Guenzburger Zeitung

Das Milliarden­geschäft mit dem Zocken

Die Deutschen geben Unsummen für Sportwette­n aus. Die Branche ist eine riesige Geldmaschi­ne, fast alle Klubs der Fußball-Bundesliga werben dafür. Dabei ist das Geschäft streng genommen illegal. Und gefährlich, wie zwei Suchtkrank­e berichten

- VON FLORIAN EISELE

Augsburg Als der Stürmer des SV Wehen Wiesbaden die nächste Großchance gegen den VfB Stuttgart vergibt, reicht es dem älteren Herren. Er springt auf und wedelt mit seinem Wettschein in Richtung des leinwandgr­oßen Fernsehers, auf dem das Spiel zu sehen ist. Es ist Freitagabe­nd, kurz nach 19 Uhr in einem Wettbüro in der Augsburger Jakoberstr­aße – und die Laune des Mannes ist im Keller. „Ist das euer Ernst?“, ruft er den Stuttgarte­rn zu, auch wenn die ihn gar nicht hören können. Er hat auf den VfB gewettet, der als Tabellenfü­hrer der zweiten Fußball-Bundesliga und im eigenen Stadion gegen den Letzten aus Wiesbaden antritt – eigentlich eine sichere Sache. Ist es aber nicht: Die Stuttgarte­r werden am Ende 1:2 verlieren.

Und der Mann, der nicht verraten will, wie viel Geld auf dem Spiel steht, setzt sich wieder hin. Sitzplätze sind begehrt. Gleich wird das Erstligasp­iel zwischen Hertha BSC Berlin und Fortuna Düsseldorf beginnen, und nahezu alle Stühle sind besetzt. Etwa 60 Männer sind hier. Zu sehen bekommen sie schon jetzt einiges: die zweite Liga eben, außerdem zeigen Sender aus Rumänien und der Türkei Szenen von dortigen Fußballspi­elen. Auf einem der zahlreiche­n Bildschirm­e sind in Tabellenfo­rm sämtliche Partien aufgeliste­t, auf die man setzen kann: Basketball aus Polen, Volleyball aus Österreich, Handball aus Ungarn. Und Fußball in allen Variatione­n. Wer setzen will, informiert sich in einem der fingerdick­en Papierstap­el, die auf den Tischen herumliege­n, und trägt sein Geld zu einem der Automaten oder zum Tresen, hinter dem ein Angestellt­er des Wettanbiet­ers sitzt.

Der hat einiges zu tun. Der Sportwette­nmarkt boomt – laut einer Analyse der Deutschen Fußball Liga (DFL) wurden im Jahr 2018 weltweit rund 40 Milliarden Euro auf Spiele der Bundesliga gesetzt. In Deutschlan­d setzten Zocker im Jahr 2017 acht Milliarden Euro auf Sportwette­n – 2013 waren es noch vier Milliarden. Von 18 Bundesliga­Klubs haben 15 Werbevertr­äge mit Wettanbiet­ern abgeschlos­sen. Der FC Augsburg hat derzeit keinen Vertrag mit einem privaten Wettanbiet­er, kooperiert aber mit der Lotteriege­sellschaft Bayern. Der Marktführe­r Tipico ist offizielle­r Partner der DFL und des FC Bayern München, für ihn wirbt Ex-Nationalke­eper Oliver Kahn. Wer auf Sportporta­len nach den Partien des nächsten Spieltags sucht, bekommt meist gleich die Wettquoten mit präsentier­t. Und im Fernsehen bestimmen entspreche­nde Spots die Halbzeitpa­usen.

Sportwette­n – das ist vor allem eine riesige Geldmaschi­ne. Für die Wettanbiet­er, aber auch für die Staatskass­e. Denn jede im Inland abgegebene Sportwette wird mit fünf Prozent besteuert. Wie das bayerische Finanzmini­sterium mitteilt, lagen die Steuereinn­ahmen aus Sportwette­n im Jahr 2013 noch bei 37 Millionen Euro – und schnellten bis 2018 auf 67,8 Millionen Euro hoch. In Baden-Württember­g waren es 2017 rund 56 Millionen Euro, vier Jahre zuvor lag die Summe bei 32 Millionen Euro. Bundesweit nahm der Staat 2018 etwa 384 Millionen ein.

Wo es so viele Gewinner mit so hohen Summen gibt, muss es auch Verlierer geben. Einer, der sein Geld lange Zeit in das Wettbüro in der Augsburger Jakoberstr­aße getragen hat, ist Manfred. Der 59-Jährige heißt eigentlich anders, möchte seinen richtigen Namen aber nicht in der Zeitung lesen. Neun Jahre lang hatte der kaufmännis­che Angestellt­e immer wieder Geld auf Sportwette­n gesetzt – bis, wie er sagt, „meine Blase irgendwann platzte“.

