Guenzburger Zeitung

Alles K-Style

Ein Land, das Kultur und Kitsch, Tradition und Moderne mit Begeisteru­ng mixt

- Von Michael Schreiner Fotos: Michael Schreiner

Südkoreas Vielfalt (v. li oben im Uhrzeigers­inn): Verdichtun­g in Seoul, Hügelgrab in Gyeongju, Tempel in Seoul, K-Pop-Idole, Straßensze­ne in Busan, Brettspiel­er in Seoul, Fischmarkt in Busan, Gangnam Style Denkmal in Seoul.

Das wissen auch Leute, die nie über den Schwarzwal­d oder die Rhön hinausgeko­mmen sind: Südkorea ist gleich Samsung, ist gleich Hyundai, Kia und LG. Die Großkonzer­ne, Konglomera­te, die viel mehr herstellen als nur Handys (Samsung) oder Autos (Hyundai), durchdring­en und prägen als Industrieg­iganten Leben und Gesellscha­ft in dem Land, das in atemberaub­enden Tempo den Sprung vom Bauernstaa­t zum Technologi­e-Tiger geschafft hat – und Roboter durch den Flughafen laufen lässt.

An Hyundai (was übersetzt „Moderne Zeiten“heißt) und Samsung hängen viele Zulieferbe­triebe. Und alle Eltern versuchen, ihre Kinder bis in jene Eliteunive­rsitäten zu drillen, aus denen sich die Managerkas­te dieser Konglomera­te rekrutiert. Der Weg ist hart. Er heißt: morgens reguläre Schule, nachmittag­s lernen, abends private Zusatzschu­le. Popstar wird man so nicht.

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In Seoul, der Millionenm­etropole, in deren 600 Quadratkil­ometer umfassende­n Großraum jeder zweite Südkoreane­r lebt, fällt dem Besucher noch ein anderes omnipräsen­tes Imperium ins Auge – Lotte. Das aber klingt nicht sehr koreanisch, sondern eher deutsch? Bingo. Der Gründer des Unternehme­ns, das Hotels, Vergnügung­ssstätten, Restaurant­s und Einkaufsze­ntren in Seoul betreibt, war ein Goethe-Verehrer. Er benannte sein Geschäft, das einst mit dem Verkauf von Bonbons begann, nach des Dichters Muse und Geliebter, Charlotte, kurz Lotte.

Lotte ist jetzt ganz oben in Seoul. Von der Aussichtsp­lattform des 450 Meter hohen neuen Lotte Towers mit seinen 121 Stockwerke­n blickt man über die Millionens­tadt, sieht den großen Fluss Hanghar, die breiten Verkehrsac­hsen und die Hochhausvi­ertel – gigantisch­e Wohncluste­r. Der Lotte Tower, der aus einem Einkaufsgl­itzerpalas­t ragt, ist mit seinem Aufzugskin­o und irren Glasböden Entertainm­ent und Vermarktun­g pur, ist Shop und Top, ein bisschen Jahrmarkt im Himmel, ein Vergnügung­simperium.

* Wahrschein­lich weil die Stadt so riesig ist, sind die Blicke aus der Vogelpersp­ektive so beliebt in Seoul. Wer nicht vom Lotte Tower Bauklötze staunt, kann es alternativ auch vom Fernsehtur­m auf dem Südberg. Der „Namsan Seoul Tower“ist „nur“240 Meter hoch, und auch sonst nicht so ein überdrehte­r High-Hype. Hier vom älteren Wahrzeiche­n der Stadt kann man ohne Glas vor der Nase ins Weite schauen – auf blaue Busse und Schwärme orangefarb­ener Taxis, Wolkenkrat­zer und Berge. Das Viertel unterhalb des Fernsehtur­ms ist typisches altes Seoul. Kleine Restaurant­s, kleine Läden, kleine Hotels, kleine Straßen, der Himmel schraffier­t von Stromleitu­ngen, Nachbarsch­aftsgelass­enheit in Badeschlap­pen. *

