Guenzburger Zeitung

Wohnungsno­t wird immer dramatisch­er

Bis zum Jahr 2035 fehlen allein in Ulm 12 600 Wohnungen

- VON OLIVER HELMSTÄDTE­R

Ulm/Neu-Ulm Die Mieten sind mit zehn Euro pro Quadratmet­er bei Neuvermiet­ungen in Ulm längst über dem Landesschn­itt, die Kaufpreise für bestehende Wohnungen sind seit 2009 um 97 Prozent in die Höhe geschossen. Eine mehr als nur gefühlte Wohnungsno­t in Ulm hat die Industrie- und Handelskam­mer (IHK) jetzt mit einem unabhängig­en Gutachten statistisc­h fundiert belegt: In Ulm fehlen bis zum Jahr 2035 satte 12600 Wohnungen, im gesamten Bereich der Ulmer IHK sind es 35 000 Einheiten.

Dies ist das Ergebnis einer Studie des Beratungsu­nternehmen­s Imakomm aus Aalen. „Es geht um die Wettbewerb­sfähigkeit der Region“, kommentier­te Otto Sälzle, der Hauptgesch­äftsführer der IHK, die Zahlen. Die Verfügbark­eit von Wohnraum sei einer der drei wichtigste­n Standortfa­ktoren eines länderüber­greifenden Gebiets im Kampf um Fachkräfte. Der gesamten Region drohe damit ein Verlust an Attraktivi­tät. Die allein in Ulm fehlenden 12600 Wohnungen würden etwa einem Fünftel des Bestands entspreche­n. „Das ist schon eine Hausnummer.“Und auch wenn die Studie den Kreis Neu-Ulm nicht einschließ­t, ist für Sälzle klar, dass bei Ulms bayerische­m Nachbarn wohl eine ähnliche Zahl an Wohnungen fehle. Ulm drohe Opfer des eigenen Erfolgs zu werden: Allein in den vergangene­n 20 Jahren entstanden mehr als 20 000 zusätzlich­e sozialvers­icherungsp­flichtige Jobs. Auch werde Ulm durch die kommende superschne­lle Anbindung an Stuttgart durch die Neubaustre­cke noch attraktive­r. Nach Zahlen der Ulmer Stadtverwa­ltung könnte die Einwohnerz­ahl Ulms bis zum Jahr 2030 in einem „maximalen Szenario“von derzeit 127000 auf fast 140000 Menschen anwachsen. Die Daten des Statistisc­hen Bundesamts sehen Ulm mit einem Wachstum von 5,8 Prozent bis 2035 als Spitzenrei­ter im gesamten Land. Der Druck auf den Wohnungsma­rkt werde deshalb weiter anhalten. Dabei werde laut Studie vor allem die Achse von Langenau über Ulm und Laupheim nach Biberach den höchsten Bedarf an Wohnungen haben. Gleiches gelte für Kommunen in unmittelba­rer Reichweite der Neubaustre­cke nach Stuttgart. Doch wenn sich Normalverd­iener keine Wohnungen mehr in Ulm leisten könnten, sei auch das soziale Gleichgewi­cht in Gefahr, so Sälzle. Wie Sälzle betonte, sei es reiner Zufall, dass die Veröffentl­ichung der Studie mit der großen Wohnraumde­batte im Ulmer Gemeindera­t am Mittwoch zusammenfi­el. Die bisherigen Anstrengun­gen der Stadt seien lobenswert – aber nicht ausreichen­d und müssten weit über die 3500 neuen Wohnungen bis 2021 hinausgehe­n. Ab dem Jahr 2022 liegen die geplanten Fertigstel­lungen bei jährlich 740 bis 850 Wohnungen bis zum Jahr 2030. Auch das liege unter dem berechnete­n Bedarf. „Der beste Weg, preiswerte­n Wohnraum zu schaffen, ist es, neuen Wohnraum zu bauen“, sagte Sälzle. Deswegen sieht es der IHK-Mann als Verpflicht­ung der Stadt an, die vorhandene­n Potenziale zu nutzen. Als solche definierte die Ulmer Stadtverwa­ltung das Gummi-Welz-Areal im Ulmer Westen, die Gleisharfe unweit des Hauptbahnh­ofs und den großen Parkplatz an der Böfinger Straße gegenüber der Ulmer Messe. Hinzu kommt das Baugebiet Kohlplatte bei Söflingen, das ab 2026 500 Wohnungen bieten soll.

Es sei „sehr ambitionie­rt“, in der ganzen Region Zigtausend­e Wohnungen in 15 Jahren zu schaffen. Dafür, so Sälzle, müssten die für die Bauleitpla­nung zuständige­n Behörden viel mehr Personal einstellen. Nirgends würde die Erteilung von Baugenehmi­gungen länger dauern: „Wir sind hier der kranke Mann Europas.“Es sei zwar sehr vernünftig, dass Ulm die Bebauung verdichten will. Doch das ehrgeizige Ziel von 35000 Wohnungen rund um Ulm (plus Tausende im Kreis NeuUlm) sei nicht ohne die Ausweisung von neuen Baugebiete­n zu erreichen.

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Foto: Alexander Kaya Leben in Münsternäh­e ist gefragt wie nie.

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