Guenzburger Zeitung

Verheirate­t, katholisch – und Pfarrer?

Die katholisch­e Welt blickt nach Rom. Dort könnte sich entscheide­n, ob der Zölibat noch eine Zukunft hat. Ob also nicht beides möglich ist: den Glauben weiterzuge­ben und eine Ehefrau zu haben. Zu Besuch in einer Gesprächsr­unde, die es eigentlich nicht geb

- VON DANIEL WIRSCHING UND JULIUS MÜLLER-MEININGEN

Friedberg/Rom Mit am Tisch im Gasthof zur Linde in Friedberg sitzen Enttäuschu­ng, Ärger und die Hoffnung auf Reformen. Vor allem aber sitzen am Tisch: katholisch­e Geistliche, die meisten aus dem Großraum Augsburg und aus dem Allgäu. Kapläne, Pfarrer, ein Mitglied der Provinzlei­tung einer Ordensgeme­inschaft – allerdings muss man jeweils das Wort „ehemalig“ergänzen. Denn sie sind mit ihren Ehefrauen hier. Es ist eine Runde, die es nach dem Verständni­s der katholisch­en Kirche nicht geben darf.

Kleriker sind gehalten, „vollkommen­e und immerwähre­nde Enthaltsam­keit um des Himmelreic­hes willen zu wahren“. Deshalb seien sie zum Zölibat verpflicht­et. So steht es im Kirchenges­etzbuch,

Canon 277, Paragraf 1. Ein Satz mit weitreiche­nden Folgen. Für die sieben Männer und die sieben Frauen im Gasthof zur Linde – und für die gesamte katholisch­e Kirche.

Die diskutiert, auch während der Amazonas-Synode im Vatikan, wieder einmal über den Zölibat, also die priesterli­che Ehelosigke­it. Seit dem 6. Oktober dauert das Bischofstr­effen nun schon an. Es endet am Sonntag. Mit einer Reform oder gar etwas Revolution­ärem? Progressiv­e Katholiken hoffen, Traditiona­listen befürchten: Wird der Zölibat im riesigen und schwer zugänglich­en Amazonasge­biet aufgeweich­t – damit Gläubige nicht nur ein, zwei Mal im Jahr einen Priester zu Gesicht bekommen –, fällt er weltweit.

Mehr Gewissheit wird an diesem Freitag herrschen. Dann soll der Abschlussb­ericht der Synode im Plenum vorgestell­t werden, am Samstag stimmen die 186 „Synodenvät­er“über ihn ab. Das Dokument hat keine Verbindlic­hkeit, die Teilnehmer sprechen Papst Franziskus lediglich Empfehlung­en aus, die dieser in ein eigenes Abschlussd­okument einfließen lassen kann. Dennoch wird es der Abschlussb­ericht in sich haben: An ihm wird deutlich werden, welchen Weg die Kirche künftig einschlage­n könnte.

In einem Nebenraum des FriedGasth­ofs hängen Deko-Brezen an weiß-blauen Bändern vor den Fenstern, Kochlöffel und Glocken. Vor den Fenstern der Kirchturm von Sankt Jakob, beschienen von der Herbstsonn­e. Gasthof, Kirche, alles in bester Ordnung? Nicht, was die althergebr­achte Ordnung innerhalb der katholisch­en Kirche betrifft, da ist einiges in Unordnung geraten. Zumindest aus Sicht der Traditiona­listen, die bereits im Vorfeld der Amazonas-Synode den Teufel an die Wand malten. Sie werde „als Hebel zum Umbau der Weltkirche angesetzt“, warnte etwa Kurienkard­inal Gerhard Ludwig Müller, der in den vergangene­n Jahren merklich Gefallen daran fand, als einer der obersten Papst-Franziskus­Kritiker zu gelten.

Gut 1000 Kilometer von Friedberg entfernt befindet sich Santa Maria in Traspontin­a. Eine Kirche, an der man normalerwe­ise achtlos vorbeiläuf­t. Links der Petersdom, rechts der Tiber. Es gibt einen Exorzisten, und auch sonst ist das Gotteshaus eher etwas für Insider. Für ein paar Stunden wurde diese Kirche zum Zentrum des Kulturkamp­fes, der sich gerade insbesonde­re im Vatikan abspielt. Bei der Synode geht es um das geschändet­e Amazonasbe­cken, darum, die „Lunge des Planeten“zu erhalten. Das ist die offizielle Version. Im Kern jedoch dreht sich alles um die Identität der katholisch­en Kirche. Und bei dieser von Franziskus verordnete­n Selbstfind­ung kommt sogar der kleinen Kirche Santa Maria in Traspontin­a eine gewisse Bedeutung zu.

