Entlastung für Pflegende kommt
Ein neues Gesetz soll Angehörigen den finanziellen Druck nehmen. Verbraucherschützern und Gewerkschaften aber geht das noch nicht weit genug
Berlin Tausende Angehörige von Pflegebedürftigen in Deutschland können aufatmen: Die Regierung hat das „Gesetz zur Entlastung unterhaltsverpflichteter Angehöriger in der Sozialhilfe und in der Eingliederungshilfe“auf den Weg gebracht. Hinter dem sperrigen Titel verbirgt sich vor allem finanzielle Entlastung für Angehörige. Künftig soll auf das Einkommen der Kinder von pflegebedürftigen Eltern erst dann zurückgegriffen werden, wenn sie mehr als 100000 Euro im Jahr verdienen. Kritikern geht die Entlastung allerdings nicht weit genug.
Nach Angaben der Bundesregierung können von der für das nächste Jahr geplanten Neuregelung rund 275 000 Angehörige profitieren. Darüber hinaus brauchen sich Eltern, die in ein Pflegeheim müssen, nun keine Gedanken mehr darüber machen, dass sie ihren Kindern über Gebühr auf der Tasche liegen.
„Die Pflege ist eine der großen gesellschaftlichen Fragen und sie ist Thema in allen Familien“, betonte die Staatssekretärin im SozialminisKerstin Griese (SPD). Die Art und Weise, wie ältere Menschen gepflegt würden, entscheide darüber, „wie menschlich unsere Gesellschaft bleibt“. Die Kosten von bis zu 319 Millionen Euro im Jahr sollen die Kommunen übernehmen.
Zuständig für die Berechnung des Eigenanteils sind grundsätzlich die Sozialämter. Sie sind bisher dazu verpflichtet, ausgelegte Pflegekosten unter bestimmten Bedingungen von den Angehörigen zurückzuverlangen. Künftig werden sie deren Einkommen erst angreifen, wenn es je unterhaltsverpflichteter Person über 100000 Euro liegt. Zum Einkommen zählen laut Gesetzentwurf auch Einnahmen aus Vermietung und Wertpapiergeschäften. Wer geringfügig mehr verdient, sollte dann darüber nachdenken, die Arbeitszeit zu reduzieren. Denn die Kosten können teilweise erheblich sein.
So verwies der Bundesverband der Verbraucherzentralen am Freitag darauf, dass der Eigenanteil, den Pflegebedürftige in stationären Pflegeeinrichtungen zahlen, im bundesweiten Durchschnitt mittlerweile bei mehr als 1900 Euro liegt. Verbandschef Klaus Müller forderte die Regierung deshalb auf, schnell zu handeln und das Gesetz zügig zu beschließen. Gleichzeitig machte Müller deutlich, dass weitere Schritte zur Entlastung der Angehörigen folgen müssten. Die steigenden Pflegeausgaben würden bisher allein den Pflegebedürftigen aufgebürdet, kritisierte er. Es sei deshalb dringend erforderlich, die Leistungen der Pflegeversicherung im Fall von Pflegebedürftigkeit zu erhöhen und an die Realität anzupassen.
Der Deutsche Gewerkschaftsbund schlug in die gleiche Kerbe. „Die Pflegeversicherung deckt derzeit nur einen Teil der Kosten bei Pflegebedürftigkeit ab“, erklärte Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach und schlug Alarm: Die steigenden Zuzahlungen stellen demnach für viele pflegebedürftige Menschen und ihre Angehörigen ein erhebliches Armutsrisiko dar. Buntenbach verwies auf eine Studie der gewerkterium, schaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung, wonach eine „Pflegevollversicherung“dieses Risiko deutlich senken würde. Die Studie rechnet vor, dass eine volle Absicherung der pflegerischen Leistungen bei einem geringfügigen Anstieg der Beiträge um 0,25 Prozentpunkte bis zum Jahr 2060 durchaus bezahlbar wäre.
Seit Oktober vergangenen Jahres ist die Eigenbeteiligung der Studie zufolge um mehr als 110 Euro auf fast 1930 Euro im Monat gestiegen. Mehr als 30 Prozent aller in einem Heim untergebrachten Pflegebedürftigen müssen Sozialhilfe in Anspruch nehmen. „Dieser Trend wird sich angesichts der Kosten für die dringend benötigten Reformen weiter rasant verschärfen“, warnte Buntenbach. Gegenwärtig werden rund 800 000 Menschen in Deutschland in Pflegeheimen betreut.
Das neue Gesetz bringt darüber hinaus auch Verbesserungen für Eltern mit behinderten volljährigen Kindern. Sie müssen künftig keine Zuzahlung zur sogenannten Eingliederungshilfe mehr leisten. Dieser Beitrag soll komplett gestrichen werden.
Jeder Dritte ist ein Fall für die Sozialhilfe