentato­ren der Meinung sind, die entgegensc­hlagende Wut sei in Wirklichke­it einfach eine Form der Kritik, mit der inzwischen jede Person in der Öffentlich­keit umgehen müsse, analysiert etwa die Boulevardz­eitung Aftonblade­t in einem detaillier­ten Psychogram­m, warum Thunberg sich so perfekt als Zielscheib­e des Spotts und Hasses eignet. Ein Punkt, der vor allem in Schweden die Verschwöru­ngstheorie­n blühen lässt, ist Thunbergs gut betuchte, berühmte und geschäftst­üchtige Familie.

Da ist ihre Mutter Malena Ernman, 49, groß, blond, Opernsänge­rin. 2009 trat sie für Schweden beim Eurovision Song Contest an, landete aber nur auf dem 21. Platz. Heute nimmt sie Engagement­s nur noch an, wenn sie per Bahn erreichbar sind, inszeniert sich wie ihre Tochter als Klimaaktiv­istin. Und da ist Gretas Vater, Svante Thunberg, 50, Schauspiel­er und mittlerwei­le sowohl Manager seiner Frau als auch Gretas. Er begleitet seine Tochter derzeit auf ihrer Reise durch Amerika.

Im August 2018 haben Gretas Eltern die Familienbi­ografie „Szenen des Herzens. Unser Leben für das Klima“veröffentl­icht. Prompt witterten und twitterten die Gegner der „Fridays for Future“-Galionsfig­ur: Greta sei nur eine Marionette ihrer Eltern, um deren wirtschaft­lichen Interessen zu befriedige­n. Dabei vergessen sie: Als das Buch erschien, hatte die heute 16-Jährige gerade erst mit ihren einsamen Klimastrei­ks begonnen. Es war nicht abzusehen, dass sie ein Jahr später eine Klima-Ikone würde. Anfangs war auf dem Buchcover auch noch Ernman selbst abgebildet, damals war sie die Berühmthei­t der Familie. Nun ist Greta das populäre Gesicht der Familie.

Wer die Biografie liest, kommt trotz eines allzu sentimenta­len Tonfalls der Person Greta Thunberg näher, das gestehen auch viele Kritiker im Internet ein. Die beschreibt, wie ihre Tochter, auf wenige Kilogramm abgemagert, ins Krankenhau­s kommt, weil sie sich wegen ihrer damals noch unerkannte­n Asperger-Erkrankung nicht einmal am Esstisch mehr zurechtfin­det. Nach und nach zeichnet sich ab, wie Greta ihre Familie zu Kämpfern für das Klima macht – und nicht umgekehrt. Der Kampf wird für die 16-Jährige zur Selbstther­apie und für die Familie ein Projekt, um der kranken Tochter zu helfen.

Für die Klimaschüt­zer und mehr noch für die Medien wird die 16-Jährige, die für ihr Alter eher kindlich wirkt, zur Protest-Ikone. Ein Kind, das dem nackten Kaiser der großen Politik die Wahrheit ins Gesicht sagt. Greta Thunberg wird plötzlich das bis dahin fehlende Gesicht der neuen Umweltschu­tzbewegung. Über die sozialen Netzwerke erreicht sie über Ländergren­zen hinweg in rasender Geschwinwe­ltweite digkeit die Jugend und versammelt als Vorbild sie hinter sich.

Doch nach wenigen Monaten muss sich Thunberg die Frage gefallen lassen, ob sie nicht von Erwachsene­n ferngesteu­ert ist. Die Verschwöru­ngstheorie­n machen sich weniger an ihren Eltern, sondern an dem schwedisch­en Internet-Unternehme­r Ingmar Rentzhog fest, der sich anfangs selbst als Gretas „Entdecker“feiert. Rentzhog hat eine kommerziel­le Internet-Plattform namens „We don’t have time“(„Wir haben keine Zeit“) gegründet, auf der sich Klimaschüt­zer weltweit vernetzen sollen. Für das Unternehme­n sammelte der erfolgreic­he PRManager bei Investoren umgerechne­t eine Million Euro Kapital ein.

Der bestens vernetzte Rentzhog ist es, der Thunbergs allererste­n Auftritt mit dem Schild „Schulstrei­k für das Klima“vor dem schwedisch­en Parlament auf Youtube und Facebook verbreitet. In Firmenpros­pekten wirbt Rentzhog mit der 16-Jährigen und macht sie zeitweise zur „Jugendbots­chafterin“seines Start-ups – bis Thunberg schnell die – ihrer Aussage nach unentgeltl­iche – Tätigkeit wieder einstellt.

Unumstritt­ener ist Thunbergs Zusammenar­beit mit dem britischen Klimawisse­nschaftler Kevin Anderson: Der 57-jährige Professor, der auch an der schwedisch­en Universitä­t Uppsala lehrt, diskutiert oft mit der Aktivistin und liest viele Reden Thunbergs gegen, ob die Fakten stimmen. Ihm komme die 16-Jährige dabei wie eine junge Institutsk­ollegin vor, sagte Anderson dem Spiegel: „Was Sie aus dem Mund von Greta Thunberg hören, ist das, worüber Greta Thunberg nachdenkt und was sie dann aufschreib­t“, betont er. „Sie ist nicht das Sprachrohr ihrer Eltern, einer PR-Kampagne oder von uns Wissenscha­ftlern.“

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Foto: Malin Hoelstad, Svenska Dagbladet/Imago Images Lange war die Mutter das berühmte Gesicht der Familie: Opernsänge­rin Malena Ernman mit ihrer Tochter Greta Thunberg im April 2018, bevor die junge Schwedin zur berühmten Aktivistin wurde.

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