Die Überwindung des Menschen
Was uns Nietzsche heute noch zu sagen hat
Nietzsche wäre der ewige Philosophen-König in den sozialen Netzwerken. Sätze wie Hammerschläge, mächtige Thesen, literarische Verve. Da ist „Gott ist tot! Gott bleibt tot!“in seinen „Fröhlichen Wissenschaften“, zu dem aber auch die folgenden Sätze Platz noch haben müssten: „Und wir haben ihn getötet! Wie trösten wir uns, die Mörder aller Mörder? Das Heiligste und Mächtigste, was die Welt bisher besaß, es ist unter unseren Messern verblutet…“
Sein Spott hatte Tiefe wie zu Beginn von „Jenseits von Gut und Böse“: „Vorausgesetzt, dass die Wahrheit ein Weib ist –, wie? ist der Verdacht nicht gegründet, dass alle Philosophen, sofern sie Dogmatiker waren, sich auf Weiber verstanden? dass schauerlicher Ernst, linkische Zudringlichkeit, mit der sie bisher auf die Wahrheit zuzugehen pflegten, ungeschickte und unschickliche Mittel waren, um gerade ein Frauenzimmer für sich einzunehmen?“Und er, der durch seine Art des Schreibens das frühe Ansehen als Philologe zerstört hatte, besaß sogar bis in den allerletzten Brief (an Jacob Burckhardt), in Rückzug, Schmerz und Umnachtung, auch sich selbst gegenüber diese Klick-trächtige Mischung aus Wahn und Witz: „Lieber Professor, zuletzt wäre ich sehr viel lieber Basler Professor als Gott; aber ich habe es nicht gewagt, meinen Privat-Egoismus so weit zu treiben, um seinetwillen die Schaffung der Welt zu unterlassen. Sie sehen, man muss opfer bringen, wie und wo man lebt …“
Seine Bilder hatten Kraft, wie hier in „Über Wahrheit und Lüge im außermoralischen Sinne“– mit einer uns heute noch nahen Erzählung: „In irgend einem abgelegenen Winkel des in zahllosen Sonnensystemen flimmernd ausgegossenen Weltalls gab es einmal ein Gestirn, auf dem kluge Tiere das Erkennen erfanden. Es war die hochmütigste und verlogenste Minute der ‚Weltgeschichte‘: aber doch nur eine Minute. Nach wenigen Atemzügen der Natur erstarrte das Gestirn, und die klugen Tiere mussten sterben.“
Aber dann ist da natürlich vor allem das Skandalträchtige aus „Also sprach Zarathustra“, von dem er sagte, er „habe den Deutschen das tiefste Buch gegeben, das sie besitzen“: „Ich lehre euch den Übermenschen. Der Mensch ist Etwas, das überwunden werden soll.“Schrieb im Gegenzug vom „lebensunwerten Leben“. Und wurde damit dann ja auch von den Nazis vermeintlich beim Wort genommen. Aber nicht nur, dass Nietzsche diese Follower nicht verdient hatte – er könnte uns neben vielem anderen gerade darin Wesentliches zu sagen haben (wo doch Bücher wie Yuval Hararis „Homo Deus“Weltbestseller sind).
Nietzsche, der wütend abtrünnige Pastorensohn, wollte sich selbst zur Freiheit führen und spiegelte daran den Weg der Menschheit. Der Mensch (das „nicht festgestellte Tier“): Bürgerliches Mittelmaß bedeutet seinen Tod. Das meinte er innerlich und äußerlich und identifizierte den Typ der Moderne: konfliktscheu, sicherheitsfixiert, verwöhnt. Uns. Der Mensch könne sich aber überwinden, müsse sich als eigene Schöpfung begreifen, um sich nicht praktisch in Bedürfnisbefriedigungen und theoretisch als chemischer Organismus zu erschöpfen.
Aber bei Nietzsche nicht etwa, um ein „Heiliger“zu werden. Sondern laut dem Nietzscheaner Peter Sloterdijk: „Unerledigt und aktueller denn je bleibt der Habitus von Nietzsches Versuchen, den Geist der moralischen Gesetze dem gegenwärtigen Zeitalter entsprechend neu zu formulieren.“So könnten „Regeln für das Überleben des industriosen Tiers homo sapiens“möglich werden: „Es könnte sich erweisen, dass die Werte umzuwerten und der Erde treu zu bleiben zwei Aufgaben sind, die aufs selbe hinauslaufen.“Denn das ist eben keine moralische Frage.