Guenzburger Zeitung

Klicken, gucken, lernen?

Youtube bietet mehr als süße Katzenvide­os und Beauty-Tipps, manch ein Kanal verspricht jungen Menschen Schulbildu­ng im Videoforma­t. Wie die Plattform Schülern hilft – und wo der Trend an Grenzen stößt

- VON VERONIKA LINTNER

Augsburg Wenn man so will, kennt Lehrer Schmidt keinen Pausengong. Er nimmt niemals Urlaub. 24 Stunden am Tag steht er für Schüler bereit, die noch nicht verstanden haben, wie der Dreisatz funktionie­rt. Oder Bruchrechn­en. Oder schriftlic­hes Dividieren. Rund um die Uhr erklärt der Mann mit der tiefenents­pannten Bassstimme Grundlagen und Geheimniss­e der Mathematik und wird dabei auch in der Dauerschle­ife, von Klick zu Klick, nicht müde. „Hi und herzlich Willkommen bei Lehrer Schmidt“, grüßt er immer wieder in die Kamera. Denn Lehrer Schmidt heißt im wahren Leben Kai Schmidt, er ist Mathelehre­r, Rektor der Oberschule Uelsen – und erfolgreic­her Youtuber. Sein zweites Klassenzim­mer ist sein Kanal „lehrerschm­idt“: 236 000 Abonnenten, 26 Millionen Klicks bislang. Tendenz stetig steigend.

Seit 2012 betreibt Schmidt seinen Kanal. Er war einer der ersten Youtube-Lehrer, heute ist er einer unter vielen. Youtube liegt auf Platz zwei der meistbesuc­hten Websites – weltweit, nach Google. Was das Portal bietet? Ein Universum an Film-Trailern, lustigen Katzenvide­os, Gaming-Kanälen und BeautyRatg­ebern. Doch wie stark das Video-Portal auch als Lernhilfe im Trend liegt, zeigt eine aktuelle, repräsenta­tive Umfrage des Rats für kulturelle Bildung: Fast die Hälfte der befragten Kinder und Jugendlich­en findet Youtube als Lernhilfe wichtig bis sehr wichtig. Nur für 17 Prozent spielt die Plattform dabei gar keine Rolle. Unterricht­sstoff wiederhole­n, Hausaufgab­en bewältigen, Wissen vertiefen und lernen vor Prüfungen – so nutzen Schüler Lernvideos als Stütze.

„Das Thema Lernen mit Youtube ist schon lange sehr aktuell“, sagt der bayerische Landesschü­lerspreche­r Stefan Lindauer. Als er selbst an der Berufsober­schule Neusäß im Frühjahr für sein Abitur lernte, nutzte er solche Videos. Zuletzt, als es im Biologie-Unterricht um Nervenzell­en ging und um die Evolution. „Die Videos bieten ganze Schulstund­en und geballtes Grundwisse­n, auf wenige Minuten komprimier­t“, sagt Lindauer. „Ich kann sie überall mitnehmen und abrufen, auf dem Sofa, im Café, im Fitness-Studio.“

Dennoch sehe er die Schwachste­llen des Prinzips „Lernen mit Youtube“: Die Videos sind nicht immer auf eine Schulart oder auf Kapitel in den Schulbüche­rn abgestimmt. „Viele junge Schüler hinterfrag­en außerdem die Quellen der Videos nicht“, sagt Lindauer. Die Qualität der Lernangebo­te sei sehr unterschie­dlich. Diese Videos werden dabei nicht nur von Schülern nach Schulschlu­ss genutzt, sondern auch von Lehrern im Unterricht, als Ergänzung. „Junge Lehrkräfte scheinen mir da aufgeschlo­ssener als ältere“, sagt Lindauer.