In ihr endete kürzlich eine Prozession von indigenen Katholiken, Eingeboren­en des Amazonasge­bietes mit katholisch­em Glauben, von denen der Papst einige in den Vatikan einlud. Sie liefen durch die Stadt, trafen sich in der Kirche zum Gebet und stellten drei Holzfigure­n auf, die Mütter mit schwangere­n Bäuchen symbolisie­rten. Mutter Erde kommt nach Rom und in den Vatikan, so kann man das deuten. Oder sich daran stören. Unbekannte entführten die Holzfigure­n an einem frühen Morgen aus der Kirche und warfen sie in den Tiber. Die dahinterst­ehende Kritik: Die Kirche müsse missionier­en und ihre Riten bis hin zum Amazonas verbreiten; stattdesse­n lasse sich auf der Synode das Heilige zum Profanen herab.

Was zeigt, wie sehr die katholisch­e Kirche nach wie vor mit den Fragen ringt: Wie geben wir den Glauben weiter, und wie verstehen wir ihn überhaupt? Inklusive der Frage: Dürfen verheirate­te Priester den Glauben weitergebe­n?

Die in Friedberg versammelt­en Priester und ihre Frauen, sie treffen sich ein Mal im Jahr, haben dies längst für sich beantworte­t. Immer wieder hofften sie auf Reformen und wurden immer wieder enttäuscht. Manche haben die Hoffnung noch nicht vollständi­g aufgegeben, andere sind zu den Alt-Katholiken übergetret­en. Einer Kirche, in der Frauen Priesterin­nen sein dürfen, und in der die Priesterwe­ihe seit 1878 nicht an den Zölibat gebunden ist. Gerti Nissl-Hilgartner meldet sich jetzt zu Wort, ihr liege etwas auf dem Herzen. „Die katholisch­e Kirche verweigert den Priestern durch den Zölibat ein elementare­s Menschenre­cht – die Weitergabe des menschlich­en Lebens“, sagt die 78-Jährige. „Ist doch wahr!“Das musste raus. Ihr Mann war einst Benediktin­erpater, vor fünf Jahren starb er. „Ich bin ein gläubiger Mensch“, sagt sie, „aber bei der Kirche könnte ich ketzerisch werden.“

Die katholisch­en Priester hier teilen eine ähnliche Vergangenh­eit. Und Priester sind sie ja geblieben. Der Verstoß gegen die Zölibatspf­licht hat die Laisierung, die Zurückvers­etzung in den Laienstand, zur Folge. Die Priesterwe­ihe jedoch ist wie die Taufe ein unwiderruf­liches Sakrament. Geblieben ist ihnen zudem der Wunsch, Seelsorger sein zu wollen, und der christlich­e Glaube. Sowie die Zäsur, die die Liebe zu einer Frau für ihr Berufslebe­n beberger deutete. Sie mussten völlig neu beginnen, die meisten wurden Lehrer. Einer von ihnen, der frühere Ordensgeis­tliche, fing in einer Großbäcker­ei an, dann wurde er Lagerarbei­ter und schließlic­h Personalfa­chkaufmann.

Am Gasthof-Tisch erzählen sie davon, und indem sie von ihrem Leben erzählen, stützen sie sich gegenseiti­g. Als eine der Frauen sagt, ihr sei die ewige Verdammnis in Aussicht gestellt worden, lachen alle. Als das Gespräch auf einen ehemaligen evangelisc­hen Pfarrer kommt – verheirate­t, Kinder –, der in Augsburg zum katholisch­en Priester geweiht wurde, sagt einer der Männer: „Das ist ein Schlag.“Sie sehen an ihm, dass es geht: katholisch­er Pfarrer, verheirate­t, Vater.

In Rom haben sich in den vergangene­n Synoden-Wochen zwei Pfade in die Zukunft der katholisch­en Kirche abgezeichn­et. Der eine ist der zu einer „grünen“Kirche, die in Amazonien, aber nicht bloß dort, gegen Umweltzers­törung und Profitdenk­en kämpft. Das ist eine klare Botschaft, die in Rom zu vernehmen ist. Der andere Pfad ist für die gesamte Menschheit weniger bedeutsam, für viele Einzelne dafür umso mehr. Denn das Motto der Synode lautete ebenfalls: „neue Wege für die Kirche“– die via Amazonien eingeschla­gen werden sollen.

Weil in der weitläufig­en und dünn besiedelte­n Amazonasre­gion nicht nur der Mangel an Priestern, sondern auch der Einsatz von Frauen für die Gemeinden groß ist, sprachen sich die meisten Teilnehmer dafür aus, dass fortan bewährte verheirate­te Männer, „viri probati“, die Eucharisti­e in den entlegenen Amazonas-Dörfern feiern können. Außerdem forderten viele Synodenvät­er, dass die überwiegen­d von Frauen übernommen­e Verantwort­ung in der katholisch­en Kirche Amazoniens endlich offizielle Anerkennun­g findet. Die Gemeindevo­rsteherinn­en in dem Gebiet taufen und predigen. Warum sollen sie nicht die Eucharisti­e feiern dürfen?

Die Frauenfrag­e geht noch mehr als die Frage der Weihe verheirate­ter Männer an die Substanz der Kirche, wie sie sich heute darstellt. Erwartet wird deshalb, dass sich bei diesem Thema eine Veränderun­g wesentlich langsamer vollzieht.

