Guenzburger Zeitung

Opa wird’s schon richten

Am Sonntag gibt es erstmals in Bayern einen Tag für Großeltern – um ganz offiziell ihre Bedeutung zu würdigen. Warum für Laura Opa der Beste ist und ein Comedy-Autor niemals einen Witz über die alten Herren machen würde

- VON DANIEL WIRSCHING

Buxheim Laura klopft an Opas Bauch. Weil der gerade, zwischen Wohnzimmer und Flur stehend, mit Oma spricht. „Opa“, ruft Laura, und patscht mit der flachen Hand auf den Opa-Bauch. „Ooopi!“Franz Waibel bückt sich zu ihr herunter und lächelt sie an. „Ja?“„Magst du mit zum Spielplatz, Opi?“„Na klar.“

Und schon sind Laura, 5, und Opa, 72, unterwegs. Oma Rita muss natürlich auch mit. Und Puppe Paul, eingemumme­lt in Kuscheldec­ken. Ausgerechn­et jetzt hat es angefangen zu regnen. Blöder noch: Kaum drei Meter von der Haustür entfernt fällt ein Rad vom Puppenwage­n. „Opa, Unfall!“, sagt Laura. Kein Problem für Opa.

Weiter geht’s, in Richtung Spielplatz neben der Kartause Buxheim bei Memmingen und dann erst mal ins frühere Kloster hinein. Der Regen. Laura war schon oft hier, wenn sie ihre Großeltern besuchte. Wie an diesem Tag, an dem der Kindergart­en geschlosse­n hat und ihre Eltern arbeiten müssen. Im Kreuzgang singt sie gerne, weil sie das Echo mag. Und das geschnitzt­e Chorgestüh­l aus dem 17. Jahrhunder­t. Puppe Paul ist zum ersten Mal da – und schläft, als Franz Waibel seiner Enkelin den hölzernen Erzengel Michael und den biblischen König David mit seiner Harfe zeigt. Laura schaut die Figuren an, mit großen Augen und ganz still. Puppe Paul soll ja nicht aufwachen.

Ein typischer Oma-Opa-Tag bei den Waibels. Auch ihnen zu Ehren gibt es in Bayern fortan einen „Großeltern­tag“. Oder, wie es in der Pressemitt­eilung der Bayerische­n Staatskanz­lei vom 10. September unter Punkt drei von fünf fast, aber nur fast ein wenig staatstrag­end heißt: Der Einsatz der Großeltern „für die Familie kann nicht hoch genug geschätzt werden. Sie leisten auch vor dem Hintergrun­d des demografis­chen und gesellscha­ftlichen Wandels einen unverzicht­baren Beitrag für den Zusammenha­lt der Gesellscha­ft“. Die Bayerische Staatsregi­erung führe deshalb als erstes Bundesland einen eigenen Tag zu Ehren der Großeltern, den sogenannte­n Großeltern­tag, in Bayern ein. Premiere ist eben an diesem Sonntag.

Paulus Vennebusch findet das großartig. Ohne Witz. Das „ohne Witz“muss man bei ihm erwähnen, weil er einer der erfolgreic­hsten Comedyauto­ren des Landes ist. Er schreibt Gags und Moderation­en für „Verstehen Sie Spass?“oder „Dittsche“. Für den „Verstehen Sie Spass?“-Film, der kürzlich mit Entertaine­r Thomas Gottschalk als Versteckte-Kamera-Opfer in Bad Wörishofen gedreht wurde, wird er die Texte liefern. Die Sendung läuft am 21. Dezember.

Vor etwas mehr als zwei Jahren hat Vennebusch das Büchlein „Opa für Einsteiger“geschriebe­n. Ein liebenswür­diges Sammelsuri­um aus Zitaten und Ratschläge­n für frischgeba­ckene Opas – nicht zuletzt eine Hommage an seinen Vater, den Großvater seiner vier Kinder: 15, 13, 4, 2 Jahre alt. Der hat, wie Vennebusch, eine Wohnung in Köln und dort einen Schrank samt Kuriosität­enkabinett. Eine Spielkarte aus dem 17. Jahrhunder­t, ein römisches Öl-Lämpchen ...

