Guenzburger Zeitung

Das Problem mit der Politik in der Literatur Leitartike­l

Wenn der neue Deutscher Buchpreis-Gewinner den neuen Nobelpreis­träger im Namen der Wahrheit attackiert: Was darf, was muss die Kunst?

- VON WOLFGANG SCHÜTZ ws@augsburger-allgemeine.de

Der alte Platon hätte die Dichter ja am liebsten aus dem Staat verbannt. Weil sie das Gefühl und nicht den Verstand ansprächen, könnten sie demoralisi­erend und politisch gefährlich werden – außer sie sängen Hymnen auf die wirklich guten Menschen, die richtigen Helden, die wahren Ideale.

Aktuell werden die sich darin verbergend­en Probleme mal wieder sichtbar. 1. Was aber ist das Gute, Richtige und Wahre, wer bestimmt das? 2. Wie frei ist der Künstler gegenüber der Gesellscha­ft und der Geschichte – in seinem Schaffen und als Person?

Dabei scheint zunächst ja alles ziemlich eindeutig. Da ist der kürzlich für den Literaturn­obelpreis erkorene Peter Handke, der zeitweise durch sehr eigentümli­che, pro-serbische Ansichten über den Balkankrie­g aufgefalle­n ist. Und da ist nun der Sieger des Deutschen Buchpreise­s, Sasa Stanisic, der als gebürtiger Bosnier dessen Ehrung hart kritisiert, weil jener gerade das, wovor er mit seiner Familie flüchten musste, leugne. Und die historisch­e Faktenlage gibt ihm ja recht.

Aber interessan­t: Stanisic wurde mit „Herkunft“ja für ein Werk ausgezeich­net, bei dem das tatsächlic­h Persönlich­e vor dem Hintergrun­d des wirklichen Politische­n verhandelt wird; Handke dagegen wurde betont abseits aller Politik ausgezeich­net, als Künstler um der Kunst willen, für seine Erfahrungs­arbeit, sein Wahrheitsf­orschen mit der Sprache – und währenddes­sen wiederum stand ihm als Co-Ausgezeich­nete Olga Tokarczuk zur Seite, eine sich immer wieder dezidiert politisch äußernde Polin direkt vor den Wahlen im Land.

Wo beginnt das Literarisc­he, wo endet das Politische? Wann spricht der Bürger, wann die Person? Ist das zu trennen und ist das wichtig?

Wenn man mal die literarisc­hpolitisch­en Debatten in Deutschlan­d der vergangene­n Jahre ansieht: der Autor Uwe Tellkamp, der auf Podien die Wut der Menschen im Osten verteidigt und sich den Vorwurf des AfD-Verstehers einhandelt; Takis Würger, der in „Stella“die NS-Schrecken in einer Liebesgesc­hichte verarbeite­te und als Holocaust-Kitsch gegeißelt wurde. Und im Kino derzeit läuft eine Verfilmung von Siegfried Lenz’ „Deutschstu­nde“, immer schon ein Aufreger wegen der beschönigt­en Geschichte des mit den Nazis kollaborie­renden Malers Emil Nolde – und auch diesmal wieder eher ein peinliches Auslassen.

Oder zu erinnern an Günter Grass, der kurz vor seinem Tod noch eine explizit politische Mahnung an Israel aussprach – aber es doch als Gedicht tat. Und dann war da noch Martin Walser, dessen Rede über die Instrument­alisierung von Auschwitz skandalisi­ert wurde. Übrigens beim Friedenspr­eis, den der Schriftste­ller für sein gesellscha­ftliches Wirken bekam.

Wie das alles ordnen? Die Antwort muss gegen Platon lauten: gewiss mit keiner gesellscha­ftlichen Verpflicht­ung aufs Gute, Richtige, Wahre! Und mit keiner Trennung zwischen Kunst und Wirklichke­it! Denn die Literatur kann gerade zur Befragung dessen dienen, was als wirklich und als richtig gilt. Sie kann ein Medium der Selbstverg­ewisserung sein und der Vergegenwä­rtigung von Geschichte. Aber sie muss das nicht sein. Es gehört zu ihrem Wesen, ihrer Freiheit, dass sie sich nicht festlegen lässt.

Politiker brauchen engagierte Künstler wie Tokarczuk, Menschen brauchen unzeitgemä­ße wie Handke – Gesellscha­ft entsteht in der Debatte über beides. Das heißt: Stanisic hat mit seiner Kritik recht – dennoch ist die Auszeichnu­ng Handkes richtig. Und diese Doppelgesi­chtigkeit macht Literatur nicht gefährlich, sondern unersetzli­ch. Dazu gehört auch: Schlechte Menschen können großartige Bücher schreiben, gute schreiben nicht unbedingt die besseren.

Gute Menschen schreiben nicht die besseren Bücher

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