Der neue Chef vom Haus der Kunst
Im April 2020 wird die angeschlagene Münchner Ausstellungshalle wieder eine künstlerische Spitze haben: Andrea Lissoni, derzeit noch an der Tate Modern in London
München Nach allem, was in den vergangenen Jahren vorgefallen ist am Münchner Haus der Kunst – im Guten wie im Schlechten –, blieb bis gestern sonnenklar: Wer auch immer der neue Kopf an der Spitze der Ausstellungshalle werden würde – an gesteigerten Erwartungen ihm gegenüber mangelt es am allerwenigsten. Im künstlerisch Guten haben Christoph Vitali, Chris Dercon und Okwui Enwezor solche Maßstäbe gesetzt, dass es schwer wird, ihre kuratorische Kragenweite auszufüllen, im wirtschaftlich Schlechten befindet sich das Haus in einer Umbausituation und seit vielen Monaten auch in einer Personal-Krisensituation, deren Einzelheiten (Scientology-Einflüsse, Outsourcing) hier nicht noch einmal ausführlich rekapituliert werden müssen.
Die neue Spitze wird etwas anzupacken haben, das ist klar, und sie wird weiter dringend politische Unterstützung brauchen – nachdem nun endlich vom bayerischen Kunstministerium der neue Kopf benannt worden ist: Andrea Lissoni von der Tate Modern in London wird neuer künstlerischer Leiter im Haus der Kunst in München.
Der Kunsthistoriker und Kulturmanager werde seine Arbeit am 1. April 2020 für fünf Jahre aufnehmen, erklärte Bayerns Kunstminister
Von Pirelli in Mailand über Londons Tate nach München ans Haus der Kunst
Bernd Sibler (CSU) gestern in München. Andrea Lissoni sei in der Museumswelt international sehr gut vernetzt und erfahren im Management von Kunstinstitutionen. Zudem besitze er einschlägige inhaltliche Expertise in der modernen und zeitgenössischen Kunst.
Lissoni wird bis zum Amtsantritt in München an der Tate Modern arbeiten. Als sogenannter Senior-Kurator ist er dort unter anderem für Ausstellungen, Ankäufe und Wechselausstellungen internationaler Kunst sowie für Film verantwortlich. Zuvor war er in Mailand (Pirelli) tätig, wo er unter anderem die Künstler Tomas Saraceno und Mike Kelley präsentierte.
In London wiederum setzte er sich für Joan Jonas ein – just für die Schau, die der scheidende Bernhard Spies als derzeitiger Geschäftsführer vom Haus der Kunst aus finanziellen Erwägungen abgesagt hat. Ihn hatte der Aufsichtsrat dem mittlerweile verstorbenen künstlerischen Leiter Okwui Enwezor als kaufmännischen Direktor zur Seite gestellt.
Die Findungskommission – bestehend aus Susanne Gaensheimer, Direktorin der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, Daniel Birnbaum, ehemaliger Direktor des Stockholm Moderna Museet, Sir Nicholas Serota, ehemaliger Direktor der Tate in London, Doryun Chong, Chefkurator in Hongkong, und der Vorsitzenden Nina Zimmer, Direktorin des Kunstmuseums Bern und des Zentrums Paul Klee – hatte Ende Februar die Suche nach einer neuen künstlerischen Leitung für das Haus der Kunst aufgenommen und auf internationaler Ebene Sondierungs- sowie Auswahlgespräche geführt. „Lissoni hat die Jury überzeugt mit einer Mischung aus Zurückhaltung und Insistenz, inhaltlicher Integrität und Offenheit – gerade auch, weil er eher leise Töne anschlägt und die künstlerische Kraft seines Programms ins Zentrum stellt“, so Nina Zimmer. Nicholas Serota ergänzte: „Seine Pläne für das Haus der Kunst zeigen seine Verpflichtung gegenüber der Münchner Öffentlichkeit, indem er auch die Zusammenarbeit mit anderen Kunstinstitutionen sowie mit den Hochschulen vorsieht, ganz im Wunsch, im Diskurs des internationalen Kunstgeschehens eine Rolle zu spielen.“Bleibt die Frage, ob der Freistaat seinerseits die Verpflichtung sieht, das Haus der Kunst künftig auch finanziell stärker zu stützen.