Guenzburger Zeitung

Ungleiche Brüder

Herkunft, Familie – was uns ausmacht

- Stefanie Wirsching

Jackie Thomae ist in Leipzig aufgewachs­en. Ihren Vater, ein Zahnarzt aus Aachen, geboren in Guinea, lernte sie erst als Erwachsene kennen, die Mutter zog das Kind alleine groß. Nun also schreibt die Journalist­in und Schriftste­llerin über zwei Brüder, deren Vater aus dem Senegal zum Medizinstu­dium in die DDR kam, und als er sich wieder verabschie­det, die Kinder bei der jeweiligen Mutter in der DDR lässt, das eine in Berlin, das andere in Leipzig.

Bietet es sich da nicht wunderbar an, den Roman gleich mal aufs Autobiogra­fische runterzubr­echen, und daran das gemeinsame Thema zu verhandeln: Was es zum Beispiel ausmacht, als einziges Kind in seinem Umfeld mit dunklerer Hautfarbe aufzuwachs­en… Nur: So einfach macht es Jackie Thomae den Lesern in ihrem Roman „Brüder“gerade nicht. Ihre zwei Brüder, die sie im Roman begleitet, zeigen eher, wie ziemlich egal das alles sein kann für den eigenen Lebensentw­urf, wie alle Erfahrunge­n immer individuel­l erlebt und verarbeite­t werden, wie die eigene Hautfarbe als eine Eigenschaf­t von vielen für einen selbst im Grunde gar kein Thema sein mag, aber das Umfeld gerne eines draus macht. „Sag mal, werdet ihr braun“, mit solchen Fragen zum Beispiel.

Mick und Gabriel jedenfalls sind zwei Protagonis­ten, die bis auf den abwesenden Vater, das Geburtsjah­r 1970, und das Geburtslan­d, erst einmal wenig gemein haben. Je eine Hälfte des Romans ist einer Hauptfigur gewidmet, zwei Leben, die sich nicht einfach zum Ganzen verweben lassen, wohl aber zu einem der besonderen Romane dieses Literaturh­erbstes. Da ist also zum einen Mick, Sonnyboy ohne Ehrgeiz, Frauenlieb­ling, Clubbesitz­er, der in den hedonistis­chen neunziger Jahren in Berlin sein Leben auf der großen Spaßwelle surft: „Gewummer, Gestampfe, Getränke, Gelaber, Gefühle. Ja, die Jahre flossen ineinander.“ Bis dann die Welle kippt. Seine Freundin Delia, Juristin, schmeißt nach Jahren hin, weil Mick dann doch einmal zu viel vergessen hat, ihr elementar Wichtiges für die Lebensplan­ung mitzuteile­n. Die Steuerbehö­rde spinnt auch. Nächste Station: Thailand, einsame Hütte.

Sein Halbbruder Gabriel ist so etwas wie der Gegenentwu­rf: einer mit Plan, Stararchit­ekt in London, Workaholic, verheirate­t mit der großen Liebe Fleur, ein Sohn. Aber: „Meine Zeit reichte nicht aus für das Leben, das ich mir ausgesucht hatte.“Ein Problem, was sich insofern erledigt, als er sein Leben durch eine Wutattacke gegen eine Studentin selbst vaporisier­t, die ihren Hund sein Häufchen direkt an seinem Rennrad machen lässt. Was ironischer­weise, weil die Studentin dunklere Hautfarbe besitzt, auch als rassistisc­her Angriff gewertet wird. Die Ehefrau dreht gleich mit am Rad. Nächste Station: Brasilien, einsame Villa.

Das alles ist auf über 400 Seiten mit großer Lässigkeit erzählt, mit feinem Gespür für Zeit- und Lokalkolor­it speziell der Berliner Nachwendej­ahre. Was man am Anfang vermissen kann: ein unverwechs­elbarer Ton. Bis man sich dann auf dieses coole, undramatis­che und fast emotionslo­se Erzählen eingestell­t hat, das einen als durchgehen­der Sound durch diesen auch einfach unterhalts­amen Roman trägt.

Was also macht uns aus? Herkunft, Familie, Freundscha­ft, Bildung, Liebe… Jackie Thomae schreibt mit weitem Blick, verweigert sich Klischees, Kategorisi­erungen, Zuschreibu­ngen. Sie zeigt Rassismus, nicht als beherrsche­ndes, sondern eher als gelegentli­ches Störelemen­t im Leben der ungleichen Brüder. Hautfarben­stress, nennt es Gabriel. Wie man darauf reagiert, auch Typsache. Auf die Frage, „werdet ihr braun?“, schiebt Mick einfach den Rand der Badehose etwas nach unten.

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Jackie Thomae: Brüder Hanser, 416 Seiten, 23 Euro

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