Hollywoodschauspieler statt Sportlehrer
Helmut Kircher wird 80. Auf der Bühne und vor der Kamera hat er sich einen Namen gemacht. Auf eine besonders heiße Sache wird der Schauspieler und Journalist heute noch angesprochen
Leipheim/Günzburg Helmut Kircher blickt in sein Fotoalbum und findet: „Das, was ich erreichen wollte, habe ich gar nicht erreicht.“Eine bescheidene Einschätzung seines eigenen Lebenswerks. Der gebürtige Glöttwenger – das Dorf wurde 1971 in Landensberg eingemeindet – hat sich überregional vor allem als Schauspieler einen Namen gemacht. In Günzburg und Umgebung kennt man ihn vor allem als Theatermacher und Journalist für die Günzburger Zeitung. Heute feiert Kircher seinen 80. Geburtstag.
Sein Weg für eine erfolgreiche Schauspielkarriere wurde am heutigen Dossenberger-Gymnasium in Günzburg geebnet. „Mein Deutschlehrer war Theaterfanatiker, er hat mich zum Schauspiel gebracht.“Kirchers erste Rolle war der Generalleutnant Piccolomini aus Schillers Wallenstein. „Ich wurde von allen in den Himmel gelobt.“In einer Zeitschrift hat Kircher in einem Interview mit Mario Adorf – mit ihm stand Kircher später sogar auf der Bühne – über die renommierte Münchner Otto-FalckenbergSchauspielschule gelesen. Ab diesem Zeitpunkt war dem Gymnasiasten klar: „Ich will vor die Kamera!“
Im Jugendzimmer hat Kircher Rollen für die Aufnahmeprüfung der besagten Schauspielschule einstudiert – heimlich. Nur seine Mutter wusste von der Anmeldung. „Sie hat gebetet, dass ich es nicht schaffe.“Kircher erzählt, er komme aus eher bildungsfernen Verhältnissen: Seine Mutter war Hausfrau, sein Vater im Tuchgroßhandel tätig.
Unter 600 Bewerbern konnte Kircher sich durchsetzen. Nach der Ausbildung folgten zahlreiche Engagements an Theatern, unter anderem in Remscheid, Münster und Coburg. Aber auch vor der Kamera: Sein Film-Debüt gab Kircher in einer russischen Studentenproduktion über den Kult-Regisseur Peter Schamoni. „40 Jahre später hat er mich angerufen. Erst da wusste ich, dass ich Schamoni gespielt habe.“Es hat nämlich kein Drehbuch gegeben, weil das von der Sowjet-Regierung nicht genehmigt worden war.
Als Old Surehand spielte Kircher 1965 bei der TV-Aufzeichnung der Karl-May-Festspiele in Bad Segeberg. Ein Jahr später war er auch auf der großen Leinwand zu sehen: in einer Nebenrolle im Kino-Krimi „Der Mörderclub von Brooklyn“und in einer Rolle in „Katz und Maus“. Über eine Agentur wurde später Hollywood auf den jungen Schauspieler aus Schwaben aufmerksam. Im Jahr 1968 erschien der Kriegs-Blockbuster „Luftschlacht um England“von James-Bond-ReGuy Hamilton, in welchem Kircher einen Kampfpiloten spielte, der abstürzt.
In der TV-Serie „Reisedienst Schwalbe“spielte der damals 30-Jährige die Hauptrolle Joachim Franke. Kircher stand zusammen mit Monika Berg alias Film-Ehefrau Monika vor der Kamera. In zahlreichen weiteren Serien hatte er Gastrollen, darunter fast 100 Aktenzeichen-XY-Folgen.
An ein Engagement kann sich Kircher nur noch vage erinnern – zumindest tut er so. Im Erotikfilm „Liebesspiele junger Mädchen“aus dem Jahr 1972 spielte er einen Schwimmlehrer. „Das Erste, wogisseur rauf ich auf der Straße angesprochen werde, ist dieser Film“, sagt der Jubilar und lacht. Neugierige, die Kirchers jugendlichen, adonischen Körper in seiner vollen Pracht sehen wollen, müssen jedoch vertröstet werden: Der Protagonist hat nämlich immer etwas an – wenigstens eine Badehose.
Mit diesem Filmauftritt schließt sich auch der Kreis: Eigentlich wollte Kircher immer Sportlehrer werden. Und er wollte noch mehr: „Als Kind hatte ich den Traum, bei den Olympischen Spielen teilzunehmen. Aber leider war ich nur ein mittelmäßiger Läufer.“Bei zahlreichen Marathonläufen und Triathlons hat Kircher trotzdem teilgenommen. Wobei das gar nicht so lange her ist: Mit fast 70 Jahren begleitete er im Rahmen einer Berichterstattung einen Marathonläufer über eineinhalb Stunden.
Heute lebt Kircher in einer Wohnung in Leipheim. Fit hält sich der 80-Jährige immer noch. „Ich mache jeden Tag Sport.“Eine beachtliche Fitness, die auch unserer Zeitung zugutekommt. Denn Kircher schreibt seit vielen Jahren als freier Mitarbeiter Berichte über Konzerte und andere Themen. Dem Musikliebhaber hat es besonders die Wiener Klassik angetan. Aber auch die Ensembles aus der Region findet Kircher klasse: „Wir haben eine fabelhafte Auswahl an Chören und Chorleitern.“
Für den Musikkritiker kommt die bevorstehende stille Zeit gelegen. „Ich freue mich auf die Weihnachtskonzerte, vor allem, wenn ich nicht über sie berichten muss und sie einfach genießen kann.“Der 80-jährige Musikkritiker denkt ans Aufhören. Früher habe er eine Konzertbesprechung aus der Hüfte heraus geschrieben, heute tue er sich immer schwerer. „Die Leistungsfähigkeit nimmt allmählich ab.“Wer den Schauspieler und Kulturschaffenden kennt, weiß: Kircher bereitet sich vor jedem Konzert lange und gewissenhaft vor. Er studiert Partituren, liest über Komponisten und hört Aufnahmen an. „Bei Profis kann ich befreit schreiben, bei Laien setze ich andere Maßstäbe.“Eine sachkundige und faire Expertise, die hoffentlich noch lange den Lesern der Günzburger Zeitung erhalten bleibt.
Und wer weiß, vielleicht sieht man den Schauspieler Kircher noch einmal auf der Mattscheibe in einer neuen Rolle. Wenn eine Anfrage käme, würde er sofort zusagen. „Ich bin aber nicht mehr in einer Agentur gelistet.“
Es sei schwer, wieder den Anschluss zu finden. Immerhin: Kircher wird heute noch ausgestrahlt. Der Kinofilm „Luftschlacht um England“wurde zuletzt im August auf Tele 5 gezeigt. Ein bisschen stolz zeigt sich der Schauspieler, der ein Paradebeispiel für Understatement ist, dann doch. Im selben Atemzug relativiert Kircher aber wieder augenzwinkernd: „Mit Erschrecken musste ich beim Betrachten des Films feststellen, dass ich alt geworden bin.“»Kommentar