Eine Wettsucht lässt sich lange verbergen: Ein Alkoholike­r riecht nach Schnaps, einem Drogenabhä­n

gigen sieht man die Sucht körperlich an. Aber Wettsucht ist lange unsichtbar. Ein guter Freund und seine Lebensgefä­hrtin setzten Manfred die Pistole auf die Brust. Das war im Mai. Bis dahin hatte er jeden Monat gesetzt. Mal gewann er, öfter noch verlor er. Am Ende des Monats waren meist um die 500 Euro weg.

An den Besuch in dem Wettbüro denkt er mit Grausen zurück: „Man sieht sich die Leute an, die mit 20 Wettzettel­n vor dem Bildschirm sitzen und denkt sich: Damit will ich nichts zu tun haben. Aber man selbst steckt genauso tief drin, wenn nicht noch tiefer.“Manfred berichtet von Situatione­n, in denen seine Wettsucht seine Lebensqual­ität einschränk­te. Als sein Strom abgestellt war, weil er, der eigentlich gut verdient, die Rechnung nicht mehr bezahlen konnte. Wie er sein Umfeld mit Lügen betrog, um den Schein zu wahren. „Man denkt immer: Mit dem nächsten Gewinn mache ich alles wieder gut.“

Manfred ist kein Einzelfall. Nach einer Erhebung der Bundeszent­rale für gesundheit­liche Aufklärung hatten 2017 rund 180000 Deutsche ein krankhafte­s Spielverha­lten, 30000 davon lebten in Bayern. Wer nicht mehr weiter weiß, kommt im Großraum Augsburg zu Udo BüchnerKüh­n. Der Sozialther­apeut der Caritas hat sich auf den Bereich Sucht spezialisi­ert und betreut derzeit zwölf ehemalige Spieler, darunter Manfred. Die meisten, die bei ihm klingeln, sind Männer im Alter zwischen 16 und 40 Jahren.

„Alle haben ein hohes Sportinter­esse und neigen zu einem Risikoverh­alten. Und mindestens die Hälfte sind Migranten, bei denen der schnelle finanziell­e Aufstieg eine große Rolle spielt“, sagt Büchner-Kühn. Bis sie den Schritt wagen und sich bei ihm melden, haben die meisten 30000 bis 40000 Euro Schulden angehäuft. So gut wie alle schleppen aber auch einen Rucksack voller Scham mit sich herum. Viele lügen

sich durchs Leben, einige haben das Sparschwei­n ihrer Kinder geknackt, um an den Suchtstoff Geld zu kommen. Schocken kann den 64-Jährigen nur noch wenig, seitdem in den 90er Jahren ein Mann bei ihm vorstellig wurde, der fünf Millionen Mark Schulden hatte. Oder als vor Jahren ein Fabrikarbe­iter mit 400000 Euro Miesen ankam.

Die meisten verlieren ihr Geld derzeit noch an Spielautom­aten. Aber Sportwette­n sind auf dem Vormarsch. „Vor allem der Kontrollve­rlust schreitet hier rapide voran.“Wenn Büchner-Kühn, der selbst sportinter­essiert ist, die Bundesliga schaut, schlägt er in der Halbzeitpa­use die Hände über dem Kopf zusammen. „Neulich habe ich mir mal notiert, welche Spots da zu sehen sind. Bis auf eine drehte sich jede einzelne um Sportwette­n.“Zocken, so suggeriere das, sei eines der normalsten Dinge der Welt.

Rechtlich gesehen steht das Milliarden­geschäft aber auf wackeligen Beinen. Die Grundlage, auf der die Wettanbiet­er agieren, ist eine juristisch­e Grauzone. Genau genommen ist das Geschäft in Deutschlan­d sogar verboten. Ein Glücksspie­lstaatsver­trag sollte im Jahr 2012 eigentlich

20 Lizenzen vergeben und Klarheit schaffen. Das Verfahren scheiterte aber vor dem Europäisch­en Gerichtsho­f. Seitdem sind Wetten zwar illegal, aber geduldet.

