Wohnungsnot wird immer dramatischer
Bis zum Jahr 2035 fehlen allein in Ulm 12 600 Wohnungen
Ulm/Neu-Ulm Die Mieten sind mit zehn Euro pro Quadratmeter bei Neuvermietungen in Ulm längst über dem Landesschnitt, die Kaufpreise für bestehende Wohnungen sind seit 2009 um 97 Prozent in die Höhe geschossen. Eine mehr als nur gefühlte Wohnungsnot in Ulm hat die Industrie- und Handelskammer (IHK) jetzt mit einem unabhängigen Gutachten statistisch fundiert belegt: In Ulm fehlen bis zum Jahr 2035 satte 12600 Wohnungen, im gesamten Bereich der Ulmer IHK sind es 35 000 Einheiten.
Dies ist das Ergebnis einer Studie des Beratungsunternehmens Imakomm aus Aalen. „Es geht um die Wettbewerbsfähigkeit der Region“, kommentierte Otto Sälzle, der Hauptgeschäftsführer der IHK, die Zahlen. Die Verfügbarkeit von Wohnraum sei einer der drei wichtigsten Standortfaktoren eines länderübergreifenden Gebiets im Kampf um Fachkräfte. Der gesamten Region drohe damit ein Verlust an Attraktivität. Die allein in Ulm fehlenden 12600 Wohnungen würden etwa einem Fünftel des Bestands entsprechen. „Das ist schon eine Hausnummer.“Und auch wenn die Studie den Kreis Neu-Ulm nicht einschließt, ist für Sälzle klar, dass bei Ulms bayerischem Nachbarn wohl eine ähnliche Zahl an Wohnungen fehle. Ulm drohe Opfer des eigenen Erfolgs zu werden: Allein in den vergangenen 20 Jahren entstanden mehr als 20 000 zusätzliche sozialversicherungspflichtige Jobs. Auch werde Ulm durch die kommende superschnelle Anbindung an Stuttgart durch die Neubaustrecke noch attraktiver. Nach Zahlen der Ulmer Stadtverwaltung könnte die Einwohnerzahl Ulms bis zum Jahr 2030 in einem „maximalen Szenario“von derzeit 127000 auf fast 140000 Menschen anwachsen. Die Daten des Statistischen Bundesamts sehen Ulm mit einem Wachstum von 5,8 Prozent bis 2035 als Spitzenreiter im gesamten Land. Der Druck auf den Wohnungsmarkt werde deshalb weiter anhalten. Dabei werde laut Studie vor allem die Achse von Langenau über Ulm und Laupheim nach Biberach den höchsten Bedarf an Wohnungen haben. Gleiches gelte für Kommunen in unmittelbarer Reichweite der Neubaustrecke nach Stuttgart. Doch wenn sich Normalverdiener keine Wohnungen mehr in Ulm leisten könnten, sei auch das soziale Gleichgewicht in Gefahr, so Sälzle. Wie Sälzle betonte, sei es reiner Zufall, dass die Veröffentlichung der Studie mit der großen Wohnraumdebatte im Ulmer Gemeinderat am Mittwoch zusammenfiel. Die bisherigen Anstrengungen der Stadt seien lobenswert – aber nicht ausreichend und müssten weit über die 3500 neuen Wohnungen bis 2021 hinausgehen. Ab dem Jahr 2022 liegen die geplanten Fertigstellungen bei jährlich 740 bis 850 Wohnungen bis zum Jahr 2030. Auch das liege unter dem berechneten Bedarf. „Der beste Weg, preiswerten Wohnraum zu schaffen, ist es, neuen Wohnraum zu bauen“, sagte Sälzle. Deswegen sieht es der IHK-Mann als Verpflichtung der Stadt an, die vorhandenen Potenziale zu nutzen. Als solche definierte die Ulmer Stadtverwaltung das Gummi-Welz-Areal im Ulmer Westen, die Gleisharfe unweit des Hauptbahnhofs und den großen Parkplatz an der Böfinger Straße gegenüber der Ulmer Messe. Hinzu kommt das Baugebiet Kohlplatte bei Söflingen, das ab 2026 500 Wohnungen bieten soll.
Es sei „sehr ambitioniert“, in der ganzen Region Zigtausende Wohnungen in 15 Jahren zu schaffen. Dafür, so Sälzle, müssten die für die Bauleitplanung zuständigen Behörden viel mehr Personal einstellen. Nirgends würde die Erteilung von Baugenehmigungen länger dauern: „Wir sind hier der kranke Mann Europas.“Es sei zwar sehr vernünftig, dass Ulm die Bebauung verdichten will. Doch das ehrgeizige Ziel von 35000 Wohnungen rund um Ulm (plus Tausende im Kreis NeuUlm) sei nicht ohne die Ausweisung von neuen Baugebieten zu erreichen.