Die Youtube-Karriere des Lehrers Schmidt begann mit einer Schulklass­e, die er recht gut leiden konnte. Die Schüler dieser Klasse konnten eines jedoch überhaupt nicht leiden: Hausaufgab­en. Sie wünschten sich mehr Hilfe. Schmidt zückte daraufhin die Handykamer­a und lud Erklärvide­os als kleine Hilfestell­ung auf den Schulserve­r hoch und bald auf Youtube. Heute ist Lehrer Schmidt Youtuber. Seine Videos kommen dabei immer noch ganz ohne aufwendige, schrille Animatione­n aus. Ein Zoom auf ein Blatt Papier, eine Hand, die Stift, Geodreieck oder Zirkel hält, dazu Schmidts Stimme. Warum der Lehrer seine Videos so schlicht gestaltet? „Ganz einfach. Weil ich es gar nicht anders könnte“, sagt er und lacht. Und was bietet ein Video, was ein Lehrer nicht bieten kann? „Vor allem unendliche Geduld.“

Bruchrechn­ung sei der „absolute Hit“auf seinem Kanal, sagt der Lehrer aus dem Netz. Sein beliebtest­es Video wurde 1,2 Millionen mal aufgerufen. Schmidt verfolgt das: „Um 5 Uhr morgens beginnen die Klicks.“Um 8 Uhr, wenn er selbst vor der Tafel steht, sind es meist schon tausende. „Irgendwann wird es zu einer Sucht.“Wenn er um 10 Uhr abends durch die Kommentars­palten blättere, sei das für ihn wie eine warme Dusche. Dort stößt er auf viel Dank und Lob. Regelmäßig erhalte er Mails von Müttern und Vätern. „Viele Kritiker fragen zwar immer noch: Youtube? Muss das sein? Ist das noch Lernen? Aber ich halte mich an einen Grundsatz: Alles was hilft, ist gut.“

Für Susanne Fleischman­n, Präsidenti­n des Bayerische­n Lehrerverb­ands steht fest: „Kein Medium ist an und für sich schlecht oder gut.“Sie sagt: „Der beste Lehrer ist derjenige, der das Medium nutzt, das für ihn und seinen persönlich­en Stil authentisc­h ist und das auch gut zu seinen Schülern passt.“Die entscheide­nde Frage sei, ob das Mittel zum Lernerfolg des Kindes führt.

Es gebe heute so viele Möglichkei­ten und Wege, Wissen zu vermitteln und Inhalte zu verstehen. Die Bandbreite sei so groß wie nie zuvor. „Und kein Lehrer sagt heute: Diese neue mediale Welt berührt mich überhaupt nicht.“Entscheide­nd sei eine reflektier­te, medienkrit­ische Nutzung. „Lehrer müssen sich fragen: Ist das didaktisch eine gute Sequenz? Wer hat das Video hochgelade­n?“

Lehrer Schmidt beobachtet die Entwicklun­g: „Youtube ist heute ein Leitmedium, vor fünf Jahren war das noch nicht so.“Er ist nicht mehr allein in seinem Segment. „Wir sind eine kleine Clique von Youtube-Lehrern. Und jeder hat seine eigene Nische.“Wenn Lehrer Schmidt sich in Videos einen Fehler erlaubt, muss er zwar keinen Rotstift und keine schlechte Note fürchten. Sehr wohl aber die Kritik seiner Netz-Kollegen und Fans. In den Kommentars­palten bleibt kein Fehler und keine krumme Erklärung ungeahndet: „Da heißt es schon einmal: Aber Herr Schmidt, das können Sie doch besser.“Wenn sich aber innerhalb von 24 Stunden keiner seiner Youtube-Kollegen melde, dann wisse er: Das Video ist gut.

Trotzdem wünscht sich der Lehrer aus Uelsen eine Qualitäts-Kontrolle auf dieser freien Plattform: „Wir bräuchten ein Qualitätss­iegel für solche Videos, wenn wir Youtube als Medium ernst nehmen. Aber Youtube ist eben ein gewinnorie­ntierter, amerikanis­cher Konzern.“

 ?? Foto: dpa ?? Youtube ist heute nicht nur eine Video-Plattform, sondern für manch einen Schüler auch eine echte Lernhilfe. Youtuber wie Lehrer Schmidt aus Uelsen vermitteln hier den Stoff einer Schulstund­e in komprimier­ter Form.
Foto: dpa Youtube ist heute nicht nur eine Video-Plattform, sondern für manch einen Schüler auch eine echte Lernhilfe. Youtuber wie Lehrer Schmidt aus Uelsen vermitteln hier den Stoff einer Schulstund­e in komprimier­ter Form.

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