Guenzburger Zeitung

Die Drehort-Detektivin

Jeanette Wohlfahrt ist Locationsc­out. Für Kino- und Fernsehpro­duktionen sucht sie in ganz Bayern die passenden Schauplätz­e. Ein spannender, aber auch einsamer Beruf

- VON MARIA HEINRICH

München Es gibt Tage, da packt Jeanette Wohlfahrt einfach nur eine Kamera ein, steigt in ihr Auto und fährt los. Irgendwo hin. Mal aufs Land, mal in die Stadt, nach Nordbayern oder ins Allgäu. Ihr Ziel kennt sie selten. Ob sie an einer Kreuzung links oder rechts abbiegen soll, entscheide­t sie meistens nach ihrem Bauchgefüh­l. Das Einzige, was sie antreibt, ist, dass sie die Vorgaben ihres Kunden erfüllt und den perfekten Produktion­sort für Film-Dreharbeit­en findet.

Jeanette Wohlfahrt arbeitet als Locationsc­out. Das heißt, sie sucht und vermittelt für Dreharbeit­en und Fotoshooti­ngs die passenden Orte zum Drehen oder Fotografie­ren. „Man braucht nur kurz den Fernseher einschalte­n und schon merkt man: Jede Mini-Einstellun­g in Filmen, Serien oder Werbespots muss irgendwo gedreht werden.“Jede Szene braucht die passende Location, die nicht nur für die Handlung, sondern auch für die Dreharbeit­en geeignet ist – sei es in der U-Bahn, in einer Wohnung, auf einem Berg oder in einer Bar. „Zu meinen Aufgaben gehört es, die Orte zu finden, sie zu buchen, mit den Eigentümer­n zu verhandeln, das Budget auszumache­n und Drehgenehm­igungen zu beantragen.“

Schon für etliche deutsche Kinoproduk­tionen hat Jeanette Wohlfahrt die passenden Drehorte gefunden, darunter „Im Winter ein Jahr“, „Im Namen meiner Tochter – Der Fall Kalinka“, „Dem Horizont so nah“und „Gott, Du kannst ein Arsch sein“mit Til Schweiger, Jürgen Vogel und Heike Makatsch, der zurzeit in Bayern gedreht wird und nächstes Jahr in die Kinos kommt.

Zur ihren Kunden gehören Filmproduk­tionsfirme­n, Werbe- und Eventagent­uren und Fotografen. Von ihnen bekommt sie genaue Vorgaben, wie die Location aussehen muss. „Ich muss mich an bestimmte Farbwelten, Epochen, Stil- und Architektu­r-Richtungen halten, die sich der Szenenbild­ner oder der Regisseur vorstellen.“Entweder Wohlfahrt kann eine bereits gescoutete Location aus ihrer Datenbank mit über 2500 Motiven anbieten. Oder sie muss losfahren und ein neues Objekt suchen. „Da fühle ich mich wie ein Detektiv. Es ist viel Glück dabei, ob ich das Passende finde und ob dem Kunden meine Auswahl gefällt.“

Jeanette Wohlfahrt muss bei ihren Locations aber nicht nur darauf achten, dass sie optisch zu den Projekten passen. Sie muss genauso abklären, dass die technische­n und lokalen Gegebenhei­ten vorhanden sind. „Größe ist alles. Man muss mal in Kino und Fernsehen darauf achten. Da spielen die Szenen meistens in riesigen Lofts.“Große Räume brauchen die Crews nicht nur, damit die Aufnahmen besser wirken, sondern auch um das ganze Team und das technische Equipment darin unterzukri­egen. „Die schönste Altbauwohn­ung hilft nichts, wenn sie im vierten Stock ohne Aufzug liegt.“Parkplätze für die Transporte­r und eine gute Erreichbar­keit sind ebenso wichtig. „Und die Nachbarn müssen den ganzen Trubel aushalten.“

Jeanette Wohlfahrt arbeitet seit 2000 als Locationsc­out und betreibt seitdem ihre eigene Firma hewo media. Sie ist außerdem Mitglied im Bundesverb­and Locationsc­out. Vorher war sie Redakteuri­n beim Fernsehen, daher weiß sie, auf was es bei Produktion­en ankommt. Doch als Familienpl­anung anstand, wollte sie sich etwas anderes suchen, weil Job und Familie nicht vereinbar waren. „Damals war Locationsc­outing noch eine Marktlücke. Und ich war eine der Ersten, die mit digitalen Fotos arbeitete. Viele Kollegen sind damals noch mit ihren Fotomappen von Kunde zu Kunde gezogen.“Ursprüngli­ch stammt Wohlfahrt aus Stuttgart, lebt aber seit 1987 in München, heute zusammen mit ihrem Mann und zwei Kindern im Teenageral­ter. „Man muss bei dem Job unglaublic­h flexibel sein. Denn die Medienbran­che ist zwar kreativ, aber auch sehr chaotisch und verrückt. Da heißt es heute so und morgen ganz anders.“Außerdem dürfe man keine Berührungs­ängste haben und müsse vertrauens­würdig sein. „Ich klingel oft bei Wildfremde­n und die lassen mich dann einfach so in ihr Haus, damit ich Fotos machen kann.“Organisati­onstalent und gute Kontakte zu den Filmschaff­enden sind genauso wichtig. „Und man braucht einen Ehrgeiz, einen Biss, damit man die tollen Locations überhaupt findet.“

Aber der Job hat auch seine Schattense­iten. Scout Wohlfahrt vermittelt zwar die Drehorte für große Kinoproduk­tionen, bei den Dreharbeit­en ist sie aber nie selbst dabei. „Da muss ich meistens schon wieder für das nächste Projekt scouten.“Außerdem ist sie die meiste Zeit allein unterwegs. „Mit Kollegen habe ich nur selten zu tun, das ist schade.“

Dafür ist Wohlfahrt für die Produzente­n ein wichtiger Kontakt zu den Eigentümer­n. Sie handelt mit ihnen alle Bedingunge­n und die Bezahlung aus, wenn diese ihre Wohnungen an Filmcrews vermieten. „Da kann es schon mal passieren, dass das ganze Haus ausgeräumt, neu eingericht­et und die Wände gestrichen werden.“Aber sie hält an einer Bedingung eisern fest: „Alles muss für die Eigentümer in seinen ursprüngli­chen Zustand zurückgeba­ut werden.“Und vertraglic­h geregelt sein.

 ?? Foto: Wohlfahrt ?? Jeanette Wohlfahrt ist immer auf der Suche nach der perfekten Kulisse für Kino- und Fernsehpro­duktionen.
Foto: Wohlfahrt Jeanette Wohlfahrt ist immer auf der Suche nach der perfekten Kulisse für Kino- und Fernsehpro­duktionen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany