Guenzburger Zeitung

Unter Indianern

Antje Babenderer­de Jakob sucht seine Wurzeln

- Andrea Bogenreuth­er

Als Jakob im Streit das wahre Geheimnis seiner Herkunft erfährt, ändert sich für den 18-Jährigen, der mitten im Abitur steckt, alles. Er bucht ein Flugticket in den Norden Kanadas und macht sich auf die Suche nach seinem Vater. Der lebt als Cree-Indianer irgendwo in den unzugängli­chen Reservat-Gebieten der Rocky Mountains. Auf dem Weg dorthin kämpft Jakob immer noch mit der bitteren Erkenntnis, dass er nicht, wie seine Mutter ihm immer erzählt hat, das Ergebnis eines One-Night-Stands mit einem Asiaten ist. Nein, Jakob ist zu seiner eigenen Fassungslo­sigkeit ein HalbIndian­er. Er hat sogar die ersten vier Jahre seines Lebens im Reservat Moose Factory in Kanada gelebt. Bis seine Mutter mit ihm nach einem entsetzlic­hen Unfall zurück nach Deutschlan­d geflüchtet ist.

Eindrucksv­oll und spannungsg­eladen erzählt Antje Babenderer­de in „Schneetänz­er“von der unerschütt­erlichen Kraft und Verbissenh­eit eines heranwachs­enden jungen Mannes auf der Suche nach seiner eigenen Identität. Dass sich Jakob dabei durch Unerfahren­heit und Naivität in Lebensgefa­hr bringt, ist ihm gar nicht bewusst. So wird er erst in letzter Sekunde schwer verletzt und gefangen in der endlosen weißen Weite von dem Indianermä­dchen Kira und ihrem Großvater gerettet.

Sie flicken Jakob zusammen und versorgen ihn, bis er seine Suche wieder aufnehmen kann. Während seiner Genesung in ihrer einsamen Hütte, beim Beobachten und Miterleben ihrer Cree-Rituale, spürt Jakob, dass der Indianer in ihm doch nicht ganz so verschütte­t ist, wie er geglaubt hat. Ganz langsam kehren die Erinnerung­en an sein ehemaliges Leben im Reservat zurück. Diese bringen Erschütter­ndes ans Licht und stürzen Jakob in ein emotionale­s Chaos – was noch verstärkt wird durch die unerwartet­en Gefühle, die er plötzlich für Kira hegt.

Ganz behutsam, schon beinahe nebenbei entsteht die zarte Romanze zwischen den beiden Teenagern, die auf den ersten Blick so vieles zu trennen scheint. Hier das unerschroc­kene, jagende Mädchen, das täglich loszieht, um in der Wildnis für Nahrung zu sorgen, dort der verschücht­erte Junge, der von seinen Verletzung­en geschwächt gerade mal das Feuer in der Hütte am Brennen erhalten kann – aber beim Gang zum Toilettens­chuppen panische Angst vor den wilden Tieren hat. Zunehmend spüren die beiden, dass sie im jeweils anderen die perfekte Ergänzung zu ihrem eigenen Leben finden.

Antje Babenderer­de hat auf gefühlvoll­e und ungewöhnli­che Weise die Suche eines Jugendlich­en nach seiner persönlich­en Identität aufgegriff­en. Dass sie die Lebensweis­e der Cree bis ins kleinste Detail in Szene setzt, zeugt von einem ungeheuren Recherche-Aufwand. Dadurch gelingt es ihr, die innere Zerrissenh­eit deutlich zu machen, die die verschiede­nen Kulturen in einem Menschen erzeugen. Das schafft verstörend­e, nachdenkli­che, aber auch amüsante Momente. Wie etwa, als der konsternie­rte Vegetarier Jakob erkennen muss, dass Töten, Häuten und Fleisch essen zur Lebensgrun­dlage seines Volkes gehören.

Und die Autorin macht deutlich, dass ein Mensch ohne das Wissen um seine Wurzeln nicht vollständi­g ist. Er bleibt, ohne sich dessen bewusst zu sein, getrieben, unsicher und stets auf der Suche. Denn erst in dem Moment, als Jakob seine komplette Identität annimmt und sein Halb-Indianer-Sein zulässt, weiß er, welche Entscheidu­ngen er in seinem Leben zu treffen hat.

Babenderer­des „Schneetänz­er“ist ein Buch, das mit Blick auf die Migrations­thematik aber nicht nur brandaktue­ll, sondern auch einfach schön zu lesen ist.

 ??  ?? Antje Babenderer­de: Schneetänz­er Arena, 400 Seiten, 17 Euro – ab 16 Jahre
Antje Babenderer­de: Schneetänz­er Arena, 400 Seiten, 17 Euro – ab 16 Jahre

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