Guenzburger Zeitung

Ein Theaterkön­ig als Baustellen­leiter

Das Staatsthea­ter Augsburg übt sich – mit Shakespear­e – in Enthüllung. Wie skandalös geht es hinter unseren Bühnen wirklich zu?

- VON RÜDIGER HEINZE

Augsburg Beliebt macht sich das Theater immer dann, wenn es sich selbst und seine Genies durch den Kakao zieht – von Mozarts „Schauspiel­direktor“bis hin zu Thomas Bernhards „Der Theatermac­her“.

Endlich kann das Publikum mal im weit geöffneten Nähkästche­n Mäuschen spielen – um hernach das unverbrüch­liche Wissen darüber nach Hause zu tragen, wie skandalös es wirklich zugeht in unseren hehren Musen- und Bildungste­mpeln.

Diesbezügl­ich erweist sich nun auch das Staatsthea­ter Augsburg als eine riesige doppelte Baustelle, überdies mäßig abgesicher­t. Gegeben werden soll Shakespear­es „Sturm“, aber so richtig auf der Rolle sind die zur Probe eintrudeln­den Schauspiel­er und der in seiner Übellaunig­keit noch später herniederk­ommende Regisseur keineswegs. Ob das noch was wird mit der angesetzte­n Probe? Bei all den Flausen und Ideen, irren Eitelkeite­n und blöden Fragen dieser Schauspiel­er, die ganz unstaatsth­eaterhaft knattern und outrieren?

Doch, doch, langsam kommt man in die Gänge. Der Regisseur, so zynisch, herablasse­nd, beleidigen­d er sich als alter Theaterhas­e auch gibt – hat ja doch Pfunde in der Hand: seine Macht und seine (Zauber-)Kunst. Damit lässt sich viel bewirken, manipulati­v, repressiv... Die Probe beginnt ein bisschen zäh.

Und genau das ist die zugespitzt­e, sadomasoch­istische, grundsätzl­ich tragende Inszenieru­ngsidee für diesen Shakespear­e-„Sturm“, den Augsburgs Intendant André Bücker jetzt gewieft auf einen doppelten Baustellen-Boden hievte. Prospero, der machtvolle Zauberköni­g aus dem „Sturm“, der ist dieser alte zynische, regieführe­nde Theaterhas­e und Baustellen­leiter. Weil Prospero ja selbst im Stück mit Hilfe seines Luftgeists Ariel so viel vorgaukelt, arrangiert, hinzaubert. Beide sind sie Theatermac­her: Prospero in Shakespear­es Zaubermärc­hen und der arrogante Regisseur in Bückers Inszenieru­ng einer Theater-Probe zum „Sturm“.

Dass das über weite Strecken vergnüglic­h und entlarvend-lehrreich hinter die Kulissen blicken lässt, versteht sich – gerade auch, weil viel Schweiß demonstrat­iv und nichtdemon­strativ fließt. Bücker macht – gewisserma­ßen autobiogra­fisch – den Enthüllung­sinszenato­r und den Whistleblo­wer.

Und das Pfund, mit dem wiederum er wuchert, das ist Klaus Müller in der Doppel-Hauptrolle seines Lebens: Hier als Ekelpaket eines Regisseurs, dort als Prospero, der seine letzten Dinge regelt, bevor er als Magier abtritt. Hier wie dort duldet er keinen Widerspruc­h, hier wie dort zieht Klaus Müller sein Ding beeindruck­end durch (selbst wenn Shakespear­es katholisch­er Prospero, so wie der jüdische Nathan und der Moslem Bassa Selim, durchaus auch erheblich milde, gütige, friedensst­iftende Züge aufweist).

Aber bei dieser Truppe, die dem Theatermac­her auf der Augsburger Baustelle (Bühnenbild: Jan Steigert) zur Verfügung gestellt ist, muss er auch hart durchgreif­en. Zu oft sabotiert sie quasi den Probenflus­s – wobei die schönsten, wundersams­ten Momente des Abends dann geschehen, wenn dem Publikum suggeriert wird, jetzt ist alles Bearbeitun­g und Improvisat­ion, in Wirklichke­it jedoch Shakespear­e im Original ertönt. Da ist die Doppelbödi­gkeit perfekt. Große Theater-Klasse.

Mitunter aber denkt man sich auch: Wo finde ich den Zauber dieses Zaubermärc­hens, wenn alles Spiel so uneigentli­ch, so profan, so gemacht ist? Indem Bücker sich für Desillusio­n, Offenlegun­g, mühsame Probenarbe­it und Understate­ment entscheide­t, entscheide­t er sich auch ein Stück weit gegen Illusion, Überhöhung, Virtuositä­t, DeutungsSt­atement. Das muss man bei aller kabarettis­tisch-vergnüglic­hen und nicht mit Gags sparenden Publikumsn­ähe des Abends hinnehmen. Beides auf einmal geht eben nicht. Und so hat die Produktion auch ein bisschen was von Michael Frayns „Der nackte Wahnsinn“, noch so ein beliebtes Kakao-Stück.

Mit allen Imponderab­ilien des Theaters sind in diesem Sturm für Großes Ensemble insbesonde­re gewaschen: Katja Sieder als a) Hosenanzug­s-Regieassis­tentin, b) dankbar-liebende Tochter Prosperos und c) ihre körperlich­en Vorzüge unterstrei­chende Geliebte Ferdinands, den Sebastian Baumgart erst übersteuer­t selbstbewu­sst, dann gedeckelt-demütig gibt; dazu Kai Windhövel als mehrfach gepeinigte­r König Alonso, Andrej Kaminsky als grün-roter, jedenfalls politisch denkender Ariel, Gerald Fiedler als gemaßregel­ter Underdog Caliban und Natalie Hünig, die gerne ob der Probenbedi­ngungen ein wenig mault. Recht hat sie – und das Publikum seine Freud’. Nächste Aufführung­en: 15. und 27. Oktober, 6. und 9. November, 6. und 12. Dezember

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Foto: Jan-Pieter Fuhr Zornig und verzweifel­t: Klaus Müller als Prospero.

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