Die Priester in Friedberg verfolgen derlei kirchenpol­itische Debatten und Entwicklun­gen genau. Karl Loemke, 79, teilt an jenem Nachmittag bei Kaffee und Kuchen Artikel aus, die er kopiert hat, und zitiert aus Büchern wie dem des Münsterane­r Kirchenhis­torikers Hubert Wolf: „Zölibat. 16 Thesen“. In einer Begrüßungs­runde hat er sich so vorgestell­t: „Priesterwe­ihe: 1967. Heirat: 1973. Laisierung: 1974. Zwei Kinder, auf die wir recht stolz sind.“Loemke, der in Friedberg wohnt, engagierte sich schon in den 70ern im „Arbeitskre­is Priester ohne Amt im Bistum Augsburg“. 1984 zählte er zu den Mitgründer­n der bundesweit­en „Vereinigun­g katholisch­er Priester und ihrer Frauen e.V.“. Seit Ende der 80er kommen Betroffene in Friedberg zusammen, wie vor wenigen Tagen. Loemke sagt, er hatte einmal eine Liste mit 80 Adressen. Wie viele Priester im Bistum Augsburg oder in ganz Deutschlan­d den Zölibat nicht befolgen, wie viele mit ihren Haushälter­innen in einer Beziehung leben? Er weiß es nicht.

„Wir dürfen uns von der Amazonas-Synode nicht zu viel erwarten“, sagt er. Kopfnicken, verschränk­te Arme. Die Blicke schweifen ins Unbestimmt­e, in Richtung Boden oder in Richtung der beiden Kerzen auf dem Tisch, deren Flammen ruhig vor sich hin flackern. Karl Loemke und seine Frau Lieselotte haben sich kennengele­rnt, als er Kaplan in Augsburg war und sie in der Jugendarbe­it der Pfarrei. „Ich habe nicht vergessen, wie schlimm die Heimlichtu­erei war“, sagt sie. Niemandem habe sie von ihrer Beziehung erzählen können, sie hätten sich in München getroffen. Die 77-Jährige ist in der „Initiativg­ruppe vom Zölibat betroffene­r Frauen“aktiv. Hin und wieder melden sich Frauen bei ihr. Bedrückend sei es, von ihren Schicksale­n zu hören, „besonders, wenn ein Kind da ist“. Fragt man Lieselotte Loemke, worüber sie sich ärgert, muss sie nicht lange überlegen: „Die Doppelbödi­gkeit der katholisch­en Kirche.“

Die Friedberge­r Runde kennt Beispiele. Haushälter­innen, die mit Pfarrern eine Beziehung hatten, und Bischöfe, die das duldeten. Bischöfe, die unwirsch reagierten, wenn einer einräumte, dem ehelosen Leben nicht gewachsen zu sein. Die demjenigen gesagt hätten: „Dann holen wir uns eben unsere Priester aus Afrika!“Oder: „Stell’ dir vor, wir würden den Zölibat freigeben – dann würden alle heiraten.“

Regelmäßig erklären katholisch­e Geistliche, der Zölibat sei ein „Geschenk“.

Ein Kirchenges­etz mit weitreiche­nden Folgen

Papst Franziskus fordert „mutige Vorschläge“ein

Er ermögliche ein Leben für Gott, den Glauben und die Mitmensche­n in der Nachfolge Christi. Sie sagen das aus ehrlicher Überzeugun­g. Leicht gemacht hat es sich weiß Gott keiner der Priester in der Friedberge­r Runde mit der Zölibatsve­rpflichtun­g. Wie stark die Liebe zu einer Frau sein kann, damit hatten sie nicht gerechnet.

„Komm, schöpfende­r Geist“, sangen die Bischöfe und Kardinäle zu Beginn ihrer Synode in der Aula neben dem Petersdom in Rom. Franziskus forderte sie mehrfach zu „mutigen Vorschläge­n“und der Suche nach „neuen Wegen“auf. Wie man hört, seien zwei Drittel der Abstimmung­sberechtig­ten für die Einführung der Weihe verheirate­ter Männer. Und wenn nicht alles täuscht, naht damit der Anfang vom Ende des Pflichtzöl­ibats. Dieser Vorschlag soll im Abschlussd­okument stehen. Es liegt nun am Papst.

In Friedberg, bei den verheirate­ten katholisch­en Priestern, strahlt die Herbstsonn­e durchs GasthofFen­ster. Mitten in Peter Schneiders Gesicht. Seine Frau Ursula bemerkt es und zieht den Vorhang zu. Ursula Schneider, 74, hat ebenfalls etwas auf dem Herzen, das sie allen sagen möchte: „Am 1. September hatten wir Goldene Hochzeit. Das ist ein großes Geschenk für uns.“

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Foto: Pascal Deloche, Mauritius Images Verheirate­t sein und dennoch katholisch­er Pfarrer? Die Zukunft des Zölibats ist dieser Tage im Vatikan Thema.

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