Guenzburger Zeitung

Haben Betrüger in der Pflegebran­che leichtes Spiel?

Ermittler klagen über unzureiche­nde Kontrollen. Was ein Gesundheit­sexperte sagt

- VON JÖRG HEINZLE, JAN KANDZORA UND STEFAN LANGE

München/Augsburg Kontrolleu­re müssen sich vorher bei Pflegedien­sten anmelden, Patienten können eine Begutachtu­ng durch Prüfer der Krankenkas­sen ablehnen: Nach der Großrazzia gegen mutmaßlich­e Pflegebetr­üger in Augsburg und München üben die Ermittler Kritik an den aus ihrer Sicht völlig unzureiche­nden Kontrollme­chanismen in der Gesundheit­sbranche. Der Leiter der Staatsanwa­ltschaft München I, Hans Kornprobst, sagt: „Unser Gesundheit­swesen ist in Teilen ein Schlaraffe­nland für Kriminelle.“

Die Ermittler haben den Verdacht, dass kriminelle Pflegedien­ste in Augsburg und München einen Schaden für Kassen und Sozialhilf­eträger angerichte­t haben, der mindestens im hohen einstellig­en Millionenb­ereich liegt. Allein in Augsburg wurde bei der Razzia am Mittwoch Bargeld in Höhe von rund 6,7 Millionen Euro gefunden, gebunkert in Privatwohn­ungen und Bankschlie­ßfächern. Der Augsburger KripoChef Gerhard Zintl geht nicht davon aus, dass Augsburg ein Schwerpunk­t ist. Auch andernorts in Deutschlan­d sei die Lage wohl ähnlich, sagt er. Verfahren in anderen Bundesländ­ern hätten das schon gezeigt.

Den Prüfern der Kranken- und Pflegekass­en machen die Ermittler keine Vorwürfe. Ihnen seien oftmals die Hände gebunden, weil sie keine ausreichen­den gesetzlich­en Befugnisse hätten, um wirksam kontrollie­ren zu können, sagt der Leitende Oberstaats­anwalt Hans Kornprobst. Er nennt unter anderem die Pflicht, Kontrollbe­suche bei Patienten ambulanter Pflegedien­ste vorher anmelden zu müssen und zieht einen Vergleich: „Wenn wir als Staatsanwa­ltschaft eine Durchsuchu­ng auch einen Tag vorher ankündigen müssten, würden wir wenig finden.“Kornprobst sieht drei Faktoren, welche die Pflegebran­che besonders attraktiv für Kriminelle machen. Es sei viel Geld im Spiel – deutschlan­dweit werde im Gesundheit­swesen jeden Tag rund eine Milliarde Euro umgesetzt. Dazu kämen unzureiche­nde Kontrollen und der Pflegenots­tand. Oft könnten Angehörige und Patienten sich den Pflegedien­st nicht aussuchen und müssten nehmen, was sie bekommen.

Der SPD-Gesundheit­sexperte Karl Lauterbach fordert grundlegen­de Konsequenz­en der Politik. Der mutmaßlich­e Millionenb­etrug in Augsburg und München sei kein Einzelfall. „Das ist leider weit verbreitet und nimmt auch zu“, betont der Sozialdemo­krat. „Wir haben das Problem, dass einzelne Anbieter hochkrimin­ell vorgehen.“Die Ursache dahinter sei, dass ein immer größerer Anteil der Pflege privatisie­rt werde. Die Politik müsse schärfer gegen Missbrauch vorgehen: „Die Reaktion, die wir in den letzten Jahren

SPD: Großteil der Pflege wieder in kommunale Hand

auch als Große Koalition, das muss man selbstkrit­isch sagen, an den Tag gelegt haben, war nicht angemessen rasch genug“, räumt der Gesundheit­spolitiker ein.

Die Skandale zeigten, dass grundlegen­de Reformen nötig seien: „Die Schraube der Privatisie­rung muss zurückgedr­eht werden“, forderte Lauterbach. Mittlerwei­le würden sich „selbst Heuschreck­en-Konzerne an der Pflege in Deutschlan­d bereichern“, sagte der SPD-Politiker. „Ein wichtiges Kernelemen­t ist, dass wir einen großen Teil der Pflege wieder in kommunale Hand geben müssen“, forderte der SPDFraktio­nsvizechef. Ein anderes Problem, das abgestellt werden müsse, sei der hohe Eigenantei­l von bis zu 2500 Euro. Er veranlasse viele Menschen, sich an Einrichtun­gen zu wenden, die zwar billiger, aber oft auch unseriös seien.

Wie die Pflegemafi­a Millionen scheffelt, lesen Sie auf Bayern.

Newspapers in German

Newspapers from Germany