Musikkabarett „Karl Valentin“begeistert in Leipheim
Mit ihrer Musikkabarettlesung „Abgründe eines Komikers“landeten Michael Lerchenberg und sein Cellobegleiter Jost Hecker im ausverkauften Leipheimer Zehntstadel einen Superknaller
Leipheim Zwei Stühle, ein Tisch, ein Bierkrug. Zwei missmutige Mannsbilder betreten die Szene. Der eine mit Blechtrommel, der andere mit Cello. „Fang ma an“sagt der eine, „hör ma auf“der andere. Gemeinsamer Abgang. Der voll besetzte Saal klatscht „Zugabe“. Die gibt es – und sie dauert an die drei Stunden. Was der einstige Nockerberg-Fastenprediger Michael Lerchenberg in sein Programm gepackt hat, ist, so sagt er, „ein Karl Valentin, den man so noch nicht kennt“. Und recht hat er.
In einer Aura lustig-trauriger Melancholie-Heiterkeit gelingt ihm eine Hommage des Münchner Volkssängers mit Hang zum „aktiven Sadismus auf der Bühne“. Diese beleuchtet nicht nur seine knautschig querdenkende Seite. Sie legt auch die tränenschwer verdickten, von Pleiten, Misserfolgen und hypochondrischen Ausfällen begleiteten Abgründe des Vielweiberers und Liebhabers „g’wampeter“Soubretten offen.
Als Einzelkind „mit fast mehreren Geschwistern“(sie starben alle an Diphtherie) wuchs er auf, wurde zum spindeldürren, ausgefuchst herrlichqueren „Linksdenker“, entwickelte sich zum so ziemlich alle Tabus genüsslich verletzenden Aushängeschild humoristisch vermiester Spießbürgerlichkeit. Lerchenberg ist ein viel zu guter Schauspieler, um sein Idol nur plump zu kopieren. Er findet seinen eigenen, frech unbekümmerten, zuweilen zu explodierender Eruption aufgeputschten Stil.
Mischt die Originaltexte mit denen von involvierten Zeitgenossen, kleidet sie in kontrastreiches Profil, setzt punktgenaue Pointen, macht aus Wortspielen sprachartistische Delikatessen. Lässt in der „Handtasche“– „meine Frau hat bald Weihnachten“– vulgär-erotische Bekümmernisse „schlaffe und steife“Purzelbäume schlagen. Herrlich die zartsüffigen Schlenker, die er seiner selbstgespielten Ehefrau im „Hasenbraten“in die heiße Suppe legt, die Leichtfüßigkeit, wie er’s nach allen Regeln der Wortverdrehungskunst mit seiner Gspusi auf dem Heuboden treibt, „halt dir die Augen zu, dann hör’ i, ob i di riech!“
Nein, als retrospektiven Nostalgieclown setzt er seinen imaginären Hauptdarsteller nie in Szene. Vor allem nicht im zweiten Teil des Abends, wenn er ihm die Soubrette Elisabeth Wellano, alias Liesl Karlstadt, zur Seite stellt, die von Valentins Mitspielerin zum Sparringspartner (meist im männlichen Fach), dann zur Lebensabschnittsgefährtin aufsteigt. Und schließlich als Hauptdarstellerin in einem Salondrama – „ich bin Nervenärztin und im Nebenberuf Komikerin“– mit Trennung und Burn-out-Syndrom endet.
Zuvor allerdings setzen sie alle pseudobürgerliche Schaukelstuhlhäuslichkeit mit ihrem „Firmling“, rigoros und vollbluthumorig, schachmatt. Lerchenberg gibt sich als Alleindarsteller konstitutioneller Humor-Aristokratie. Ein Kabinettstückchen schauspielerischer Potenz, das allein schon den Besuch wert wäre. Er gestaltet das, im perfekt-chaotischen Tohuwabohu, in Schnaps und gastronomischem Kleinholz endende Stück Münchner Wirklichkeit, als vierstimmig vollrohr losgepowerten, bildungsbayerischen Kulturbeitrag, ohne jegliche Beschönigungstendenz. Peperls finales Konfirmandenfazit: „So eine Gaudi!“Brillant!
Jost-H. Hecker mit seinem Cello („hätte man ihm Kunstdünger gegeben, wäre es ein Kontrabass geworden“) ist dem Schauspieler, Regisseur und Intendanten Lerchenberg ein Partner auf Augenhöhe. Rein optisch, in seiner hager-ätherischen Sparsamkeitsgestik, hat der Musiker sogar eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Fixstern Münchner Volkssängerkunst. Sein musikalisches Können äußert sich in leichtgewichtigen Songverschnitten und eminent schwierigen Mehrfachgriffen. Seine sängerische Potenz im Wettlauf mit tickendem Metronom und tausendundeiner Zutat für „Russischen Salat“. Eine im Presto abschnurrende Bravournummer, sprachlich sich streng an das bayerische Reinheitsgebot haltend. Kann er das Tempo halten? Er kann, schwer atmend, mit Schweißperlen auf der Stirn. Diebisch grinsend kommentiert Lerchenberg: „Auf satte 200 hat er es geschafft.“
Die kurzweilige Dreistunden-Eskapade Valentinscher Spitzfindigkeiten endet mit seinem allerletzten Text. Wie aus der Realität gefallen klingen, zu berührend begleitendem Cellogesang, seine expressionistisch-dadaistischen Wort- und Satzkonstruktionen „la-la-la, li-li-li, wenn die Katz kikerikiet, und zum Schluss muss ich schlussen.“