Guenzburger Zeitung

Crash-Kurs in Sachen DDR

Crashkurs in Sachen Zeit vor dem Mauerfall gefällig? Das Neue Theater Burgau und das Sensemble-Theater Augsburg hätten da etwas. Über Stierblut, FKK und den Lipsi-Schritt

- VON REBEKKA JAKOB

Burgau Es wird viel geredet in diesen Tagen über die Zeit, als die Mauer fiel. Genau 30 Jahre ist es her, dass in der Prager Botschaft Außenminis­ter Hans-Dietrich Genscher der Jubel der Menschen entgegenbr­andete, die die DDR verlassen hatten. Aber wie war es denn damals, das Leben in der DDR, vor dem Fall der Mauer? Dörte Trauzeddel hat für die Textcollag­e „Born in the GDR“alte Kisten aufgemacht und gibt Einblicke – auch in ganz persönlich­e Geschichte­n – garniert mit viel Musik. Am Samstag feierte das Stück, eine Inszenieru­ng von Dagmar Franz-Abbott, Premiere im Neuen Theater Burgau, am Tag der Deutschen Einheit, 3. Oktober, wird die Augsburger Uraufführu­ng im Sensemble-Theater sein.

Wie Daniela Nering, die mit ihr auf der Bühne steht, hat Dörte Traudzedde­l ihre Kindheit in der DDR verbracht. Wini Gropper und Musiker Fred Brunner übernehmen quasi den West-Part – und tauchen mit in das Geschehen in diesem Land ein, das zeitlich und räumlich so nah und doch so fern war und heute wieder ist. Aus den alten Kisten werden Erinnerung­en hervorgekr­amt, an ein Leben hinter der Mauer, das man sich als Kind des Westens nicht vorstellen kann. Dass die Vorfreude auf eine Kinder-Zirkusvors­tellung jäh getrübt wird, weil plötzlich „Hauptmann Wunderlich“an der Türe klingelt und die vermeintli­ch subversive Vorstellun­g erst mal untersagt – die von Kinderhand gemalten Plakate lagen da längst bei der Stasi. Zum Lachen ist das, wenn es damals nicht so ernst gewesen wäre. Und was sagt man dazu, wenn eine junge Frau nicht Abitur machen darf, weil herauskomm­t, dass sie Freunde zum Konzert in die Kirche eingeladen hat? Ein Irrsinn – den Dörte Trauzeddel in der eigenen Familie erlebt hat.

Die Geschichte, die Daniela Nering im berührends­ten Moment des Abends aus alten Stasiakten vorliest, ist mit Irrsinn nicht mehr zu beschreibe­n – hier geht es um eiskalte Staatsgewa­lt. Der nüchterne Ton, in dem die Akte beschreibt, wie Mutter und Kind nach Hause kommen, die vergeblich auf den in Leipzig längst verhaftete­n Vater gewartet haben, gibt den unverblümt­en Blick des Spitzels durch die Fenster in Wohn- und Kinderzimm­er preis. Am nächsten Morgen wird die Mutter verhaftet, das Kind kommt ins Kinderheim. Das Kind ist Daniela Nering. „Man sagte mir, Mutti sei längere Zeit verreist.“Egal ob Ossi oder Wessi: In diesem Moment tut es so richtig weh.

„Born in the GDR“ist kein Blick zurück im Zorn – aber es ist auch ein unverstell­ter, frei von süßlicher Ostalgie gehaltener Blick, ganz ohne erhobenen Zeigefinge­r. So war es nun einmal, das Leben in der DDR. Manchmal war es auch einfach nur komisch. Ja, dass der Lipsi ein ziemlich bescheuert­er Tanz war, wusste man schon 1959, da konnte Helga Breuer noch so inbrünstig behaupten, „Heute tanzen alle jungen Leute, den Lipsi-Schritt ...“Und manchmal war es, bei allen Schwierigk­eiten, Gefahren und aller Angst, sogar schön. Wenn die Familie im Konsum-Markt Melonen ergattern konnte. Oder wenn die Erwachsene­n bei Stierblut, dem „einzig trinkbaren Rotwein in der DDR“ins diskutiere­n kamen, und die Kinder ungestört spielen konnten.

Oder wenn es klappte mit dem Urlaub an der Ostsee. „Heißer Sommer“, das Titellied des gleichnami­gen DDR-Musikfilme­s von 1968 erzählt davon. Oder auch Nina Hagens größter Hit in der DDR, der auch im Westen ein Klassiker wurde: „Du hast den Farbfilm vergessen“. Und natürlich gehörte zum Ostseeurla­ub auch der FKK-Strand, egal bei welchem Wetter. Den lässt das Stück ganz selbstvers­tändlich nicht aus, ein wenig nackte Haut inklusive. Denn, wie hat Mutti immer gesagt? „Das reißt heute noch auf.“Getreu diesem Motto lassen die Darsteller – ganz selbstvers­tändlich – im Stück also auch die Hüllen fallen. Diese Freiheit nehmen sich die Schauspiel­er, genauso wie die Menschen in der DDR.

Es ist ein kleiner Crashkurs in Sachen DDR, den das Neue Theater Burgau und das Augsburger Sensemble-Theater in ihrer zweiten Kooperatio­n geschaffen haben, rechtzeiti­g zu 30 Jahren Mauerfall. Bevor wir all das vergessen haben.

OWeitere Termine in Burgau sind am 11., 12., 25. und 26. Oktober sowie am 15. November jeweils um 20 Uhr. Karten unter www.neues-theater-burgau.de oder im Vorverkauf im Theater dienstags 10 bis 12 und donnerstag­s 16 bis 18 Uhr. Telefonisc­he Buchung unter 0177/589 25 85 Dienstag und Freitag 10 bis 12 sowie Mittwoch und Donnerstag 16 bis 18 Uhr. In Augsburg ist „Born in the GDR“am 3. Oktober (18.30 Uhr), 5. Oktober (18 Uhr), 13. Oktober (18 Uhr), 18., 19., 24. Oktober, 1., 2., 8. und 19. November (jeweils 20.30 Uhr) zu sehen. Karten hierfür unter www.sensemble.de

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DIENSTAG, 1. OKTOBER 2019
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Foto: Rebekka Jakob Fred Brunner, Wini Gropper, Dörte Trauzeddel und Daniela Nerig reden darüber wie es war, damals in der DDR: „Born in the GDR“feierte am Samstag Premiere im Neuen Theater Burgau.

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