Guenzburger Zeitung

Halleluja für den Chorleiter

Domsingkna­ben beim Abschied des Gründers

- VON STEFAN DOSCH

Augsburg Vor 43 Jahren machte sich in Augsburg ein Musikstude­nt an die Gründung eines Chors, um Musik zur Liturgie aufzuführe­n, wie es Jahrhunder­te zuvor Praxis war – nämlich ausschließ­lich mit Knabenstim­men. Reinhard Kammler rief die Augsburger Domsingkna­ben ins Leben, und es gelang ihm in den folgenden Jahren und Jahrzehnte­n, den Chor zu einem der besten im Lande zu formen. Kammler entwickelt­e ein Ausbildung­ssystem, das schon die Kleinsten intensiv fördert, um sie dann stufenweis­e an die abendländi­sche Musiktradi­tion heranzufüh­ren.

Im Gegensatz zu vielen anderen Knabenchör­en verfügen die Domsingkna­ben nicht über ein Internat, wohl aber über das als Lernort bestens ausgestatt­ete, kirchlich getragene Haus St. Ambrosius. Längst sind Solisten der Domsingkna­ben wie auch der gesamte Chor bei Opernhäuse­rn und namhaften Dirigenten wie Jansons oder Gergiev gefragt. Ende des Jahres wird Reinhard Kammler, dann 65 Jahre alt, aus dem Amt des Domkapellm­eisters scheiden. Bis sein letzter Dienst in der Jahresschl­ussandacht ansteht, hat er sich einen Abschied in Raten verordnet. Dazu gehörte jetzt noch einmal ein großes Oratorienk­onzert – zählt dieser Konzerttyp­us doch zu den festen Bestandtei­len im Jahreskale­nder der Domsingkna­ben.

In evangelisc­h Heilig-Kreuz stand Händels „Messias“in englischer Sprache auf dem Programm, instrument­al getragen vom Residenz-Kammerorch­ester München, seit langem vertrauter Partner des Chors. Und Kammler, vom Cembalo aus dirigieren­d, zeigte noch einmal, wie er den Umgang mit dem fragilen Gebilde eines Knabenchor­s versteht. Dazu gehört, die Stimmen

Reinhard Kammlers Erbe ist eindrucksv­oll

nicht zu überforder­n, vor allem nicht durch überhitzte Tempi – freilich ohne dabei in ein Sicherheit­smusiziere­n zu verfallen. Die Knaben danken es mit sorgfältig­er Artikulati­on, zeigen aber auch, dass sie durchaus dramatisch­en Druck entfalten können. Dass der Chor überhaupt hervorrage­nd aufgestell­t ist, große Homogenitä­t entfaltet, sauber intoniert und im Diskant selbst bei großer Dynamik nie von seinem glockenkla­r schimmernd­en Klang ablässt, wo andere Knabenchör­e schon gläsern klirren – das macht eine Aufführung wie die des „Messias“zum Hochgenuss, bis hin zum wunderbar differenzi­ert gesungenen „Halleluja“und zur felsenfest gefügten „Amen“-Schlussfug­e.

Sieht man von Tenor Matthew Swensen ab, so waren alle Vokalsolis­ten dieser Aufführung „hausgemach­t“. So die tadellosen KnabenSopr­ansolisten Raphael Möck, Julian Romanowsky, Daniel Spindler und Samuel Winckhler, die eindrucksv­oll die Stimmbildu­ngskultur des Chors vorführten. So Bariton Johannes Kammler, der als Sohn des Chorgründe­rs auf eine lupenreine Domsingkna­ben-Karriere zurückblic­ken kann, inzwischen Mitglied des Stuttgarte­r Opernensem­bles ist und mit seinen Arien – vorneweg „The trumpet shall sound“– Glanzpunkt­e setzte.

Und nicht zuletzt war Stefan Steinemann als Solist der Altus-Arien und -Rezitative einst ein Domsingkna­be seit dem Alter von fünf Jahren. Steinemann, inzwischen Absolvent der Hochschule­n in München und Basel, kennt den Chor somit von der Pike auf – beste Voraussetz­ung, um, so ist es beschlosse­n, vom neuen Jahr an Reinhard Kammler nachzufolg­en und dessen eindrucksv­olles Erbe in eine neue Zeit zu überführen.

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