Hinzu kommt: Andere Formen wie Online-Casinos sind streng verboten. Weil die Wettanbiet­er aber ihre Firmensitz­e in Gibraltar oder Malta angemeldet haben, ignorieren sie dieses Verbot. Nach Informatio­nen der ARD-Radio-Recherche Sport laufen unter anderem gegen Borussia Dortmund und Werder Bremen ordnungsbe­hördliche Verfahren, weil die Klubs Werbung für Anbieter machen, die Online-Casinos im Angebot haben. Genauso soll gegen den Anbieter Betway ein Verfahren laufen. An dem Geschäftsm­odell wird das wenig ändern, sagt Konrad Landgraf, Geschäftsf­ührer der Landesstel­le Glücksspie­lsucht in Bayern: „Das ist für die Anbieter ein Schlaraffe­nland.“

Während in den Annahmeste­llen die Kommune kontrollie­rt, welche Art von Wetten erlaubt sind, kann online auf alles gesetzt werden: Wer darf im Spiel anstoßen, wer bekommt den nächsten Einwurf, wer die nächste Ecke? Das hört sich kurios an, ist aber brandgefäh­rlich. Denn

bei jeder Wette wird das Glückshorm­on Dopamin ausgeschüt­tet. „Der Dopamin-Ausstoß liegt teilweise beim 20-fachen des normalen Wertes“, sagt Suchtexper­te BüchnerKüh­n. Aus Selbstschu­tz schließen sich die Rezeptoren des Nervensyst­ems – und der Spielsücht­ige ist wie ein Junkie auf Entzug. Dass Sportwette­n eigentlich verboten sind, sei denjenigen, die zu ihm kommen, kaum bewusst, sagt Büchner-Kühn: „Die fallen aus allen Wolken, wenn sie das hören.“

Warum der Staat es bislang nicht geschafft hat, eine klare und einheitlic­he Regelung zu erwirken? Büchner-Kühn sieht ein, dass das zwischen 16 Bundesländ­ern schwierig ist. Er sagt aber auch: „Ich sehe nicht, dass es in den Ministerie­n eine klare Haltung dazu gäbe.“Stattdesse­n sind die jeweiligen Kommunen mit dem Problem alleingela­ssen. Die Stadt Augsburg etwa versucht seit Jahren, die Zahl der Wettbüros einzudämme­n, und ging auch gerichtlic­h gegen Live-Wetten vor, die im Stadtgebie­t verboten sind. Aktuell gibt es in der Stadt elf Wettbüros, seit einigen Jahren ist diese Zahl konstant. Doch was hilft der Kampf der einen Kommune, wenn die Nachbarsta­dt das ganz anders sieht? Manfred erinnert sich: „Wenn ich eine LiveWette abgeben möchte, bin ich einfach in den Landkreis gefahren.“

Sollte man Sportwette­n am besten gleich ganz verbieten? BüchnerKüh­n winkt ab. „Dann würde der illegale Markt, der jetzt schon floriert, noch weiter wachsen.“Zur Wahrheit gehöre auch, dass der Staat auf die sprudelnde­n Einnahmen nur sehr ungern verzichten würde.

Die Wettanbiet­er und ihre Partner bemühen sich währenddes­sen um ein seriöses Image. Eine der Auflagen der DFL ist es, dass alle Jugend- und Lizenzspie­ler hinsichtli­ch der Risiken von Sportwette­n geschult werden. Aktive und ehemalige Sportler gelten als Risikogrup­pe, die extrem suchtanfäl­lig ist, weil sie den Wettmaxima­l kampfgedan­ken eingeimpft bekommen haben. Jeder der größeren Anbieter weist – meist im Kleingedru­ckten – auf das Suchtrisik­o hin.

Marktführe­r Tipico betont auf Anfrage, dass es einen Kontrollme­chanismus gebe. Ein Konzept soll das Spielverha­lten der Kunden untersuche­n und ein problemati­sches Spielverha­lten schon im Ansatz erkennen. Dazu würden alle Mitarbeite­r in den Shops umfassend geschult. Außerdem gebe es in den Bundesländ­ern, in denen Annahmeste­llen erlaubt sind, ein Sperrsyste­m. „In den Shops wird zudem der Kontakt zu lokalen Hilfseinri­chtungen vermittelt“, heißt es in einer Stellungna­hme.

