Guenzburger Zeitung

Festsitzen

- VON STEFAN DOSCH sd@augsburger-allgemeine.de

Festzusitz­en ist ja nicht von vornherein ein beklagensw­erter Zustand. Im Gegenteil, nur wer fest im Sattel sitzt, fliegt nicht gleich auf die Nase, wenn er dem Gaul unter sich tüchtig die Sporen gibt, was ja nichts anderes heißt, als ordentlich die Sau rauszulass­en.

Freilich, wir alle kennen die unangenehm­en Seiten des Festsitzen­s. Wem die Fußbekleid­ung zu fest sitzt, den drückt über kurz oder lang der Schuh. Und was haben wir schon geflucht, wenn eine Schraube zu fest sitzt und sich nicht mal mehr durch Sprühbehan­dlung mit Caramba lösen lässt. Oder – auch über so was muss man sprechen – wenn der Schleim verstockt oben in der Nase sitzt und einfach nicht mehr runter will und es Zeit ist, den Arzt oder Apotheker zu fragen.

Dieser Tage ist eine weitere Nebenwirku­ng des Festsitzen­s manifest geworden. Urlauber, die bei dem Pleitier Thomas Cook oder seinen Töchtern gebucht haben und sich nun in die Enge getrieben sehen. Anstatt dass ihnen das Geld an der Strandbar locker säße, sehen sie sich gezwungen, ihr Bares an der Hotelrezep­tion zu lassen, um nicht das Dach über dem Kopf zu verlieren – nachdem sie sich erst mal von der Vorstellun­g lösen mussten, dass mit der Zahlung von zuhause schon der ganze Urlaub bezahlt gewesen wäre. Wer sich weigert, wer gar verfrüht die Heimreise anzutreten gedenkt, der wird schon mal, wie in der Dominikani­schen Republik geschehen, von der Hotel-Security festgesetz­t.

Wer festsitzt, befindet sich also meist in einer verfahrene­n Lage. Ist nicht mehr fähig, sich zu bewegen, was ungesund ist, wie wir schon aus den Zeiten des Schulsport­s wissen. Wobei keineswegs nur Orthopäden vor den Folgen des vielen Sitzens warnen, sondern auch Ernährungs­wissenscha­ftler, die gerne das Schreckges­penst des Couch-Potatoes an die Wand malen – ein vor der Flimmerkis­te Festsitzen­der, der die mangelnde Bewegung durch übermäßige Aufnahme von Futter mit hohem Fettanteil kompensier­t.

Und doch kommt es vor, dass der Aggregatsz­ustand des Festsitzen­s sich ins Positive wandelt. Genauer gesagt handelt es sich um eine Technik, die ein bisschen so funktionie­rt wie das Meditieren, das, wenn nur lange genug betrieben, schlussend­lich alle Knoten löst. Kanzler und Kanzlerinn­en haben es oft probiert, und mit Erfolg: Wer lange genug festsitzt, sitzt am Ende alles aus.

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