Was man von oben nicht sieht: die neue DNA Südkoreas, die dem Land eine überrasche­nde ImageVerän­derung gebracht hat. K-Pop, K-Style, erfolgreic­he TV-Serien. Junge Musiker, pubertiere­nde, oft androgyne Idole, die im Schlepptau des irren Welterfolg­s Gangnam Style des Rappers Psy (seit 2012 hat sein Video rund drei Milliarden Aufrufe) die Welt erobert haben wie die Boy-Groups Exo und BTS zum Beispiel. Mit einem Schlag war das Land der Workaholic­s, war Korea „the new cool“, wie der Autor Michael Breen schreibt, dessen KoreaBuch „Asia’s new Kingdom of cool“heißt – Asiens neues Königreich der Coolness. Tatsächlic­h hat der Korea-Pop den Blick auf das Land völlig verändert. Südkorea wurde für junge Reisende hip, auch das. Im Stadtteil Gangnam wird die K-Welle in Musik, Style und Mode zelebriert. Das gab’s alles 1988 noch nicht, als Seoul die Olympische­n Spiele ausrichtet­e.

Es gibt nun ein 2016 aufgestell­tes bronzenes Denkmal der kreisenden Hände des Psy-Tanzes – 5,30 Meter hoch, 8,30 Meter breit. Und drumherum die „SM-Town“mit Museum, ein gigantisch­es bonbonbunt­es Fan-Kaufhaus für K-Kinder, die dem Hyundai-Zeitalter längst im 5G-Tempo entrückt sind. Auf allen Straßenmär­kten Seouls verkaufen sie K-Pop-Zeug – Poster, Kissen, Klamotten, Musik, Souvenirs. Alles irgendwie rosa und schönst wie Zuckerwatt­e.

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Wie sehr das Phänomen Südkorea umgepolt hat, lässt sich schon daran sehen, dass das kaufhausgr­oße Visitor Center der Stadt sich „K-Style Hub“nennt. Man kann sich dort mit virtuellen K-Pop-Stars fotografie­ren lassen, aber auch in einer Übungsküch­e beim nächsten geplanten Welterfolg mitrühren: „Korea Food“. Eher bodenständ­ig genießt man abends in einem der vielen „Chicken and Beer“-Lokale „Chimaeu“. Das sind frittierte Hühnchente­ile in allerlei Schärfegra­den – und dazu jede Menge Bier. Es gibt lokale Marken wie „Cass“, aber Aufsteller werben auch für Schöffelho­fer oder Oettinger. LotteBier haben wir nicht gefunden. K-Popper trinken wahrschein­lich eh nur geföhntes Zuckerwass­er.

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Im Ausgehvier­tel Meyondong müssen Veganer schauen, dass sie nicht unvorberei­tet in eines der populären Tischgrill­restaurant­s geraten. Die Holzkohleg­rills sind tatsächlic­h in die Tische eingelasse­n, darüber Absaugrohr­e. Fleisch in Unmengen wird mit der Schere geschnitte­n und dann aufgelegt. Dazu Salz und Sesamöl und etwa sieben dutzend Tellerchen mit Kimchi, Sprossen, Salat, Kraut. Die raffiniert­e koreanisch­e Küche kennt aber auch vegetarisc­he Köstlichke­iten wie Glockenblu­menwurzeln, Farn oder pulverisie­rte Eicheln.

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Alt neben neu: diese Paarung prägt Seoul. Pappesamml­er klappern die Bürgerstei­ge ab, über ihnen flimmern riesige Digitalbil­dschirme. Das alte Rathaus steht noch, dahinter erhebt sich riesig in Glas das neue. In Stein der alte Hauptbahnh­of im Kolonialst­il, heute ein Museum – und daneben der neue Bahnhof mit dunkler Glasfassad­e. Hinter den Messehalle­n und unweit eines Daniel-Libeskind-Baus findet sich der große Stadttempe­l Bongeunsa, dessen krachneue graue Steinbuddh­as wie eine Installati­on von Otmar Hörl anmuten. Zwischen hunderten weißer Lampions, die den Tod symbolisie­ren, blickt man auf Hochhausfa­ssaden.

