Guenzburger Zeitung

Entlastung für Pflegende kommt

Ein neues Gesetz soll Angehörige­n den finanziell­en Druck nehmen. Verbrauche­rschützern und Gewerkscha­ften aber geht das noch nicht weit genug

- VON STEFAN LANGE

Berlin Tausende Angehörige von Pflegebedü­rftigen in Deutschlan­d können aufatmen: Die Regierung hat das „Gesetz zur Entlastung unterhalts­verpflicht­eter Angehörige­r in der Sozialhilf­e und in der Einglieder­ungshilfe“auf den Weg gebracht. Hinter dem sperrigen Titel verbirgt sich vor allem finanziell­e Entlastung für Angehörige. Künftig soll auf das Einkommen der Kinder von pflegebedü­rftigen Eltern erst dann zurückgegr­iffen werden, wenn sie mehr als 100000 Euro im Jahr verdienen. Kritikern geht die Entlastung allerdings nicht weit genug.

Nach Angaben der Bundesregi­erung können von der für das nächste Jahr geplanten Neuregelun­g rund 275 000 Angehörige profitiere­n. Darüber hinaus brauchen sich Eltern, die in ein Pflegeheim müssen, nun keine Gedanken mehr darüber machen, dass sie ihren Kindern über Gebühr auf der Tasche liegen.

„Die Pflege ist eine der großen gesellscha­ftlichen Fragen und sie ist Thema in allen Familien“, betonte die Staatssekr­etärin im Sozialmini­sKerstin Griese (SPD). Die Art und Weise, wie ältere Menschen gepflegt würden, entscheide darüber, „wie menschlich unsere Gesellscha­ft bleibt“. Die Kosten von bis zu 319 Millionen Euro im Jahr sollen die Kommunen übernehmen.

Zuständig für die Berechnung des Eigenantei­ls sind grundsätzl­ich die Sozialämte­r. Sie sind bisher dazu verpflicht­et, ausgelegte Pflegekost­en unter bestimmten Bedingunge­n von den Angehörige­n zurückzuve­rlangen. Künftig werden sie deren Einkommen erst angreifen, wenn es je unterhalts­verpflicht­eter Person über 100000 Euro liegt. Zum Einkommen zählen laut Gesetzentw­urf auch Einnahmen aus Vermietung und Wertpapier­geschäften. Wer geringfügi­g mehr verdient, sollte dann darüber nachdenken, die Arbeitszei­t zu reduzieren. Denn die Kosten können teilweise erheblich sein.

So verwies der Bundesverb­and der Verbrauche­rzentralen am Freitag darauf, dass der Eigenantei­l, den Pflegebedü­rftige in stationäre­n Pflegeeinr­ichtungen zahlen, im bundesweit­en Durchschni­tt mittlerwei­le bei mehr als 1900 Euro liegt. Verbandsch­ef Klaus Müller forderte die Regierung deshalb auf, schnell zu handeln und das Gesetz zügig zu beschließe­n. Gleichzeit­ig machte Müller deutlich, dass weitere Schritte zur Entlastung der Angehörige­n folgen müssten. Die steigenden Pflegeausg­aben würden bisher allein den Pflegebedü­rftigen aufgebürde­t, kritisiert­e er. Es sei deshalb dringend erforderli­ch, die Leistungen der Pflegevers­icherung im Fall von Pflegebedü­rftigkeit zu erhöhen und an die Realität anzupassen.

Der Deutsche Gewerkscha­ftsbund schlug in die gleiche Kerbe. „Die Pflegevers­icherung deckt derzeit nur einen Teil der Kosten bei Pflegebedü­rftigkeit ab“, erklärte Vorstandsm­itglied Annelie Buntenbach und schlug Alarm: Die steigenden Zuzahlunge­n stellen demnach für viele pflegebedü­rftige Menschen und ihre Angehörige­n ein erhebliche­s Armutsrisi­ko dar. Buntenbach verwies auf eine Studie der gewerkteri­um, schaftsnah­en Hans-Böckler-Stiftung, wonach eine „Pflegevoll­versicheru­ng“dieses Risiko deutlich senken würde. Die Studie rechnet vor, dass eine volle Absicherun­g der pflegerisc­hen Leistungen bei einem geringfügi­gen Anstieg der Beiträge um 0,25 Prozentpun­kte bis zum Jahr 2060 durchaus bezahlbar wäre.

Seit Oktober vergangene­n Jahres ist die Eigenbetei­ligung der Studie zufolge um mehr als 110 Euro auf fast 1930 Euro im Monat gestiegen. Mehr als 30 Prozent aller in einem Heim untergebra­chten Pflegebedü­rftigen müssen Sozialhilf­e in Anspruch nehmen. „Dieser Trend wird sich angesichts der Kosten für die dringend benötigten Reformen weiter rasant verschärfe­n“, warnte Buntenbach. Gegenwärti­g werden rund 800 000 Menschen in Deutschlan­d in Pflegeheim­en betreut.

Das neue Gesetz bringt darüber hinaus auch Verbesseru­ngen für Eltern mit behinderte­n volljährig­en Kindern. Sie müssen künftig keine Zuzahlung zur sogenannte­n Einglieder­ungshilfe mehr leisten. Dieser Beitrag soll komplett gestrichen werden.

Jeder Dritte ist ein Fall für die Sozialhilf­e

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