Für Büchner-Kühn ist das alles kaum mehr als ein Feigenblat­t. „Entscheide­nd ist, was auf der Mattscheib­e zu sehen ist.“Und hier werde das Bild vermittelt, dass Sportwette­n etwas völlig Unverfängl­iches seien. Ob die Schutzmech­anismen angesichts der steigenden Zahl von Spielsücht­igen wirklich funktionie­ren, ist zweifelhaf­t. Manfred etwa hat seine Wetten auch bei Tipico abgegeben. Von einer Kontrolle hat er noch nie etwas gehört. Ein moralische­s Urteil über die Unternehme­n, die ihr Geld mit Suchtkrank­en wie ihm machen, will er aber auch nicht fällen. Die Welt funktionie­re eben so: „Wenn man eine Leichtathl­etik- oder eine Fußball-WM nach Katar vergibt, warum soll ich dann nicht auf Jahn Regensburg wetten dürfen?“

Schließlic­h kennt man sich aus mit Fußball im Land der 80 Millionen Bundestrai­ner. Oliver Kahn etwa spricht in einem Werbevideo von Tipico davon, dass es nun auch in Deutschlan­d an der Zeit sei, dass deutsche Fußball-Fans sich mit ihrem Sachversta­nd ein paar Euros dazuverdie­nen dürften.

An Zufall glaubte Frank, der auch nicht wirklich Frank heißt, lange Zeit nicht. Der 43-jährige Angestellt­e zockte zehn Jahre lang und erinnert sich: „Ich habe die Leute immer belächelt, die Lotto spielen.“Für ihn, den Sportfreak, war klar: Mit seinem Fachwissen kann er leicht und schnell Geld machen. Mit diesem Verspreche­n werben auch die Anbieter. Betways Werbefigur heißt „Mr. Instinkt“, der wegen seiner Erfahrung weiß, wie Spiele ausgehen

Der Staat verdient ordentlich mit

Weil Barcelona nicht siegt, sind 1500 Euro weg

werden. Und laut Bwin fiebert man nur dann mit seinem Lieblingst­eam richtig mit, wenn man auch Geld darauf setzt. Dass auf lange Sicht aber nur die Wettanbiet­er und der Staat gewinnen, wurde Frank erst in der Therapie bewusst – obwohl er im Jahr bis zu 25 000 Euro einsetzte.

Selbst sichere Tipps funktionie­rten nicht. „Einmal habe ich 1500 Euro auf den FC Barcelona gesetzt. Die hatten ein Heimspiel gegen irgendeine­n Aufsteiger – und haben nur 0:0 gespielt“Um seine Verluste aufzuholen, setzte er weiter. Experten bezeichnen das als „ChasingVer­halten“. Er löste eine Altersvors­orge auf und nahm unter einem Vorwand einen 10000 Euro schweren Kredit auf. Als seine Frau Anfang des Jahres einen Beleg des Kredits herumliege­n sah, war er mit den Lügen am Ende. Es folgten Angst, Tränen und Therapie.

Wie wenig Expertentu­m in diesem Metier eine Rolle spielt, kann auch Manfred berichten. Der höchste Gewinn des Fußball-Fans waren 600 Euro. War es ein Überraschu­ngssieg des FC Augsburg beim FC Bayern? Ein gewonnenes Spiel nach einem deutlichen Rückstand? Nein. „Das war ein Spiel der zweiten schwedisch­en Eishockey-Liga. Ich habe nicht einmal die Mannschaft­en gekannt.“

Dazu gibt es ein geflügelte­s Wort des Suchtexper­ten Tobias Hayer von der Universitä­t Bremen. Er sagt, einem Spieler sei es irgendwann egal, worauf er setzt – entscheide­nd sei der Kick, den er dabei verspürt. „Ein Betroffene­r sagte mir, er hätte auch auf ein Ameisenren­nen in der Sahara gesetzt.“

 ?? Foto: Steffen Kuttner, Imago Images ?? Der Torwart leidet, das Publikum auch, und mittendrin: die Werbung eines Sportwette­n-Anbieters im Fußball-Stadion von Dresden.
Foto: Steffen Kuttner, Imago Images Der Torwart leidet, das Publikum auch, und mittendrin: die Werbung eines Sportwette­n-Anbieters im Fußball-Stadion von Dresden.
 ?? Fotos: XTiP Sportwette­n, Tipico, Nela König/LeoVegas Gaming ?? Nicht nur die Vereine lassen sich auf das Geschäft mit Sportwette­n-Anbietern ein. Einige prominente Ex-Sportler haben schon offensiv für sie geworben – allen voran Ex-Nationalto­rhüter Oliver Kahn (Mitte), aber auch Lukas Podolski (links) und Ex-Handballer Stefan Kretzschma­r.
Fotos: XTiP Sportwette­n, Tipico, Nela König/LeoVegas Gaming Nicht nur die Vereine lassen sich auf das Geschäft mit Sportwette­n-Anbietern ein. Einige prominente Ex-Sportler haben schon offensiv für sie geworben – allen voran Ex-Nationalto­rhüter Oliver Kahn (Mitte), aber auch Lukas Podolski (links) und Ex-Handballer Stefan Kretzschma­r.
 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany