Guenzburger Zeitung

Vettel hält dagegen

Ferrari bekommt den Deutschen und seinen Teamkolleg­en Charles Leclerc weiter nicht unter Kontrolle. Woche für Woche gibt es neuen Zoff bei der Scuderia. Ein Ende ist nicht in Sicht

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Sotschi Im Formel-1-Giftduell zwischen Sebastian Vettel und Charles Leclerc entgleitet Ferrari die Kontrolle. Selbst nach der Eskalation von Sotschi will Scuderia-Teamchef Mattia Binotto die Vertrauens­krise zwischen den Stallrival­en am liebsten weiter weglächeln. Der Corriere dello Sport in Italien erkennt nach den jüngsten Machtspiel­chen am Schwarzen Meer längst einen „offenen Krieg“zwischen Vettel und Leclerc. Der viermalige Weltmeiste­r verkniff sich schwer frustriert und merklich genervt jeden Kommentar zum teamintern­en Zoff. „Für mich ist es am besten, wenn ich nichts dazu sage. Ich habe nichts falsch gemacht“, sagte Vettel. Bevor der 32-Jährige am Sonntag aufgrund eines technische­n Defekts ausschied, sorgte eine am Boxenfunk ausgetrage­ne Diskussion über die Teamstrate­gie für viel Gesprächss­toff.

Die seltsame Fer- rari-Rennsteuer­ung hatte die nächste unnötige Posse zwischen Vettel und Leclerc zur Folge. „Nein“, antwortete Binotto auf die Frage, ob sich einer der Piloten nicht an Absprachen gehalten habe.

Der Schweizer ist im Kampf um die Vormachtst­ellung im Team als Schlichter gefragt – und gibt keine gute Figur ab. Vettel schien sich nicht an den von Leclerc ausgeplaud­erten Plan gehalten zu haben. Der Hesse profitiert­e beim Start vom Windschatt­en Leclercs, wollte den gewonnenen Platz aber nicht wie abgemacht sofort zurückgebe­n. Der 21 Jahre alte Monegasse nahm das nicht ganz freiwillig hin, ging nach einem Boxenstopp aber in Führung und wurde Dritter.

Vettel schied in der 28. Runde aus. Die kleinsten Details des roten Zoffs in Russland spielen eigentlich kaum eine Rolle, denn das Bild ist klar: Ferrari hat seine Piloten nicht im Griff. Eine Woche zuvor in Singapur schmollte Leclerc nach dem Vettel-Sieg, weil er aus seiner Sicht benachteil­igt wurde.

Doch niemand spricht ein Machtwort, niemand sorgt für Ordnung. Vettel hat weiter viel Kredit beim Team, obwohl Neuling Leclerc längst auf der Strecke dominiert. Neunmal in Folge war er in der Qualifikat­ion zuletzt schneller, in der WM liegt er 21 Punkte vor dem Deutschen. „Ich glaube, es ist ein Luxus, denn wir haben zwei fantastisc­he Fahrer“, sagte Binotto. Doch das stark vergiftete Fahrer-Verhältnis ist längst Ferraris größtes Problem. Das Auto ist dank des starken Motors überlegen, selbst Branchenpr­imus Mercedes fürchtet den Topspeed der Italiener. Doch die Scuderia macht aus diesem Vorteil viel zu wenig und hat auch in der Konstrukte­urs-WM fünf Rennen vor Saisonende schon keine Chance mehr. Lewis Hamilton steuert unaufhalts­am WMTitel Nummer sechs entgegen, es bestehen nur noch mathematis­che Chancen, dass der Brite abgefangen wird. Auch, weil bei den Silberpfei­len besser zusammenge­arbeitet wird. Der Finne Valtteri Bottas ist die klare Nummer zwei und muss Charles Leclerc das akzeptiere­n. In Russland fungierte er so beispielsw­eise als Puffer, um Hamiltons Sieg abzusicher­n. Diese Hierarchie gibt es bei Ferrari nicht. Eventuell ändert sich das in der kommenden Saison – und Vettel wird zum Helfer degradiert. „Es ist sehr schwer, zwei Fahrer zu managen, die beide den Ehrgeiz haben, Rennen gewinnen zu wollen“, sagte Mercedes-Motorsport­chef Toto Wolff. Der Österreich­er weiß das genau, denn er steckte 2016 mit Hamilton und dem späteren Weltmeiste­r Nico Rosberg in einer ähnlich heiklen Situation. Die beiden Mercedes-Rivalen fuhren sich sogar gegenseiti­g ins Auto, auch bei Ferrari kann die nächste Eskalation­sstufe nicht ausgeschlo­ssen werden. „Das Vertrauen ändert sich nicht“, sagte Leclerc etwas halbherzig zur Fahrer-Beziehung:

Teamchef Binotto versucht zu schlichten

„Seb und ich müssen uns gegenseiti­g vertrauen können. Es ist sehr wichtig für das Team, dass man auf den anderen zählen kann. Das Vertrauen ist weiter da.“Das fällt schwer zu glauben. Binotto gab dann am Sonntagabe­nd doch noch zu, dass „die Fahrer unterschie­dliche Meinungen im Auto hatten, das werden wir mit ihnen besprechen“. Auch Vettel war daran gelegen, den Vorfall intern zu klären. „Ich möchte das Team nachträgli­ch nicht in ein schlechtes Licht rücken“, sagte er, ohne das genau zu erklären. Anweisunge­n würde er immer befolgen: „Ich bin nicht ignorant.“Mit seinem Rennfahrer­stolz scheint es trotzdem nicht vereinbar, Emporkömml­ing Leclerc freiwillig Platz zu machen.

Der Druck für Vettel ist enorm, denn Ferraris Zukunft heißt Leclerc. Ende 2020 läuft der Vertrag des Ex-Champions aus, vielleicht bleibt ihm nur noch nächstes Jahr eine Chance auf den Titel. Als mögliche Nummer zwei wären die Aussichten noch schlechter. Und so wehrt er sich. Mit allen Mitteln.

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Foto: Luca Bruno, dpa Nach dem Start setzte sich Sebastian Vettel (vorne) vor seinen Ferrari-Kollegen Charles Leclerc.
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Sebastian Vettel
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