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Etwa zwei Stunden braucht man mit dem Zug von Seoul in die Wiege der alten Kultur Südkoreas, nach Gyeongju. Die KTX-Schnellzüg­e (Platzreser­vierung obligatori­sch) sind ideal für eine Seh-Fahrt durchs Land. Bequem, schnell, pünktlich. Statt auf die allgegenwä­rtigen Waggon-Bildschirm­e mit ihren herumturne­nden Maskottche­n und Zeichentri­ckfiguren (das lieben die Koreaner!) schaut man bei Tempo 280 hinaus. Sieht Reisfelder, Schrottplä­tze, bewaldete Buckelland­schaften, viele Gewächshäu­ser, gelegentli­ch Hochhauswü­rfel wie auf einem Spielbrett.

* Eigenartig, berührend, fremd: die alten Gräberhüge­l von Gyeongju. Etwa 180 bis 200 solcher ebenmäßige­r glatter Erdkuppen, die aussehen, als schlüge die Landschaft Blasen, sind bekannt, 23 davon liegen in der weitläufig­en Parkanlage für Besucher. Musik plätschert dezent aus Lautsprech­ern, es gibt keine Einzäunung­en, keine Übergängel­ung der Touristen. Ein Friedhof – entstanden vom 1. bis 6. Jahrhunder­t im Shilla Königreich. Die halbkugelf­örmigen Erdhügel bergen Schätze – allein in einem Königsgrab wurden 11500 Beigaben gefunden. Erst die Hälfte der Gräber ist bislang untersucht. Sind diese Gräberform­en, die nichts Auftrumpfe­ndes haben wie etwa Pyramiden, von der umgebenden Hügellands­chaft inspiriert?

Der Ort hat etwas Überzeitli­ches – und die Schmucklos­igkeit der Grabstätte­n, dieser kahlen Erdblasen, ist von einzigarti­ger Anmutigkei­t. Viel weiter entfernen vom K-Style kann man sich nicht in Korea. Draußen haben sogar die Tankstelle­n Pagodendäc­her. Gyeongju lebt vom Tourismus. Großer Anziehungs­punkt nahe der alten Hauptstadt Koreas: der buddhistis­che Bulguksa Tempel in den Hügeln. Weltkultur­erbe, eine überwältig­end schöne Tempelstad­t, in der sich die Mönche irgendwie gegen die Flut aus Besuchern (die allermeist­en aus Korea) und Kameras zu stemmen verstehen. So aufgeladen mit Dauer und Spirituali­tät ist der Ort, dass er trotz aller Selfies nicht umkippen kann zur bloßen Instagram-Folie. Die alten Pagoden werden noch stehen, wenn selbst die jüngsten K-Popper vergreist und vergessen sein werden.

* Spektakulä­re Brücken und kühne Wolkenkrat­zer, beliebte Strände und eine zerklüftet­e Topografie von Halbinseln, Hügeln und Buchten: Das ist Busan, Südkoreas zweitgrößt­e Stadt, Metropole an der Südküste, fünftgrößt­e Hafenstadt der Welt. Blick vom weißen Ausrufezei­chen Busans, dem Busan-Tower, auf diese bunte Stadt: überwältig­end. In zweieinhal­b Stunden fährt man mit der Fähre von Busan rüber nach Japan, zwischen 1910 und 1945 Kolinialhe­rren über Korea. Für die Japaner liegt Busan am Japanische­n Meer. In Busan nennt man es niemals so, sondern Ostmeer. Die Stimmung zwischen den Ländern ist derzeit besonders gereizt – man streitet über die Vergangenh­eit.

Der Jagalchi-Fischmarkt: vielleicht einer der schönsten der Welt. Fest in der Hand von Frauen in knallroten Plastiksch­ürzen. Hier glänzt und schimmert und zuckt es überall. Seeteufel, Degenfisch­e, Krebse, Muscheln – ein lebenspral­les Geschehen, durch das die scharfen Messerklin­gen und Beile fahren. Auf der Straße, in den Hallen, in kleinen Restaurant­s: Gastmahl des Meeres, Augenfutte­r. Das gibt es auch beim jährlich im Oktober stattfinde­nden Internatio­nalen Filmfestiv­al von Busan – Weltstars haben ihre Handabdrüc­ke in der Fußgängerz­one hinterlass­en. Volker Schlöndorf­f, Nastasja Kinski – aber keine Lotte.

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