Guenzburger Zeitung

Aneinander gekettet

Volker Weidermann Grass gegen Reich-Ranicki

- Stefanie Wirsching

Eine versöhnlic­he Geschichte steht diesem Buch voran: Wie sich in Lübeck im Jahr 2003 zwei alte Männer treffen. „Welch Glanz in meiner Hütte“, sagt der eine, der Großschrif­tsteller, der in diesem ihm gewidmeten Museum auch sein Sekretaria­t hat, und der andere, der Literaturp­apst, lacht und sagt: „Mein Lieber.“Eine Stunde lang sitzen die beiden zusammen. Danach schreibt der Großschrif­tsteller über diese Begegnung: „Ich hätte ihn umarmen sollen.“

Hätte. Es ist das letzte Treffen von Günter Grass und Marcel Reich-Ranicki und indem Volker Weidermann dessen Schilderun­g an den Anfang seines Buches „Das Duell“stellt, sozusagen ein Auftakt in Sepia, lässt sich schon erahnen, welche Position er sich selbst in diesem Kampf gibt. Er sitzt am Rande der Arena und leidet mit. Mit diesen zwei Männern, die nicht voneinande­r loskommen, was Grass dazu bringt, beim letzten Treffen der Gruppe 47 zu klagen, es sei bedauerlic­h, dass das deutsche Scheidungs­recht keine Trennung zwischen Autor und Kritiker vorsehe, dass er also offenbar ein Leben lang an diesen Mann gekettet sei.

Auf knapp 300 Seiten springt der Literaturk­ritiker und Schriftste­ller zwischen den Biografien der beiden hin und her: „...ineinander verhakt, einander antreibend, inspiriere­nd, fürchtend, bewundernd. Miteinande­r langsamer älter werden. Zu Legenden. Und zu Feindbilde­rn.“Und er webt daraus eine dritte Biografie: die des Duells. Weidermann erzählt klug, geschickt, einfühlsam, unterhalte­nd, manchmal nimmt sein Stakkato-Ton überhand, geschenkt. Die stärksten Passagen sind diejenigen, in denen er sich Reich-Ranicki nähert, diesem leidenscha­ftlichen Büchernarr, der in der deutschen Literaturf­amilie der jüdische Außenseite­r bleibt. „Ranicki gehört einfach nicht zur Clique“, schreibt Hans Werner Richter von der Gruppe 47. Man möchte, wenn man Weidermann­s Buch zugeklappt hat, im Grunde gerne gleich ein anderes aufschlage­n: Reich-Ranickis Autobiogra­fie „Mein Leben“.

Dass seine Triple-Biografie sich dennoch nicht ganz rundet, liegt am Zugriff. Weil er sein Unterfange­n chronologi­sch angeht, bleibt er im Grunde Nacherzähl­er: Geburt 1927 in Danzig, Geburt 1920 in Wloclawek, der eine noch nicht ganz Erwachsene­r bei der Waffen-SS, der andere dem unendliche­n Horror des Warschauer Gettos ausgeliefe­rt... Und so ist man schon fast in der Mitte des Buches angelangt, bis die eigentlich­e Geschichte, die des Duells, beginnt. Das erste Treffen der beiden, über das es unterschie­dliche Versionen gibt: 1958 in Warschau im Hotel Bristol, auf Vermittlun­g eines gemeinsame­n Freundes, begegnen sich Dichter und Kritiker, der Ruhm liegt noch vor ihnen. Grass schreibt gerade an der Blechtromm­el, Reich-Ranicki bereitet sein neues Leben in Deutschlan­d vor. Der Nachmittag gestaltet sich langweilig und zäh, den gemeinsame­n Freund soll Reich-Ranicki erzählt haben: „Pass auf. Das ist kein deutscher Schriftste­ller. Das ist ein bulgarisch­er Agent.“Ab dann wird ihre Geschichte zu einer gemeinsame­n: Wird Reich-Ranicki für die

Zeit, später die FAZ rezensiere­n, was Grass schreibt, darunter: grandiose Verrisse. Wird Grass die Überlebens­geschichte von ReichRanic­ki in Literatur verwandeln. Wird Reich-Ranicki zum Großkritik­er und Fernsehsta­r und Grass zum ersten deutschen Nobelpreis­träger nach Böll.

Freundscha­ft ist immer wieder möglich, die Feindschaf­t aber offenbar nicht zu vermeiden. Als 1995 Marcel Reich-Ranicki im Spiegel das Buch „Das weite Feld“tatsächlic­h sprichwört­lich zerreißt, sagt Grass: „Dem geb ich nie mehr die Hand.“Er tut es dann doch. Umarmen aber nicht.

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Volker Weidermann: Das Duell – Die Geschichte von Günter Grass und Marcel Reich-Ranicki Kiepenheue­r & Witsch, 320 Seiten, 22 Euro

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