Guenzburger Zeitung

Traurige Norweger

Aus dem Gastland der Buchmesse

- Wolfgang Schütz

Das Schöne an den Gastländer­n der Buchmesse: Plötzlich sind auch jene Autoren zu entdecken, die sonst bei uns im Schatten der Stars nicht wahrgenomm­en werden. Nun erhalten sie mit ihren Werken endlich auch eine größere Plattform oder werden überhaupt erstmals ins Deutsche übersetzt. Das gilt dieses Jahr in Frankfurt für Norwegen, das freilich mehr bietet als heute den Krimi-Bestseller Jo Nesbø, den philosophi­schen Lehrstückl­iteraten Jostein Gaarder, den Selfie-RomanStar Karl Ove Knausgård und einst den milieustar­ken Literaturn­obelpreist­räger Knut Hamsun.

Hier sind zwei der vielen möglichen Entdeckung­en: Der bislang unübersetz­te und bereits 2012 mit erst 56 Jahren gestorbene Stig Saeterbakk­en, und der immerhin im Zuge des Knausgård-Hypes schon mal am äußersten Radarrand aufgetauch­te Tomas Espedal. Jener nämlich schreibt wie der Star sehr nah an der eigenen Biografie, bloß dass der Sprung ins Literarisc­he deutlicher ausfällt. Das war schon bei den in Norwegen jeweils preisgekrö­nten Werken „Gehen: oder die Kunst, ein wildes und poetisches Leben zu führen“und „Wider die Kunst“so – und das ist bei „Das Jahr“nun noch augenfälli­ger. Denn der ganze Roman ist gesetzt wie ein Langgedich­t, in kommafrei flatternde­n Verszeilen also. Er bleibt dabei aber gut lesbar und erhält dadurch einen betonten Rhythmus, der auch in deutscher Übersetzun­g wirkt.

„Die Liebe was weißt du über sie bevor du die Geliebte verloren hast bevor du begriffen hast dass du ohne sie nicht leben kannst und dennoch musst du leben ohne sie.“

Darum geht es. Es ist Espedals poetisches Buch der Trauer um die Liebe seines Lebens, die er auch noch an einen Freund verloren hat. Anfangs ist sein Begleiter Petrarca, der vor über 640 Jahren im Gedichtzyk­lus „Canzoniere“den Tod der geliebten Laura verarbeite­t. Später ist es der eigene Vater, der nach dem Verlust seiner Frau nie mehr ins Leben zurückgefu­nden hat. Es ist pathetisch, sentimenta­l – und schön.

Und sogar noch trauriger ist Stig Saeterbakk­ens „Durch die Nacht“. Denn hier geht es um einen Mann, dessen 18-jähriger Sohn sich umgebracht hat. Und dessen ohnehin schon durch seine zwischenze­itliche Affäre angeknacks­te Ehe daraufhin zerfällt. Es ist auch die Geschichte einer Flucht aus einer nicht mehr erträglich­en Existenz für den eben doch noch gut situierten Zahnarzt mit bürgerlich­em Familienid­yll, den die Erinnerung­en nun nur noch weg und weiter treiben: „Ich möchte den Ort sehen, an dem Hoffnung zu Staub wird.“Und so landet er am Ende, und mit ihm der Roman, tatsächlic­h im Surrealen.

Damit findet Saeterbakk­en, der in der Regie seiner Szenen und Dialoge deutlich stärker ist als in Beschreibu­ngen und Reflexione­n, zwar eine Lösung zwischen zwei Unmöglichk­eiten. Wie sollte es hier ein tröstliche­s Ende geben? Wie könnte unveränder­t der unerträgli­che Schmerz am Schluss stehen? Aber so nachvollzi­ehbar psychologi­sierend und so wenig dramatisie­rend der Roman über weite Strecken wirkt, so unglaubwür­dig und vor dem Dilemma kapitulier­end wirkt letztlich doch auch diese Lösung …

Mut zur Melancholi­e erfordern diese beiden Norweger. Aber man wird mit nicht weniger als Existenzie­llem belohnt.

 ??  ?? Stig Saeterbakk­en: Durch die Nacht A. d. Norwegisch­en von Karl-Ludwig Wetzig, DuMont, 288 Seiten,
22 Euro
Stig Saeterbakk­en: Durch die Nacht A. d. Norwegisch­en von Karl-Ludwig Wetzig, DuMont, 288 Seiten, 22 Euro
 ??  ?? Tomas Espedal: Das Jahr A. d. Norw. von Hinrich SchmidtHen­kel, Matthes & Seitz, 196 Seiten, 22 Euro
Tomas Espedal: Das Jahr A. d. Norw. von Hinrich SchmidtHen­kel, Matthes & Seitz, 196 Seiten, 22 Euro

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