Pollenbelastung steigt durch Klimawandel
Die Zahl der älteren Menschen über 65 Jahre mit Allergien hat sich in den vergangenen 20 Jahren verdoppelt
Hannover Der Klimawandel hat inzwischen erheblichen Einfluss auf Allergien in Deutschland: „Der Start des Pollenfluges ist abhängig von den Temperaturen und der Feuchtigkeit. Das Klima verlängert die Pollensaison in Deutschland und die Pollenmenge nimmt bei den meisten Arten zu“, erklärte Carsten Schmidt-Weber, Direktor des Zentrums für Allergie und Umwelt an der TU München, auf dem Deutschen Allergiekongress in Hannover. Nach seinen Worten nehmen auch die Allergene pro Pollen zu (Allergene sind jene Substanzen, die Allergien auslösen). Es gibt zudem mehr Atemwegserkrankungen.
Laut aktuellen Studien besteht in Deutschland bei mehr als drei Millionen Erwachsenen eine Asthmaerkrankung. Die Zahl der von Heuschnupfen betroffenen Erwachsenen liegt bei über zwölf Millionen. Mehr als eine Million Kinder und Jugendliche leiden an Heuschnupfen, etwa eine halbe Million an Asthma. Das Risiko, dass sich der Heuschnupfen zum Asthma entwickelt, ist umso größer, je jünger Kinder an Heuschnupfen erkranken. In Deutschland nimmt der Anteil der Kinder und Jugendlichen zu, die gegen mindestens eines von acht häufigen Inhalationsallergenen (Lieschgras, Roggen, Birke, Beifuß, Katze, Hund, Hausstaubmilbe und der Schimmelpilz Cladosporium herbarum) sensibilisiert sind – bei den Jugendlichen ist fast jeder zweite betroffen. Die Sensibilisierung ist das Vorstadium für das Auftreten von Symptomen wie Asthma und Heuschnupfen, ohne dass diese Erkrankung auftreten muss. Eher selten leiden übrigens Kinder an Allergien, die auf einem traditionellen Bauernhof aufwachsen. In Elternhäusern in Großstädten mit überdurchschnittlicher Bildung sind Allergien dagegen besonders häufig verbreitet.
Laut Karl-Christian Bergmann, Professor am Allergie-Zentrum der Charité Berlin, ist der Anteil der erkrankten Kinder und Jugendlichen bei Heuschnupfen (rund neun Prozent aller Drei- bis 17-Jährigen), Neurodermitis (sieben Prozent) und Asthma (vier Prozent) in Deutschland in den vergangenen zehn Jahren aber nicht gestiegen. Das höchste Risiko für eine allergische Erkrankung bestehe bei denjenigen Minderjährigen, die gegen Katzenallergene sensibilisiert sind. „Auch künftig wird ein wesentlicher Teil der Bevölkerung in Deutschland nicht an Allergien erkranken“, lautet seine Prognose. Der Klimawandel betreffe besonders diejenigen, die schon unter Allergien litten. Bergmann sagt: „Es ist die Aufgabe aller Ärzte, sich mit dem Klimawandel zu beschäftigen.“
Ludger Klimek, Präsident des Ärzteverbandes Deutscher Allergologen, lenkt den Blick auf Menschen im Rentenalter: „Früher ist man davon ausgegangen, dass Allergien im Alter abnehmen – das kann man heute nicht mehr sagen.“Bei den über 65-Jährigen habe sich in den vergangenen 20 Jahren der Anteil der an Allergien Erkrankten mehr als verdoppelt. Sie seien vor allem von Heuschnupfen betroffen. „Die Erforschung von Allergien in dieser Altersgruppe ist bislang absolut unzureichend“, kritisiert Klimek, Leiter des Zentrums für Rhinologie und Allergologie in Wiesbaden.
Der Allergologe und Kinderpneumologe Thomas Lob-Corzilius vom Christlichen Kinderhospital Osnabrück weist auf die steigende Umweltbelastung durch Feinstaub und Ozon hin: „Wir stellen dadurch ein schlechteres Lungenwachstum bei Kindern unter zehn Jahren und eine verschlechterte Lungenfunktion bei Erwachsenen fest.“Die Belastung durch Stickstoffdioxid, ausgelöst durch Dieselmotoren, stelle etwa ein Risiko für die Asthmaentwicklung dar.
Der Klimawandel habe erhebliche gesundheitliche Auswirkungen. In Westeuropa kommen mittlerweile durch Hitzewellen – 30 Grad und wärmer mindestens 14 Tage lang – bezogen auf eine Million Menschen 191 Personen um. Mit steigender UV-Strahlung nehme durch den Klimawandel die Gefahr von Hautkrebs zu. Experten befürchten, dass die Zahl der Hautkrebsfälle in Deutschland auf das Niveau von Australien steigen werde. „80 Prozent der UV-Belastung entsteht in den ersten 18 Lebensjahren, deswegen ist der Schutz der Haut bei Kindern und Jugendlichen besonders wichtig“, betont Lob-Corzilius.
Der Klimawandel beeinflusst sogar die Psyche. „Die einen zeigen erhöhte Zukunftsangst und werden passiv, die anderen reagieren aktiv“, sagt Lob-Corzilius. „Die Bewegung Fridays for Future ist kollektive Resilienz“, schließt er (Resilienz ist unter anderem die Fähigkeit, Krisen zu bewältigen).