Guenzburger Zeitung

Strahlende Legende mit Schattense­ite

Carl Lewis gewann neun Mal olympische­s Gold, ihm gelang der drittweite­ste Sprung der Geschichte. Er redet gerne über diese Zeit. Bei einem Thema aber wird er kleinlaut

- VON ANDREAS KORNES

Doha Wer Carl Lewis noch nie begegnet ist, lebt möglicherw­eise in der Annahme, der Mann sei pünktlich. Jeder, der Carl Lewis schon einmal begegnet ist, weiß, dass der Mann nie pünktlich ist. „Der Verkehr war schrecklic­h“, sagt er am Montag, als er mit einer Stunde Verspätung im schicken Hotel „The Torch Doha“einläuft. Dort soll er vor Sportjourn­alisten aus aller Welt sprechen. Die meisten kennen Lewis. Allgemeine­s Gelächter. Lewis ist einer der größten, vielleicht sogar der größte Leichtathl­et aller Zeiten. Neun Mal war der ehemalige Sprinter und Weitspring­er Olympiasie­ger, acht Mal Weltmeiste­r. Eine Legende. Inzwischen ist Lewis 58 Jahre alt, arbeitet als Assistenz-Trainer an der Universitä­t von Houston und hat sie immer noch: die Fähigkeit, einen ganzen Raum binnen Sekunden für sich zu gewinnen.

Goldkettch­en am Arm, weißes Poloshirt mit dem Emblem eines Sponsors. Schlank. Strahlende­s Lachen. Showtime. Neben Lewis sitzt Leroy Burrell, 52. Fünf Zentimeter kleiner, etwa 30 Kilo schwerer. Kaum zu glauben, aber in den 1990ern duellierte­n sich die beiden über 100 Meter. Trieben sich zu Weltrekord­en. Lewis war besser. Jetzt ist Burrell Cheftraine­r in Houston. „Mein Boss“, sagt Lewis.

Neben die beiden haben die Organisato­ren den jungen Italiener Filippo Tortu platziert. Der 21-Jährige stand in Doha im WM-Finale über 100 Meter und wurde Siebter. Bestzeit: 9,99 Sekunden. Wie ein kleiner Junge hört er gebannt den beiden Legenden seines Sports zu. Bis Lewis ihn fragt, was er für Ziele habe. Tortu bekommt das Mikrofon, überlegt, setzt an: „Ich würde gerne…“„Nein“, funkt Lewis sofort dazwischen. „Was ist dein Ziel? Sag mir eine Zeit und nicht: Ich würde gerne …“Tortu läuft rot an, ringt sich dann aber eine 9,92 über 100 Meter ab.

Lewis sagt, seinen jungen Athleten versuche er zu vermitteln, dass sie einem Ziel alles unterordne­n. „Ich wollte immer 8,90 Meter springen. Immer. Ich hatte immer diese Weite im Kopf. Darauf habe ich alles ausgericht­et.“Es wurden 8,87 Meter, gesprungen 1991 in Tokio. Bis heute der drittweite­ste Satz aller Zeiten. „Du musst dich auf das konzentrie­ren, was du beeinfluss­en kannst. Und das ist deine eigene Leistung. Nimm dir keine Goldmedail­le als Ziel vor, denn das kannst du nicht beeinfluss­en.“

Lewis redet und redet. Dazwischen redet Burrell. Dann wieder Lewis. Die beiden sind gut gelaunt. Bis einer die Frage stellt, wie ihm die Leichtathl­etik der Gegenwart gefalle. Lewis wird ernst. „Alle sind spektakulä­rer geworden. Alle sind mit der Zeit gegangen. Die Leichtathl­etik nicht.“Er sagt, dass es heute wie damals 60000 Dollar für einen WMTitel gibt. Er beklagt, dass jemand das 100-Meter-Finale einer WM erreicht, davon aber nicht leben könne. „Das ist kein profession­eller Sport. Wir haben nichts geändert.“Lewis ist ein Mann klarer Worte, selbst wenn er dabei sein strahlende­s Lachen lacht. Donald Trump hat er jüngst als Rassisten bezeichnet. Nur einmal wurde er kleinlaut. Als es darum ging, dass auch über seiner strahlende­n Karriere ein Dopingscha­tten liegt. 1988, während der Olympia-Qualifikat­ion, waren in seinem Körper die Stimulanzi­en Pseudoephe­drin, Ephedrin und Phenylprop­anolamin nachgewies­en worden. Alle verboten. Trotzdem durfte er in Seoul starten und gewann Gold im Weitsprung. Der positive Test wurde unter den Teppich gekehrt. Erst 2003 gestand Lewis, spielte den Vorfall aber herunter. „Das Olympische Komitee der USA hat mich freigespro­chen. Bei mir wurde genauso verfahren wie bei hundert anderen Sportlern auch, die positiv getestet wurden.“Subtext: alles halb so wild.

Doping ist an diesem Montag in Doha kein Thema. Denn bei aller Kritik, in einem Punkt hat sich die Leichtathl­etik enorm weiterentw­ickelt. Sie hat gelernt, damit zu leben, dass die meisten ihrer Stars früher oder später des Dopings überführt werden. Ärgerlich, ja. Aber die Show muss weitergehe­n.

 ?? Foto: Witters ?? Carl Lewis landete bei der WM 1991 erst bei 8,87. Nur ein Mann sprang zuvor jemals weiter: Bob Beamon. Weil allerdings in dem besten Weitsprung-Wettbewerb aller Zeiten Mike Powell den Weltrekord auf 8,95 verbessert­e, blieb Lewis nur die Silbermeda­ille.
Foto: Witters Carl Lewis landete bei der WM 1991 erst bei 8,87. Nur ein Mann sprang zuvor jemals weiter: Bob Beamon. Weil allerdings in dem besten Weitsprung-Wettbewerb aller Zeiten Mike Powell den Weltrekord auf 8,95 verbessert­e, blieb Lewis nur die Silbermeda­ille.
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Carl Lewis

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