Ein Dorf kämpft um seine Post
Die Poststelle in dem knapp 2000-Einwohner-Ort Obergriesbach nahe Aichach ist Geschichte. So geht es derzeit vielen anderen Orten in der Region
Obergriesbach Ein Stempelkissen, eine DHL-Waage und eine Blechdose für Eddings, eine Schere und Stifte zieren den gelben Postschalter. Dieser steht akkurat neben Süßigkeiten und einer alten Kasse, wie sie Supermärkte zur Jahrtausendwende zuhauf besaßen. Das Posthorn auf der Front des gelben Schalters blättert bereits an einer Stelle ab. Kein Wunder. Seit 13 Jahren wandern Päckchen und Briefe darüber. Erst wiegen, dann stempeln, dann lagern. Irgendwie gehört der Postschalter zum Inventar in Birgit Ostermayrs Tante-Emma-Laden an der Hauptstraße in Obergriesbach im Kreis Aichach-Friedberg. Seit heute klaffen aber große Lücken auf zwischen der Wand und dem Tresen – zwischen Obergriesbach und der nächsten Postfiliale. Denn die Poststelle in dem knapp 2000-Einwohner-Ort ist Geschichte. Die Betonung liegt auf „knapp“. Doch dazu später mehr.
In den vergangenen 20 Jahren ist die Anzahl der Postfilialen in Deutschland um 900 gesunken. Das geht aus einer Anfrage der Linksfraktion im Bundestag hervor. Im Jahr 2000 soll es noch rund 13600 Filialen gegeben haben. Heuer sind es rund 12700. Davon gehören mehr als 90 Prozent privaten Händlern: Beispielsweise sind Postschalter in Lotto- und Zeitschriftenläden oder an Tankstellen integriert. Dazu auch der Postschalter von Birgit Ostermayr in Obergriesbach. Die Deutsche Post nennt das Partnerfilialen. Die Situation in dem kleinen Ort ist dabei längst kein Einzelfall. Gerade erst hat die Postfiliale in Deiningen im Landkreis DonauRies zugemacht, im City-Center in Gersthofen bei Augsburg schloss die Postfiliale Anfang des Jahres, im Kaufbeurer Ortsteil Neugablonz müssen die Anwohner schon seit dem vergangenen Jahr auf eine Poststelle verzichten.
In Obergriesbach gab es seit mehr als 140 Jahren eine Poststelle. So steht es in der Chronik des Dorfes. Zuerst war sie in das damals neue Bahnhofsgebäude integriert. Später wanderte eine Postservice-Stelle durch verschiedene Läden – bis zu Birgit Ostermayr. Hier stellte die Deutsche Post bis zuletzt sämtliches Equipment zur Verfügung: Postschalter, Waage, Briefmarken, das Postschild am Ladeneingang. Und Birgit Ostermayr nahm dafür die Pakete und Briefe an, verarbeitete sie und öffnete ihren Laden werktags mindestens eine Stunde. Dafür bekam sie 450 Euro im Monat. Sie bezeichnet das als „Taschengeld“. Nun spart die Deutsche Post aber selbst das Mini-Gehalt der 58-Jährigen ein.
Anfang September hatte eine Mitarbeiterin der Deutschen Post Birgit Ostermayr im Laden besucht und ihr die Kündigung überreicht. Der Grund: In Obergriesbach wohnen zu wenige Menschen – 36, um genau zu sein.
Die Bundesregierung hat die frühere Bundespost im Jahr 1995 privatisiert. Heute unterliegt die Post einer Kontrolle und Regulierung durch die Bundesnetzagentur. Die Behörde schreibt der Post vor, dass mindestens 12000 Filialen deutschlandweit vorhanden sein müssen. In Gemeinden mit mehr als 2000 Einwohnern muss es eine Poststelle geben – der Knackpunkt für Obergriesbach.
Nun müssen die Bewohner ins Auto steigen, um ihre Pakete und Briefe abzugeben – entweder nach Dasing oder nach Aichach. Das sind mindestens sechs Kilometer.
Schließende Poststellen sind längst keine Seltenheit mehr. Vor allem ländliche Gebiete, wie etwa in Obergriesbach, sind betroffen.
Gleichzeitig steigt das Briefporto der Post seit Jahren an. Waren es im Jahr 2015 noch 62 Cent für eine Briefmarke, sind es heute 80 Cent. Diese Entwicklung kritisierte die Linksfraktion im Bundestag zuletzt scharf und sprach davon, die Deutsche Post sei nicht mehr bürgernah. Eine Sprecherin der Deutschen Post wehrte ab und verwies auf längere Öffnungszeiten der Servicestellen und den Onlineservice.
Ein Streit, von dem die Poststelle in Obergriesbach nahe Aichach derweil wenig hat. Birgit Ostermayr versuchte zunächst mit einer Unterschriftenaktion ihren gelben Schalzählte ter für Obergriesbach zu behalten. Sie reichte eine Liste mit mehr als 600 Unterschriften bei der Bundesnetzagentur und der Deutschen Post ein – bislang ohne Antwort.
Derweil macht sich der Bundestagsabgeordnete für den Landkreis Augsburg-Land, Hansjörg Durz (CSU), für die Poststelle in Obergriesbach stark. In einem Schreiben, das unserer Redaktion vorliegt, fordert
Die Bürger kämpfen für ihre Filiale
er eine Stellungnahme der Post zu den Hintergründen über die Schließung.
Unserer Redaktion sagt Durz: „Es stechen zwei Punkte hervor, bei denen ich Aufklärung einfordere. Zum einen ist das die kurzfristige Benachrichtigung der Öffentlichkeit sowie der Inhaberin Ostermayr. Hätte man frühzeitiger von der Schließung erfahren, hätte die Politik zusammen mit Wirtschaftsvertretern und der Deutschen Post eine Lösung suchen können.“
Der zweite Punkt sei die Einwohnerzahl. Wenn Obergriesbach im folgenden Jahr die 2000er-Grenze überschreite, müsse wieder eine Stelle öffnen – deshalb fordert der Politiker eine dauerhafte Lösung. Das Ende zum Streit um die Postfiliale in Birgit Ostermayrs Laden bleibt offen. Denn eine Antwort der Deutschen Post steht noch aus.