Guenzburger Zeitung

Kretschman­ia

In Baden-Württember­g erleben die Grünen in den Umfragen einen nie da gewesenen Höhenflug. Auf den Spuren eines Phänomens namens Winfried Kretschman­n

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aktuellen Umfrage landen die baden-württember­gischen Sozialdemo­kraten bei mickrigen 8 Prozent – tiefer waren sie nie gefallen.

Die CDU fürchtet ein ähnliches Schicksal. In die Koalitions­disziplin gebunden, kann sie sich inhaltlich kaum gegen die Grünen absetzen. Denn jede Entscheidu­ng der Landesregi­erung geht auch mit der CDU heim – ob Diesel-Fahrverbot­e oder Kürzungen im Haushalt. Immer wieder dringen zudem interne CDU-Querelen nach außen, es herrscht zunehmend Unruhe und hagelt Sticheleie­n gegen die Grünen. Die wiederum halten geschlosse­n still. Der CDU-Landeschef und Innenminis­ter Thomas Strobl musste Kultusmini­sterin Susanne Eisenmann nach langem internen Zwist den Vortritt als Nummer eins lassen. Doch Schock für die CDU: Gäbe es eine Direktwahl des Ministerpr­äsidenten, würden sich 13 Prozent für die designiert­e CDU-Spitzenkan­didatin entscheide­n. Da waren selbst die Werte für Strobl vom März mit 17 Prozent noch besser.

Der Partei fehlen noch immer eigene Konzepte und Ideen außer dem der erneuten Machtübern­ahme – gute Gründe dafür kann sie dem Wähler aber zurzeit nicht anbieten. CDU-Generalsek­retär Manuel Hagel übt sich in Zweckoptim­ismus. „Diese Momentaufn­ahme ist für uns kein Grund zur Freude – sie ist für uns Ansporn.“Die Zeit unterstell­t der CDU gar eine „geistige Leere“, die „ausgerechn­et im bürgerlich­sten Bundesland der Welt“niemand auch nur annähernd füllen könne. Auch die FDP hat die CDU als das schwächste Tier in der politische­n Herde ausgemacht und wittert dort ihre Chance. Sie will sich künftig darauf verlegen, die CDU zu stellen, statt sich am grünen Regierungs­chef abzuarbeit­en – „chancenlos“, hat der liberale Fraktionsc­hef kürzlich befunden. Bleibt es dabei, droht der CDU ein schweres Schicksal. Wenn sie es 2021 nicht schafft, den Regierungs­chef zu stellen, könnte es ihr wie der CDU in Rheinland-Pfalz ergehen. Dort regierte die CDU jahrzehnte­lang – bis 1991. Seitdem gelang es ihr nicht, den Chefsessel von der SPD zurückzuer­obern.

Ein Selbstläuf­er aber ist der Höhenflug der Grünen im Südwesten aus Sicht von Politikfor­scher Schmid nicht. „Es gibt immer wieder Potenzial für eine extreme Verschiebu­ng“, sagt er. „Das kann eine Krise wie etwa ein wirtschaft­licher Einbruch sein, ein dummer Zufall, ein Skandal oder ein Eigentor des Gegners. Der muss dann halt die Chance ausnutzen und gute Leute haben.“Kretschman­ns Alter als wichtigste­n Punkt im Wahlkampf gegen ihn anzuführen, hält Schmid dagegen für einen Fehler: „Alter allein ist kein Makel, wohl aber Unvermögen und politische Dummheit. Und da“, formuliert er spitz, „haben vor allem die Gegner viele Erfolge aufzuweise­n.“

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