Haben Betrüger in der Pflegebranche leichtes Spiel?
Ermittler klagen über unzureichende Kontrollen. Was ein Gesundheitsexperte sagt
München/Augsburg Kontrolleure müssen sich vorher bei Pflegediensten anmelden, Patienten können eine Begutachtung durch Prüfer der Krankenkassen ablehnen: Nach der Großrazzia gegen mutmaßliche Pflegebetrüger in Augsburg und München üben die Ermittler Kritik an den aus ihrer Sicht völlig unzureichenden Kontrollmechanismen in der Gesundheitsbranche. Der Leiter der Staatsanwaltschaft München I, Hans Kornprobst, sagt: „Unser Gesundheitswesen ist in Teilen ein Schlaraffenland für Kriminelle.“
Die Ermittler haben den Verdacht, dass kriminelle Pflegedienste in Augsburg und München einen Schaden für Kassen und Sozialhilfeträger angerichtet haben, der mindestens im hohen einstelligen Millionenbereich liegt. Allein in Augsburg wurde bei der Razzia am Mittwoch Bargeld in Höhe von rund 6,7 Millionen Euro gefunden, gebunkert in Privatwohnungen und Bankschließfächern. Der Augsburger KripoChef Gerhard Zintl geht nicht davon aus, dass Augsburg ein Schwerpunkt ist. Auch andernorts in Deutschland sei die Lage wohl ähnlich, sagt er. Verfahren in anderen Bundesländern hätten das schon gezeigt.
Den Prüfern der Kranken- und Pflegekassen machen die Ermittler keine Vorwürfe. Ihnen seien oftmals die Hände gebunden, weil sie keine ausreichenden gesetzlichen Befugnisse hätten, um wirksam kontrollieren zu können, sagt der Leitende Oberstaatsanwalt Hans Kornprobst. Er nennt unter anderem die Pflicht, Kontrollbesuche bei Patienten ambulanter Pflegedienste vorher anmelden zu müssen und zieht einen Vergleich: „Wenn wir als Staatsanwaltschaft eine Durchsuchung auch einen Tag vorher ankündigen müssten, würden wir wenig finden.“Kornprobst sieht drei Faktoren, welche die Pflegebranche besonders attraktiv für Kriminelle machen. Es sei viel Geld im Spiel – deutschlandweit werde im Gesundheitswesen jeden Tag rund eine Milliarde Euro umgesetzt. Dazu kämen unzureichende Kontrollen und der Pflegenotstand. Oft könnten Angehörige und Patienten sich den Pflegedienst nicht aussuchen und müssten nehmen, was sie bekommen.
Der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach fordert grundlegende Konsequenzen der Politik. Der mutmaßliche Millionenbetrug in Augsburg und München sei kein Einzelfall. „Das ist leider weit verbreitet und nimmt auch zu“, betont der Sozialdemokrat. „Wir haben das Problem, dass einzelne Anbieter hochkriminell vorgehen.“Die Ursache dahinter sei, dass ein immer größerer Anteil der Pflege privatisiert werde. Die Politik müsse schärfer gegen Missbrauch vorgehen: „Die Reaktion, die wir in den letzten Jahren
SPD: Großteil der Pflege wieder in kommunale Hand
auch als Große Koalition, das muss man selbstkritisch sagen, an den Tag gelegt haben, war nicht angemessen rasch genug“, räumt der Gesundheitspolitiker ein.
Die Skandale zeigten, dass grundlegende Reformen nötig seien: „Die Schraube der Privatisierung muss zurückgedreht werden“, forderte Lauterbach. Mittlerweile würden sich „selbst Heuschrecken-Konzerne an der Pflege in Deutschland bereichern“, sagte der SPD-Politiker. „Ein wichtiges Kernelement ist, dass wir einen großen Teil der Pflege wieder in kommunale Hand geben müssen“, forderte der SPDFraktionsvizechef. Ein anderes Problem, das abgestellt werden müsse, sei der hohe Eigenanteil von bis zu 2500 Euro. Er veranlasse viele Menschen, sich an Einrichtungen zu wenden, die zwar billiger, aber oft auch unseriös seien.
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