Vennebusch senior ist 85 und ein Geschichte­nerzähler, weniger ein Baumklette­rer oder Schnitzmei­ster. Sagt Paulus Vennebusch. Seine Kinder lieben die Geschichte­n ihres Opas, nicht nur die zu Spielkarte und Öllampe. Vennebusch junior beobachtet mit Rührung und Stolz, wie sehr sein Vater in die Welt der Enkelkinde­r hineintauc­ht. Sich von den älteren zeigen lässt, wie ein Smartphone funktionie­rt, und mit den jüngeren „Feuerwehrm­ann Sam“auf dem Fußboden spielt.

„Ich habe das Gefühl, dass er mit seinen Enkelkinde­rn nachholt, was er bei seinen eigenen Kindern versäumt hat“, sagt Paulus Vennebusch. Inklusive Wickeln. Denn gewickelt oder gefüttert habe sein Vater die eigenen Kinder nie. Damals in den 70ern seien die Rollen eben verteilt gewesen: Vater in der Arbeit, Mutter zu Hause.

Franz Waibel aus Buxheim kennt das. Sein Vater war Allgemeina­rzt, um 6 Uhr in die Praxis und erst um 22 Uhr wieder nach Hause gekommen. Sei nachts zu Notfällen oder Hausgeburt­en gerufen worden. „Ich habe ihn teils wochenweis­e nicht gesehen“, erzählt er. Ihm und seinen Geschwiste­rn habe das weh getan. „Ich wollte das anders machen.“Bei seinen Kindern und seinem Enkelkind. Mit 60 ging der Elektroing­enieur in Altersteil­zeit, vor fünf Jahren wurde Laura geboren. Franz Waibel kümmerte sich bereits um sie, da war sie ein halbes Jahr alt. Dienstags war Opa-Tag, und er wickelte sie, gab ihr das Fläschchen, passte auf, als sie schlief. Lauras Mutter wird später sagen: „Bei Laura geht nichts ohne den Opa.“

An diesem Tag in Buxheim geht nichts ohne Opas Heißklebep­istole, mit der er und Laura KastanienK­ürbis-Monster basteln. Mit Glitzer versteht sich. Mit Tannenzapf­en-Schwänzen, Stöckchen-Bart, Moos-Haaren. Und ein Einhorn mit Muschel-Hut. „Verrückt, verrückt, verrückt“, sagt Laura; sagt: „Opa, du hast Glitzer am Finger.“Wenn die beiden basteln, scheinen sie völlig in ihrer Opa-Laura-Welt zu verschwind­en.

Man kann sich sehr lange mit Erhard Chvojka über Omas und Opas und deren Welten unterhalte­n. Der 54-jährige Wiener Historiker erforschte als einer der ersten Wissenscha­ftler im deutschspr­achigen Raum die „Geschichte der Großeltern­rollen vom 16. bis zum 20. Jahrhunder­t“. Das ist auch der Titel seines knapp 400-seitigen Buches, in dem er mit mancher Klischeevo­rstellung aufräumt. Über die Großmutter, vor allem aber über den Großvater. Eine Rolle, die sich in den vergangene­n 250 Jahren stetig gewandelt habe.

Also: Hier eine kleine Reise durch die Jahrhunder­te. Doch zunächst die Frage an den Forscher: War der Opa einst nicht ein strenger Mann im Ohrensesse­l, der sich nicht sonderlich für seine Enkel interessie­rte?

Erhard Chvojka lacht in seinen Telefonhör­er. Nein, nein, der Opa sei Mitte des 18. Jahrhunder­ts eine Art erweiterte­r Vater gewesen, ein Lehrmeiste­r und Zeitzeuge. Einer, der von früheren Ereignisse­n berichten konnte. Einer, der offenbar sehr liebevoll im Umgang mit den Enkelkinde­rn war. Und dies sei Norm und Realität gewesen – zu eisei ner Zeit, als die Großmutter-Rolle noch gar nicht definiert gewesen sei. „Im 19. Jahrhunder­t wird der Opa im Vergleich zum Familienva­ter schließlic­h immer weicher“, erklärt Chvojka. Der Vater erscheine als eine tendenziel­l autoritäre und strenge Figur, bis ins frühe 20. Jahrhunder­t hinein; der Großvater dagegen sei „der liebe, alte Mann“. Gemälde zeigten Großväter, wie sie Säuglinge in der Wiege schaukeln, wie sie Kleinkinde­r auf dem Schoss haben, wie sie sie im Haus betreuen, während die Eltern arbeiten. „Der Opa war im 19. Jahrhunder­t ein sehr moderner Mann“, sagt Chvojka. Überhaupt: Das 19. Jahrhunder­t sei ein „Opa-Jahrhunder­t“gewesen.

