Es gab sie doch: die Günzburger Hütte
Viele VfL-Mitglieder erinnern sich gut an die Auenalpe im Kleinwalsertal. Zehn Jahre lief der Pachtvertrag. Unser Autor verbrachte ein Gutteil seiner Kindheit dort
Günzburg Die Sektion Günzburg im Deutschen Alpenverein hat niemals eine Günzburger Hütte in den Bergen betrieben. So berichteten wir vor geraumer Zeit, und so weit stimmt das auch. Und doch gab es eine Unterkunft dieses Namens. Der VfL Günzburg verschrieb sich nämlich gleich in der Nachkriegszeit dem Wintersport und pachtete eine Hütte an. An diese Günzburger Hütte erinnern sich ältere Mitglieder und vor allem ein Zeitzeuge, der ein Gutteil seiner Kindheit dort verbrachte.
Mit Schwung und Enthusiasmus hätten einige VfL-Mitglieder in den Nachkriegsjahren angefangen, im Verein eine Abteilung Berg- und Wintersport auf die Beine zu stellen. Weiter heißt es in der Vereinschronik, habe sich der Vorstand entschlossen, eine Urlaubs- und Erholungsstätte in den Bergen zu schaffen. Nach zwei Jahren auf der Alpe Hohenegg bei Steibis sei der mittlerweile als Abteilungsleiter tätige Franz Bendl auf der Suche nach einem neuen Domizil in einem schneesicheren Gebiet im Kleinen Walsertal fündig geworden. Von ein paar einheimischen, österreichischen Bauern im Sommer als Sennhütte genutzt, habe der Verein das Gebäude für zehn Jahre gepachtet. Wie den VfL-Annalen weiter zu entnehmen ist, erlebte das vorwiegend aus Holz gebaute Haus in den Wintermonaten bald regen Zuspruch. Die nur einen Steinwurf vom für damalige Verhältnisse mondänen Sporthotel Auenhütte entfernt am Fuße des Hohen Ifen liegende und fortan Auenalpe genannte Unterkunft „wurde ein voller Erfolg“. Das, so der Chronikverfasser, sei nicht zuletzt den Hütten-WirtsEheleuten Michael und Maria Führer zu danken. Sie hätten es bestens verstanden, für das leibliche Wohl der Gäste zu sorgen.
Mit ihnen zusammen machte sich Sohn Peter im Dezember 1949 erstmals auf den Weg ins Kleine Walsertal. Im September in Günzburg eingeschult, sah sich der Knirps unversehens in die Bank einer kleinen österreichischen Nebenschule mit allen acht Klassen in einem Raum versetzt. Jahrelang beantwortete er die Frage der Gäste nach seinen Noten stolz: „Ich bin der Beste in meiner Klasse.“Was er in dem Zusammenhang nur zu gerne verschwieg: Er war auch der Einzige!
Bis zu eineinhalb Stunden, je nach Witterung, war der kleine Peter damals in den Wintermonaten mitten in der Nacht unterwegs, um in die Schule zu kommen. Es sind zwar mittlerweile fast 70 Jahre her, er erinnert sich freilich noch gut daran, dass er gelegentlich umkehrte und Papa Michael ihn ein Stück weit durch den dunklen Wald begleiten musste. Monatelang auf Skiern.
Das ließ ihn bald auch den vor der Auenalpe liegenden Olympiahang herunterbrettern. Der hat seinen Namen bis auf den heutigen Tag von einem ganz besonderen Ereignis. In der Region Garmisch-Partenkirchen, wo 1936 die Olympischen Spiele stattfanden, lag vor den Wettbewerben zu wenig Schnee und deshalb trainierten die Rennläufer zahlreicher Nationen auf dieser Abfahrt im Kleinen Walsertal.
Jahrelang machte sich die Familie Führer jeweils im Dezember auf den Weg zur Auenalpe. Im April, nach Ende der Skisaison, ging es zurück nach Günzburg. Für den Sohn war die Zeit des Umziehens mit dem Eintritt ins Gymnasium zu Ende. Die Eltern hängten noch ein paar Jahre dran, ehe sie sich beruflich für ein anderes Betätigungsfeld entschieden.
Wenig später lief der Pachtvertrag aus und eine Verlängerung erschien dem VfL-Vorstand nicht sinnvoll. Zu beträchtlich wären die Mittel gewesen, die ein notwendiger Umbau des Gebäudes verschlungen hätte. Die Unterbringung in den spartanisch ausgestatteten, nur nach Männlein und Weiblein getrennten drei Schlafsälen, in denen nicht selten über 40 Gäste nächtigten, war einfach nicht mehr zeitgemäß. Plumpsklo und ein Waschraum, in dem oft genug aufgetauter Schnee zur Morgentoilette genutzt wurde, weil die Wasserleitung bei anhaltendem Frost einfror, hätten außerdem umfangreiche Baumaßnahmen erfordert.
So sahen sich die Verantwortlichen 1959 gezwungen, die Günzburger Hütte aufzugeben. Ein Entschluss, den die VfL-Chronik „folgenschwer“nennt, „weil damit der Gruppe Berg- und Wintersport die Grundlage für ihr Weiterbestehen entzogen wurde“.