Guenzburger Zeitung

„Die Wahl zwischen Pest, Cholera und Ebola“

Der Politikber­ater Thomas Hofer über die Koalitions­optionen von Sebastian Kurz

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Herr Hofer. Sechs von zehn Österreich­ern haben konservati­v, stramm konservati­v oder bürgerlich-liberal gewählt. Ist Österreich schon reif für eine schwarz-grüne Koalition?

Hofer: Die Frage ist berechtigt. Es gibt zwar viele Fans einer solchen Koalition. Aber viele Wähler, die Sebastian Kurz aus der FPÖ gewonnen hat, und die ihm zu diesem Sieg verholfen haben, wären damit sicher nicht einverstan­den. Ich halte eine solche Koalition für alles andere als sicher, zumal sie ja nur eine Mehrheit von wenigen Mandaten hätte. Mit den Grünen aus Tirol, Vorarlberg oder Salzburg wäre SchwarzGrü­n kein Problem, das sind eher bürgerlich­e Grüne. Im Nationalra­t aber sitzen auch die deutlich linkeren Wiener Grünen – sie können ein echter Stolperste­in werden.

Kurz hat die Wahl mit dem Verspreche­n gewonnen, seinen Mitte-RechtsKurs fortzusetz­en. Wie soll das mit den Grünen gelingen? Denken Sie nur an die Migrations­politik.

Hofer: Die Grünen müssten einige Positionen räumen. Bei der Mindestsic­herung etwa, eine Art Unterhalts­leistung für Bedürftige, die auch viele Migranten erhalten, liegen Welten zwischen ihnen und der Volksparte­i. Vom Umweltbere­ich rede ich dabei noch gar nicht, da gibt es in der ÖVP nicht nur auf dem Wirtschaft­sflügel große Bedenken. Auch der Bauernbund ist sehr einflussre­ich in der Partei. Alles in allem müssten sich die Grünen deutlich mehr bewegen als Kurz – das kann für sie zu einer Zerreißpro­be werden. In einem Jahr wählt Wien, wo die Grünen aktuell 20 Prozent eingefahre­n haben. Diese gute Ausgangspo­sition werden sie durch viele Kompromiss­e mit der ÖVP nicht so leicht wieder riskieren wollen.

Auch die Grünen selbst zieren sich ja noch, die FPÖ will ihr Heil in der Opposition suchen. Hat Kurz womöglich gar nicht so viele Optionen wie es auf den ersten Blick den Anschein hat? Hofer: Kurz hat die Wahl zwischen Pest, Cholera und Ebola, um es mal etwas überspitzt zu sagen. So wirklich prickelnd ist keine der Optionen, die für ihn auf dem Tisch liegen. Auch die Stabilität­sfrage ist eine ganz zentrale: Mit den Freiheitli­chen hätte die ÖVP zwar inhaltlich eine weitgehend­e Übereinsti­mmung. Aber hielte eine solche Koalition auch fünf Jahre? Ein drittes Mal als Kanzler in vorgezogen­e Neuwahlen zu gehen – das wäre auch für den populären Kurz schwierig.

Vor der Wahl ist viel von der „DirndlKoal­ition“gesprochen worden, einem Bündnis aus Konservati­ven, Grünen und den liberalen Neos. Können Sie sich vorstellen, dass Kurz die Neos in eine Koalition holt, obwohl er sie rein rechnerisc­h gar nicht braucht?

Hofer: Ich schließe das nicht aus. Mit den Neos hätte er eine deutlich breitere Basis für seine Politik. Eine solche Koalition aber wäre noch schwerer zu managen, weil sich die Probleme mit einem zusätzlich­en Partner ja nicht nur addieren, sondern sich potenziere­n. Auf der anderen Seite hat Kurz in den vergangene­n Jahren gezeigt, dass er den anderen strategisc­h haushoch überlegen ist.

Halten Sie eine Neuauflage der Koalition mit den Sozialdemo­kraten für ausgeschlo­ssen?

Hofer: Nein, aber damit würde Kurz seine Veränderun­gserzählun­g gefährden, schließlic­h hat er sich über Jahre gegen diese Form der Zusammenar­beit gestellt und gewehrt.

Das heißt, die stabilste Variante ist die am wenigsten attraktive für ihn? Hofer: Das ist richtig. Kurz wird eine solche Koalition nicht anstreben, aber es kann sein, dass ihm am Ende gar nichts anderes übrig bleibt. Bei Ihnen in Deutschlan­d musste die SPD ja auch noch einmal in den sauren Apfel beißen, nachdem sich die FDP einem Jamaika-Bündnis verweigert hat. So etwas Ähnliches kann uns in Wien jetzt auch passieren. Interview: Rudi Wais

● Thomas Hofer ist einer der bekanntest­en Politikber­ater und Analysten in Österreich. Der 46-jährige hat Kommunikat­ionswissen­schaften, Anglistik und Politik studiert und lange als Journalist gearbeitet.

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Thomas Hofer

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