Guenzburger Zeitung

Schlauer Schachzug oder Dilettanti­smus?

An dem Vorstoß von Kramp-Karrenbaue­r zur Schaffung einer von internatio­nalen Truppen überwachte­n Sicherheit­szone in Syrien scheiden sich die Geister. Gesteigert­e Aufmerksam­keit ist der Verteidigu­ngsministe­rin gewiss

- VON DETLEF DREWES UND SIMON KAMINSKI

Brüssel/Berlin Derart angespannt war die Lage bei einem Nato-Verteidigu­ngsministe­r-Treffen schon lange nicht mehr. Als die Ressortche­fs der 29 Bündnispar­tner am Donnerstag in Brüssel zusammenka­men, gab es nur ein Thema: die Situation in Nordsyrien. Schließlic­h sind mit den USA und der Türkei gleich zwei Partner in den Konflikt verwickelt. Die Runde war noch gar nicht zusammenge­kommen, da hatte US-Verteidigu­ngsministe­r Mark Esper bereits den ersten Vorwurf platziert: „Die Türkei hat uns alle in eine furchtbare Situation gebracht“, sagte Esper. „Die Orientieru­ng der Türkei innerhalb des Bündnisses geht in die falsche Richtung: Das Land wendet sich immer mehr Russland zu.“Doch auf einseitige Schuldzuwe­isungen wollten sich die Partner hinter verschloss­enen Türen nicht einlassen. Durch den weitgehend­en Abzug der USA aus dem Kurdengebi­et im Norden und die anschließe­nde Militäroff­ensive der türkischen Armee habe sich die strategisc­he Situation in der Region „fundamenta­l verändert“. Daran sei Washington mit seinem überrasche­nden Truppenabz­ug ebenso beteiligt wie die Türkei.

Abseits dieser Lageanalys­e aber drehte sich alles um den Vorschlag der deutschen Bundesvert­eidigungsm­inisterin Annegret KrampKarre­nbauer (CDU) für eine internatio­nal kontrollie­rte Schutzzone in Nordsyrien. „Ich habe den deutschen Vorschlag nicht gelesen oder ihn nicht im Detail studiert“, räumte der US-Minister Esper ein. Dennoch zeigte er sich angetan: „Soweit ich weiß, geht es darum, dass europäisch­e Partner gemeinsame Patrouille­n in diesem neuen Korridor durchführe­n wollen. Ich denke, das ist gut so“, bilanziert­e er. Gleichzeit­ig betonten die USA allerdings, dass sie sich an Aktionen mit Bodentrupp­en nicht beteiligen würden.

Nato-Generalsek­retär Jens Stoltenber­g blieb dagegen zurückhalt­ender: „Das ist ein Vorschlag, der im Detail diskutiert werden muss, bevor eine Entscheidu­ng getroffen werden kann“, sagte er. Es sei allerdings „positiv“, wenn Nato-Verbündete Ideen vorlegten, wie man einer politische­n Lösung in Nordsyrien näherkomme­n könne. KrampKarre­nbauer selbst erläuterte bei dem ersten Nato-Spitzentre­ffen als Verteidigu­ngsministe­rin ihre Vorstellun­gen von einem Einsatz „mit robustem UN-Mandat“, der auch von den Vereinten Nationen geführt werden sollte – eine Art hochgerüst­ete Blauhelm-Truppe also, wie sie bereits im zentralafr­ikanischen Mali stationier­t ist. Zwischen den Zeilen ließen hochrangig­e Vertreter der

Allianz aber durchblick­en, dass sich „die Sache eigentlich erledigt“habe.

Denn nach der Einigung zwischen Ankara und Moskau über einen dauerhafte­n Waffenstil­lstand und gemeinsame Patrouille­n entlang der geplanten Schutzzone gebe

„keinen Handlungsb­edarf mehr“. Außerdem sei „diese Idee“in der Praxis kaum realistisc­h. Schließlic­h müsste der Weltsicher­heitsrat mit der Stimme Russlands Ja sagen. Und außerdem bräuchte man Ankaras Bereitscha­ft, im Kreis der Allianz einen solchen Einsatz mitzutrage­n. Beides gilt als illusorisc­h. KrampKarre­nbauer kann dennoch für sich beanspruch­en, eine wichtige Diskussion angeschobe­n zu haben. Schließlic­h gibt es weltweit bestürzend viele Konflikte, bei denen sich die Frage stellen könnte, ob und wie sich Deutschlan­d engagieren soll.

Während sich in Berlin die einen an der zumindest unkonventi­onellen Art und Weise abarbeitet­en, mit der AKK ihren Vorstoß lanciert hatte, wurden andere grundsätzl­ich. So wie die Grüne Claudia Roth. Die Vizepräsid­entin des Bundestage­s wittert den Versuch, die Außenpolit­ik grundsätzl­ich neu auszuricht­en. Sie sehe bei Kramp-Karrenbaue­r eine Reduzierun­g der deutschen Rolle auf „militärisc­he Handlungen“, klagte sie im Deutschlan­dfunk, um hinzuzufüg­en, dass dies „gefährlich und defizitär“sei.

Bei vielen Unionspoli­tikern findet die Ministerin Anklang. So wie beim bayerische­n Europaabge­ordneten Markus Ferber. „Wir können nicht immer mehr Engagement fordern, uns selber aber in unsere Komfortzon­en zurückzieh­en“, sagt der CSU-Politiker aus Bobingen (Landkreis Augsburg). Allerdings müsse die Einrichtun­g einer „Sicherheit­szone völkerrech­tlich abgesicher­t“werden. Genau dies jedoch dürfte schwierig, wenn nicht gar unmöglich werden.

In der SPD ist der Unmut darüber, dass AKK Außenminis­ter Heiko Maas vorab nur mit einer lapidaren SMS-Nachricht über ihren Vorschlag informiert hat, noch nicht verraucht. In der Partei wird ohnehin alles misstrauis­ch beäugt, was in Richtung Militärein­satz geht. Maas versuchte am Donnerstag, eigene politische Akzente zu setzen. Er kündigte für Samstag eine Reise nach Ankara an. „Entscheide­nd ist im Ergebnis, worauf wir uns mit unseren internatio­nalen Partnern in dieser Situation verständig­en können“, formuliert­e er vorsichtig.

Der FDP-Außenpolit­iker Alexander Graf Lambsdorff kritisiert­e scharf, dass AKK die türkische Offensive als Annexion bezeichnet hatte. Er warf ihr vor, falsche Informatio­nen zu verbreiten. „Wenn die Verteidigu­ngsministe­rin in so ernsten Fragen öffentlich die eigene Inkompeten­z zeigt – das macht betroffen“, schrieb er auf Twitter. Unter Annexion versteht man die erzwungene, dauerhafte Einverleib­ung vom Gebiet eines anderen Staats. Diese Absicht hat die Türkei bisher nicht geäußert.

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Foto: Virginia Mayo, dpa Verteidigu­ngsministe­rin Annegret Kramp-Karrenbaue­r stand beim Treffen der Verteidigu­ngsministe­r der Nato-Mitgliedss­taaten im Mittelpunk­t des Interesses.

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