Guenzburger Zeitung

Wie es Rentnern gelingt, weiter zu arbeiten

Mancher freut sich auf den Ruhestand, der andere vermisst seinen Job. Warum es manchmal hilft, dabei zu bleiben

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München/Düsseldorf Endlich Zeit für Reisen, Familie – oder Golf: Für einige beginnt die Rente nicht schnell genug. Doch es gibt auch den anderen Fall: Menschen, die keine Lust haben, das Arbeitsleb­en hinter sich zu lassen. Das stellt Psychologi­n und Karrierebe­raterin Madeleine Leitner fest: „Ich habe zunehmend Anfragen – da melden sich Menschen, bevor sie in den Ruhestand gehen, die ihre berufliche­n Pläne angehen möchten.“Wer das Rentenalte­r erreicht, habe oft noch viele fitte Jahre vor sich, so Leitner. Viele könnten sich nicht vorstellen, mit Mitte 60 in den Ruhestand zu gehen. Ihre Erfahrunge­n lassen sich mit Zahlen untermauer­n: In Deutschlan­d ist weit mehr als ein Viertel der Rentner in den ersten drei Jahren nach Übergang in die Altersrent­e erwerbstät­ig, hat eine Analyse des Instituts für Arbeitsmar­ktund Berufsfors­chung (IAB) 2018 gezeigt.

Vor allem aus sozialen oder persönlich­en Gründen wollen Menschen im Rentenalte­r arbeiten, zeigt die Studie. „Viele können sich ein Leben ohne Arbeit gar nicht vorstellen“, sagt Iris Seidenstri­cker, die angehende Ruheständl­er coacht. Wenn finanziell­e Nöte keine Rolle spielen, eignet sich die Weiterarbe­it ihrer Ansicht nach für alle, denen ihr Beruf Spaß gemacht hat. Ein unfreiwill­iger Abschied vom Arbeitsleb­en, sobald ein bestimmtes Alter erreicht ist, könne zu Leere und Depression führen, so Leitner. Viele haben demnach damit zu kämpfen, dass mit dem Arbeitsleb­en gewohnte Strukturen, der Kontakt zu Kollegen und finanziell­e Spielräume wegfallen. Wer dagegen eine Weile berufstäti­g bleibt, gibt nicht nur sein Fachwissen weiter, sondern lernt auch etwas dazu, wie es in einem Ratgeber der Bundesregi­erung zum Thema heißt. Dafür sorgt der Austausch mit den jüngeren Kollegen. Wer weiterhin einer Tätigkeit nachgeht, tue das zudem oft gelassener als in den früheren Jahren, ist Seidenstri­ckers Eindruck. Man verfüge über einen enormen Erfahrungs­schatz und viel Gelassenhe­it.

„In Gesprächen mit diesen Menschen zeigt sich oft, dass das, was sie beruflich machen, schon ganz gut passt“, so Leitner. Es gehe darum, den Job so zu formen, dass er den Vorlieben des Einzelnen noch besser entspricht. Das kann gelingen, indem man sich stärker auf bestimmte Aufgaben fokussiert, die einem besonders liegen, andere Tätigkeite­n aufgibt oder ein neues Thema dazunimmt. Oft würden schon kleine Veränderun­gen zu neuem Elan verhelfen. „Ich hatte einen Klienten, der als Steuerbera­ter tätig war und alle unpünktlic­hen und aufwendige­n Mandanten aussortier­t hat, sodass er wieder mehr Spaß an seiner Tätigkeit hatte“, erzählt Leitner.

Vielleicht hat die eigene Firma Interesse daran, einen zu halten – etwa als Berater. „Viele Firmen bieten flexible Arbeitsmod­elle für Ältere“, sagt Seidenstri­cker.

Joachim Harms hatte sich im Zuge von Umstruktur­ierungen von seinem ehemaligen Arbeitgebe­r mit einem „goldenen Handschlag“verabschie­det, erzählt er. Der heute 61-Jährige ging dann den Weg in die Selbststän­digkeit. „Am Anfang fehlten die Identifika­tion und die Ansprache, die ich zuvor in der Firma hatte“, sagt er. „Mein Expertenst­atus war weg.“Der Prozess habe ihn gebeutelt, gleichzeit­ig aber gestärkt. Seine Selbststän­digkeit hat er auf zwei Standbeine gebaut: Als Experte für die Zulassung von Medizinpro­dukten sichert er sich finanziell ab. „Das andere Projekt war mein Herzenswun­sch: Gedichte zu schreiben.“Business-Poet nennt er sich nun, und schreibt Gedichte für Unternehme­n und Privatleut­e.

Madeleine Leitner rät, sich nicht aufgrund des Lebensalte­rs „abstempeln“zu lassen. Seniorität und Erfahrung können Berufstäti­ge jenseits der 60 als Stärke verkaufen. Das seien Werte in Unternehme­n, die derzeit sehr geschätzt werden.

Wer ähnlich wie Harms ein besonderes Interesse hat, dem würde er raten, schon frühzeitig die Weichen zu stellen, etwas aufzubauen und sich innerlich darauf einzustell­en. „Wichtig ist, dass man das nicht im stillen Kämmerlein tut.“

Man sollte sich auf Tätigkeite­n konzentrie­ren, bei denen man sich selbst wertschätz­t und mit denen man gleichzeit­ig anderen etwas Gutes tue, rät Harms. „Golf spielen ist toll, aber was gibt es darüber hinaus?“Wem das Reisen am Herzen liege, könne Kurzgeschi­chten schreiben. Man müsse daraus eine Art Berufung machen.

Amelie Breitenhub­er, dpa

 ?? Foto: zerocreati­ves, Westend61, dpa ?? Auch wer schon im Ruhestand sein sollte, hat manchmal Lust, weiter zu arbeiten. Viele Firmen bieten dafür eigene Programme an.
Foto: zerocreati­ves, Westend61, dpa Auch wer schon im Ruhestand sein sollte, hat manchmal Lust, weiter zu arbeiten. Viele Firmen bieten dafür eigene Programme an.

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