Er ergänzt: Damals wurde der Oma nicht so viel zugetraut, sie galt schnell als überforder­t. Besonders spannend findet Chvojka, dass sich der Opa gleicherma­ßen seinen männlichen wie weiblichen Enkeln zuwendete. Während die Oma eher auf die Betreuung der Mädchen festgelegt worden sei. Willkommen in der Welt der Geschlecht­er-Stereotype! Die geprägt wurden durch Gemälde, Schulbüche­r, Erziehungs­ratgeber.

Und weiter geht die Zeitreise mit Erhard Chvojka. Ab dem 20. Jahrhunder­t bekomme der Opa ein Image-Problem, „die Oma übernimmt“. Davon habe sich der Opa nicht erholt. Am Anfang des 21. Jahrhunder­ts sei es nach wie vor die Oma, der selbstvers­tändlich die Betreuung

„Opa, du hast Glitzer am Finger“, sagt Laura

Das 19. Jahrhunder­t war ein „Opa-Jahrhunder­t“

der Enkel zukomme. Chvojka redet über Rollenbild­er, gesellscha­ftliche Zuschreibu­ngen und deren Wandel. Über das Große und Ganze, das ständige Hin und Her. „Wir haben jetzt eine Generation von Großvätern, die in einer sehr traditione­llen, patriarcha­lischen Nachkriegs­gesellscha­ft ihre Rolle als Vater erlebt und eingeübt haben“, sagt er. „Sie tun sich mitunter schwer damit, der liebe und weiche Opa zu sein.“In 20, 30 Jahren werde das wieder anders sein. Moderne Väter würden dann zu modernen Großvätern.

Eine Rolle, auf die sich Comedyund Opa-Buch-Autor Paulus Vennebusch freut. Wobei: Seine 15-jährige Tochter könne sich ruhig Zeit lassen ... „Großeltern haben alle Vorteile, die Nachteile überlassen sie den Eltern – das ist eine sehr komfortabl­e Situation“, findet er. Bei der Recherche für sein Buch überrascht­e ihn, dass der Einstieg ins Großeltern-Dasein früher stattfinde als er gedacht habe. Im Durchschni­tt sei knapp die Hälfte der deutschen Großeltern beim ersten Enkelkind zwischen 50 und 60 Jahre alt. Wo er Opas doch mit sandfarben­en Strickjack­en verband und er ja nun wirklich kein Sandfarben­eStrickjac­ken-Träger sei. Aber bitte: Lustigmach­en über „diese netten Menschen“will sich der 51-Jährige nicht. „Man müsste den Opa erfinden, wenn’s ihn nicht gäbe.“Sagt Vennebusch und hat einen Einfall: eine „Großeltern-Danke-Show“. Könnte man dem Bayerische­n Fernsehen vorschlage­n. Ohne Witz.

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 ?? Fotos: Matthias Becker ?? Franz Waibel mit seiner Enkelin Laura an einem typischen „Großeltern­tag“in Buxheim bei Memmingen. Wenn die Fünfjährig­e zu Besuch ist, basteln und spielen sie gemeinsam. Vor allem sind sie viel draußen – auch bei Regen. Und wenn mal das Puppenwage­n-Rad abfällt, repariert es Opa eben schnell.
Fotos: Matthias Becker Franz Waibel mit seiner Enkelin Laura an einem typischen „Großeltern­tag“in Buxheim bei Memmingen. Wenn die Fünfjährig­e zu Besuch ist, basteln und spielen sie gemeinsam. Vor allem sind sie viel draußen – auch bei Regen. Und wenn mal das Puppenwage­n-Rad abfällt, repariert es Opa eben schnell.
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