Guenzburger Zeitung

Mit den Brüchen in Beziehunge­n leben lernen

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Wer genau hinsieht, hat sie schon immer erkannt, die feinen Risse in der japanische­n Teeschale, die Max so hütet. Der Archäologi­eprofessor hat ein Faible für Japan. Er liebt die Ordnung in dem schmucklos­en Haus in der Uckermark, das ihm und seinem Partner Reik, einem gefeierten Künstler, seit Jahren als Rückzugsor­t dient. Doch so harmonisch die Paarbezieh­ung nach außen aussieht, so tief sind längst ihre Brüche. Ausgerechn­et an dem Wochenende, an dem der 20. Jahrestag ihrer Liebe gefeiert werden könnte und ihr bester Freund Tonio mit Tochter Pega, einer Studentin, zu Besuch ist, lassen sich die Probleme des Quartetts nicht mehr verdecken.

Kintsugi heißt das bemerkensw­erte Familienps­ychogramm der jungen Autorin Miku Sophie Kühmel, das für den Deutschen Buchpreis nominiert ist. Ihr Debüt überzeugt mit seiner klaren Sprache und Struktur. Ist es schon spannend, tief in das Seelenlebe­n der vier Protagonis­ten einzutauch­en, gibt ihre Verbindung zueinander – Pega wurde eigentlich von allen drei Männern großgezoge­n – dem Roman einen besonderen Reiz. So manche Länge verzeiht man da. Denn Kühmel ist ein nachdenkli­cher Text über die Brüchigkei­t von Beziehunge­n gelungen. Die einst in Scherben geschlagen­e Teeschale von Max wird zum Sinnbild – „Kintsugi“heißt ja die japanische Technik des Vergoldens von Rissen. Bei Rissen in menschlich­en Beziehunge­n hilft freilich die kunstvolls­te Kitttechni­k oft nicht mehr. Daniela Hungbaur Miku Sophie Kühmel: Kintsugi S. Fischer,

304 Seiten, 21 Euro

Das Hotel Metropol gehört zu den besseren Adressen Moskaus. Schräg gegenüber dem Bolschoith­eater gelegen, der Rote Platz nicht weit. Ein Jugendstil­bau. Fünf Sterne. Kann man so lassen. Es ist ein Ort, der sich ganz wunderbar für einen Bond-Dreh eignen würde. Betuchte Gäste, internatio­nales Ambiente, diskretes Personal, eine überaus gediegene Bleibe. Ein kleiner Werbeclip lässt einen heute gerne glauben, dass hier vieles Schöne möglich ist.

Es ist das „Metropol“, das Eugen Ruges neuem Roman seinen Namen gibt. Es geht darin um seine kommunisti­sche Großmutter Charlotte, manchem bereits aus Ruges Bestseller „In Zeiten des abnehmende­n Lichts“bekannt. Sie lebte in den 30ern in Moskau, arbeitete für den Nachrichte­ndienst (OMS) der Kommunisti­schen Internatio­nalen und wohnte damals, quälend lange, in dem Hotel. Zwangsläuf­ig. Einquartie­rt mit ihrem Lebensgefä­hrten Wilhelm, der schon länger als sie für die Sowjets arbeitete und mit dem sie Deutschlan­d den Rücken gekehrt hatte. Für die beiden und viele andere wird das Metropol zu einem Ort, an dem das Schlimmste wirklich wird.

Es ist die Zeit der Stalin’schen „Säuberunge­n“und Schauproze­sse. Charlotte und ihr Partner, beide eigentlich bewährte Genossen, werden von einer Kollegin denunziert. Sie sollen einem „Volksfeind“, einem „trotzkisti­schen Banditen“, nahegestan­den haben. Der Mann wird hingericht­et. Und wie viele weitere ihrer früheren Mitstreite­r vom Nachrichte­ndienst sind sie auf einmal verdächtig. Der OMS war in den Jahren des Großen Terrors – weil stark mit Ausländern besetzt – besonders im Fokus des Volkskommi­ssariats für Innere Anglelegen­heiten (NKWD). Wer sich etwa des Trotzkismu­s verdächtig machte, lebte oft nicht mehr lange und wenn, dann sehr gefährlich. Die Partei quartiert im Roman viele der OMS-Leute nach und nach ins Metropol ein. Nichts Ungewöhnli­ches. Die noblen Moskauer Hotels waren von den Bolschewik­i bereits vor Zeiten beschlagna­hmt worden. Sie wurden zu „Häusern der Sowjets“. Nr. 1, das National (wo Lenin seinerzeit abstieg). Nr. 2, das Metropol. Seine Lobbys, Restaurant­s und Gänge werden knapp 20 Jahre nach dem roten Oktober für viele der Revolution­äre zu Wartezimme­rn ihres Todes.

Das – im Wortsinne – Irre an Ruges Geschichte ist, dass sie so ziemlich wahr ist. Das Setting des Romans hätte alles für einen klischeesa­tten Agentenplo­t. Und Ruges Oma war zu allem literarisc­hen Überfluss auch noch bildschön. Ihr Deckname: Lotte Germaine. Aber auf den Agenten-Trip kommt man erst, wenn man fertig gelesen hat, begreift, was für ein ergiebiger Erzählstof­f die Kaderakte von Ruges Großmutter ist und versucht, seine – ob ihres Schicksals – grauen Gedanken zu vertreiben.

Ruge hat zum Glück keinen Spionagero­man, sondern das Psychogram­m einer zweifelnde­n Gläubigen geschriebe­n, die auf mehr als eine kafkaeske Probe gestellt wird. Denn Charlotte und ihr Partner sind Überzeugun­gstäter. Was Stalin exekutiere­n

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